Institutionelle Grauzone

Von Kerstin Schweighöfer |
Rotterdam, Zürich, München und Chicago - das sind die vier Stationen, an denen der britische Künstler Liam Gillick seine Arbeiten der letzten 20 Jahre zeigt. Sein Markenzeichen sind Kästen, Plattformen und Raumstrukturen aus Aluminium und knallbunt leuchtendem Plexiglas.
Bis zuletzt gab Liam Gillick den Handwerkern Anweisungen, wie und wo Lampen und Projektoren installiert werden mussten. Das Rotterdamer Kunstzentrum Witte de With ist die erste Station einer vierteiligen Ausstellung mit Arbeiten aus den letzten zwanzig Jahren, die auch noch in Zürich, München und Chicago zu sehen sein wird. Um eine Wanderausstellung allerdings geht es nicht, stellt der britische Künstler klar. Dazu seien die Ausstellungen zu verschieden. Auch von einer Retrospektive im klassischen Sinne könne keine Rede sein:
"Die Ausstellung heißt nicht umsonst : Drei Perspektiven und ein Szenario. Ich will den Besuchern verschiedene Perspektiven bieten. Und eine Perspektive ist etwas anderes als eine Retrospektive. Ich versuche, einen Prozess stattfinden zu lassen, und die erste Phase dieses Prozesses, die erste Perspektive, findet in Rotterdam statt."

Die zweite Perspektive will er in Zürich bieten - und die dritte dann 2009 in Chicago, der letzten Station. Dort soll zum Abschluss auch mit einem neuen Katalog Bilanz gezogen werden. Zuvor allerdings findet im Sommer noch das Szenario statt, ein Theaterstück im Kunstverein München:
"Darin geht es um die Beziehungen, die ich in den letzten zwei Jahrzehnten mit den verschiedensten Künstlern aufgebaut habe."

Wachsame Augen, kurzgeschnittene rotblonde Haare und jede Menge Bartstoppeln: Liam Gillick erinnert einen bisschen an einen verwegenen Seemann. Der 44-Jährige ist Absolvent des berühmt-berüchtigten Goldsmiths College, wo er sich zum "Young British Artist" ausbilden ließ. Egal, ob Wandbemalungen und minimalistische Objekte, Raumstrukturen, grafische Arbeiten oder Filmmusik - Gillick gilt als Tausendsassa, der sämtliche genre- und medienspezifischen Grenzen sprengt. Selbst eine ganze Reihe von Büchern hat er bereits geschrieben.
Sein Markenzeichen sind Kästen, Plattformen und Raumstrukturen aus Aluminium und knallbunt leuchtendem Plexiglas. Sie referieren an Piet Mondrian oder an Minimal Art. Der Brite ist ein Meister der Täuschung: Denn sie sind mehr als bloß schön, bunt und glatt. Gillick spielt mit dem Betrachter, will ihn in Verwirrung bringen: Geht es hier um eigenständige Skulpturen oder um architektonische Dekorationen? Wird der Ausstellungsraum auf einmal zur Bühne - und aus dem Betrachter ein Mitspieler? Alles ist offen, betont Nikolaus Schafhausen, Witte de With-Direktor und deutscher Kurator der letzten Biennale in Venedig:

"Naja, ich denke schon, dass Liam Gillick sehr manipulativ arbeitet. Sein eigentliches Hauptinteresse besteht in der Manipulation des Verhaltens der Betrachter."
Die bunten Plexiglasarbeiten allerdings sind erst in Chicago zu sehen. Für Zürich hat Gillick einen Film gemacht, in dem frühe Performance-Arbeiten im Zentrum stehen. In Rotterdam zeigt er in einer großen Vitrine eine Reihe seiner Bücher sowie grafische Arbeiten, darunter Plakate und Poster oder Entwürfe für Schallplatten und CDs.

Außerdem hat er für seinen Auftritt im Witte de With sein Foto-Archiv filmisch umgesetzt: Dazu hat er 250 Fotos ausgewählt und jedes mit Textpassagen aus seinem geschriebenen Werk versehen. Auf diese Weise entstand ein faszinierender Film, in dem alle Disziplinen seines Oeuvres zusammenfließen.

Doch Gillick wäre nicht Gillick, wenn er sich als Manipulator nicht etwas Neues hätte einfallen lassen: Dieses Mal mussten die Kuratoren dran glauben: Sowohl in Rotterdam, Zürich und auch in Chicago hat der eigenwillige Künstler den Ausstellungsmachern die Hälfte der Ausstellungsfläche zurückgegeben: Dazu hat er eine architektonische Raumteilerinstallation entworfen - eine sogenannte "institutionelle Zone", die einen Ausstellungsraum im Ausstellungsraum formt. Erstaunte Reaktionen auf Seiten der Kuratoren waren die Folge.
"It causes problems if you say: Here is half of the space back: What would YOU do?"
Doch sie nahmen die Herausforderung an: Rotterdam etwa zeigt in dieser "institutionellen Zone" bis einschließlich August jeden Monat die Arbeiten eines anderen Künstlers. Den Auftakt macht die niederländische Filmemacherin Manon de Boer. Ihre Arbeiten werden allerdings erst Ende nächster Woche zu sehen sein - ein etwas unglückliches Timing. Denn dadurch ist die Ausstellungseröffnung doch etwas sehr spröde und minimalistisch ausgefallen. Wobei hinzukommt, dass Gillick seine "institutionelle Zone" in Rotterdam auch noch extrem einfach und schmucklos gestaltet hat, und zwar einheitlich in Grau.
"Es ist grau ausgefallen, weil vieles auf dieser ersten Perspektive hier an meine Beginnphase als Künstler erinnert. Das Grau symbolisiert sehr schön jenen Zeitpunkt, bevor ich beschloss, diese Laufbahn einzuschlagen. Hinzu kommt, dass auch die Computerprogramme, mit denen ich Rauminstallationen wie diese entwerfe, alles zunächst in grau zeigen. Es ist der erste Schritt - und deshalb habe ich dieses Mal beschlossen, es grau zu lassen."

Was aus dieser Grauzone auf der letzten Perspektive in Chicago geworden ist, bleibt abzuwarten. Dort sollen die Ergebnisse der Experimente mit den "institutionellen Zonen" in Rotterdam und Zürich und auch das Münchner Theaterstück miteinbezogen werden. Dann wird auch der Katalog präsentiert, in dem der gesamte Prozess nachvollzogen werden kann. Gillick ist schon jetzt gespannt darauf:
"Yes, absolutely! I am very curious how they think they can do this."

Rotterdam Witte de With 19.1. bis 24.3.
Kunsthalle Zürich 26.1. bis 30.3.
Kunstverein München Juli bis September 2008
Mus of Contemp. Art Chicago voraus. Frühlg.2009