Institut für die Geschichte der Juden wird 50

Geschichtomat zeigt jüdisches Erbe

Der Palais Budge
Jüdisches Erbe in Hamburg: Palais Budge - der Reichsstatthalter und Gauleiter der NSDAP Karl Kaufmann enteignete die Familie Budge. © dpa / picture alliance
Von Michael Hollenbach · 27.05.2016
Vor 50 Jahren wurde das Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg gegründet. Das Forschungsinstitut widmet sich dem jüdischen Leben – nicht nur in der Hansestadt. Mit einem Senatsempfang in der Patriotischen Gesellschaft Hamburgs ist die Arbeit des Instituts geehrt worden.
Ausschnitt aus Film Hauptmann von Köpenick: Heinz Rühmann besetzt als Hauptmann von Köpenick das Rathaus, weil er als Staatenloser dringend einen Pass benötigt, um nicht ausgewiesen zu werden.
Miriam Rürüp erläutert, was der Film mit dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden zu tun hat:
"Wir befinden uns im ehemaligen Finanzamt, der Hauptmann von Köpenick wurde hier gedreht in den 50er-Jahren, unten im Foyer, diese kleine Ausstellung, wo man Heinz Rühmann in seiner berühmten Hauptrolle sieht. "
Heinz Rühmann alias Wilhelm Voigt ist ein Staatenloser – und Ironie der Geschichte – staatenlose Juden sind der Forschungsschwerpunkt von Miriam Rürup, der Direktorin des Instituts. Und die Quellen zur Erforschung des jüdischen Lebens sind hier reichlich vorhanden. Denn bereits 1937/38 übergaben die Archivare der jüdischen Gemeinden in Hamburg ihre Bestände dem Staatsarchiv als Dauerleihgabe:
"Durch diesen Coup wurden die Akten letztlich gerettet und haben den Krieg überdauert, auch ohne größere Bombenschäden, (…) in den 50er-Jahren begann es, dass Hamburger und auch israelische Archivare auf diese Akten aufmerksam wurden und überlegten, was man mit diesen Akten machen kann."

Man fand eine salomonische Lösung

Es kam zu einem jahrelangen Streit, wer den Quellenbestand bekommen sollte. Zum Glück fand man eine salomonische Lösung:
"Bevor es zum Gerichtsverfahren darüber kommen konnte, hat man sich darauf geeinigt, das Material zweizuteilen, und die eine Hälfte nach Israel zu geben und die andere Hälfte hat man hier in Hamburg gelassen und man hat den gesamten Bestand mikroverfilmt."
Bis heute lässt sich der gesamt Bestand auf Mikrofiche einsehen; mit der Digitalisierung wird gerade begonnen. Bei den Forschungsprojekten wie etwa einer siebenbändigen Studie über die Hamburger Juden in den 1930er Jahren ist es Miriam Rürup wichtig, nicht aus der Opferperspektive auf das Judentum zu blicken:
"Was wir heute machen, ist, dass wir nicht die nationalsozialistischen Jahre ausblenden, aber wenn wir uns mit jüdischer Geschichte im Nationalsozialismus befassen, wir das nicht mit dem Hauptfokus machen, wie wurden Juden verfolgt, sondern wie sind Juden damit umgegangen, dass sie verfolgt wurden."
Das Institut verfügt über mehr als 50.000 Bände und damit über eine der größten Spezialbibliotheken zum Judentum. Die rund ein Dutzend Mitarbeiter ziehen sich aber nicht in ihren Elfenbeinturm zurück, sondern widmen sich auch aktuellen Diskussionen wie zum Beispiel der "Schächtfrage" in der bundesdeutschen Geschichte nach 1945. Gerade in Deutschland war die Bewegung gegen die rituelle Schlachtpraxis der Juden besonders stark – an diesem Punkt kamen Tierschützer und Antisemiten zusammen. In einem anderen Projekt leitet eine Historikerin des Instituts Hobby-Forscher an:
"Wir haben hier die Forscher, die über Stolperstein-Biographien arbeiten, die ja alle Laienforscher sind, die aber angeleitet werden von einer Mitarbeiterin im Institut, die ihnen beibringt, wie man im Archiv arbeitet, wie man Biographien recherchiert und ihnen auch unter die Arme greift, wenn daraus Biographien geschrieben werden."

Geschichtomat für Schüler

Das neueste Projekt beim Schlump 83, so die Adresse des Instituts, ist ein Geschichtomat für Schülerinnen und Schüler:
"Sie entdecken das jüdische Leben in der Nähe ihrer Schule, in Projektwochen drehen sie Videos, führen Interviews, schneiden, und die fertigen Videos werden auf unsere Homepage hochgeladen und so sind schon 99 Videos entstanden."
Die Historikerin Carmen Smiatacz geht mit zwei Medienpädagogen jeweils eine Woche lang in Schulen, um bei den Jugendlichen Interesse am Judentum zu wecken:
"Geschichtomat ist nicht nur ein reines Geschichtsprojekt, sondern es geht um jüdische Kultur, jüdisches Leben, und das ist das Schönes, dass wir in den Schulen versuchen zu vermitteln, dass es mehr gibt als nur 12 Jahre Nationalsozialismus, sondern dass wir ein reiches jüdisches Erbe haben und bis heute jüdisches Leben in Hamburg."
Vor allem in Schulen mit hohem Migrationshintergrund seien die Erfahrungen sehr positiv, meint die 29-Jährige:
"Es kommen selten Vorurteile zur Sprache und wenn, dann kann man die gut auflösen. Sowohl Kinder mit Migrationshintergrund als auch ohne sagen: eigentlich wissen wir gar nichts von jüdischer Geschichte. (..) gerade mit muslimischen Kindern ist es schön zu sehen, dass sie viele Gemeinsamkeiten entdecken."
Der Geschichtomat ist ein bundesweit einmaliges Projekt und hat es ins Finale der "Google Impact Challenge 2016" geschafft.
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