Inspiriert vom Elan der Nachkriegsfrauen

Von Katinka Strassberger |
Für ihr Bühnenstück "Das Leben ohne Zeitverlust" hat die Schauspielerin Susanne Brantl Chansons von Erich Kästner und dem Komponisten Edmund Nick ausgewählt. Gemeinsam mit ihrem Pianisten gelingt es ihr, ein spannendes Kapitel der Bühnenkunst zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder wieder ins Bewusstsein zu rücken.
Susanne Brantl liebt es, verschollene Schätze zu heben. Seit ein paar Jahren beschäftigt sie sich besonders intensiv mit den Chansons der direkten Nachkriegszeit, die heute kaum noch aufgeführt werden.

Susanne Brantl: "Ich hab mich immer schon sehr dafür interessiert, für diese Zeit. Ich bin ein Nachzüglerkind und meine Eltern haben die Kriegszeit erlebt als junge Menschen,
und das wollte ich immer schon wissen, was da genau war."

Das Alltagsleben nach dem Krieg wurde vor allem von Frauen organisiert. Wie haben sie es damals geschafft, umgeben von den Trümmern des 1000-jährigen Reichs wieder neu anzufangen? Wie sind sie umgegangen mit dem Erbe des Nazi-Terrors? Wie lebte es sich im Wechselbad der Gefühle zwischen Schuldbewusstsein, Verdrängung und der Angst vor einer ungewissen Zukunft? Woher nahmen sie den Mut, inmitten extremer materieller Not trotzdem Kinder in die Welt zu setzen und fröhliche Feste zu feiern?

Susanne Brantl, 1967 in München geboren und sehr fasziniert vom Elan dieser Frauen, wollte das alles genauer wissen - und auf die Bühne bringen.

Brantl: "Ich hab ganz viel gelesen, ich hab alles verschlungen, was zu dem Thema da war, viel mit Leuten gesprochen aus dieser Zeit und hab zum Beispiel von meinem Vater Dinge erfahren, die er mir noch nie erzählt hatte, nicht weil er das nicht wollte, sondern weil das irgendwie nicht das Thema war. Mit so einem bisschen vorsichtigen Nachfragen und viel Zuhören hab ich mir diese Frauenfigur dann zusammengebastelt."

"Auf dem Nachhauseweg", ein Text von Erich Kästner, vertont von Edmund Nick. Chansons wie dieses gehören für Susanne Brantl zu den interessantesten Milieuschilderungen, die es aus der Trümmerzeit gibt. Und sie eignen sich, wie sie findet, sehr gut dafür, den Nachgeborenen diese Zeit auch sinnlich nahe zu bringen.

Brantl: "Ich finde, da ist jedes einzelne Chanson ein kleines Theaterstück, wirklich!"

Das Eintauchen in das Lebensgefühl der Nachkriegsjahre ist für Susanne Brantl mehr als eine vorübergehende Attitüde. Das merkt man sofort, wenn man sie in ihrer Schwabinger Wohnung besucht. Da lebt sie umgeben von vielen alten Photos und Möbeln ihrer Vorfahren aus den 20er bis 50er Jahren. Mit ihren kurz geschnittenen dunklen Haaren, der hellen Haut und schlanken Gestalt erinnert sie auch vom Typ her an die Zeit, mit der sie sich am liebsten beschäftigt.

Nostalgische Schwärmerei ist es aber nicht, was sie antreibt, sondern vielmehr die Frage, was wir für unser heutiges Leben aus der Geschichte lernen können. Susanne Brantl sprüht nur so vor Begeisterung, wenn sie von ihrem jüngsten Projekt erzählt, temperamentvoll gestikulierend, rauchend, natürlich mit Zigarettenspitze:

"Diese Nachkriegschansons, das war mir klar, die kann ich nicht unter "Susanne Brantl singt Nachkriegschansons" bringen, da braucht man was drum herum. Und dann haben wir eine Geschichte entwickelt über zwei Menschen, die sich in der Nachkriegszeit irgendwie treffen und was mit denen passiert, aber ohne Text, das heißt der Text liegt allein in den Chansons."

Dass sie eines Tages mal als Sängerin auf der Bühne stehen würde, hat Susanne Brantl keineswegs geplant. Nachdem sie in München ein Studium der Theaterwissenschaften absolviert hatte, stellte sie jedoch bald fest, dass ihr die graue Theorie nicht lag. Also entschied sie sich für die Praxis, sammelte erste Bühnenerfahrungen als Kabarettistin und wurde bald auch für verschiedene Theater- und Fernsehrollen engagiert.

"Ich habe eine fundierte Schauspielausbildung und der Gesang kam dann eigentlich später aus Zufall dazu, und dann kamen so nach und nach Angebote für Schauspielerinnen, die singen können und mittlerweile ist die Chansonnette draus geworden."

Für ihr Bühnenstück "Das Leben ohne Zeitverlust" hat Susanne Brantl ausschließlich Chansons von Erich Kästner und dem Komponisten Edmund Nick ausgewählt, die in den Jahren von 1946 bis 1948 für das Münchner Kabarett "Die Schaubude" geschrieben wurden. Die Tochter des Komponisten, Dagmar Nick, hat für dieses Projekt nicht nur erstmals die Aufführungsrechte zur Verfügung gestellt, sondern auch ganz aktiv an der Realisierung mitgearbeitet - zweifellos eine große Ehre, nicht nur für Susanne Brantl, sondern auch für ihren Bühnenpartner, den Pianisten Gerold Huber, der ansonsten als klassischer Liedbegleiter einen hervorragenden Ruf genießt. Gemeinsam gelingt es ihnen mit diesem Stück, ein spannendes Kapitel der Bühnenkunst zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder wieder ins Bewusstsein zu rücken, das lange Zeit im Verborgenen schlummerte.

Brantl: "Wir wollen versuchen, dieses Stück auch in andere deutsche Städte zu bringen, die auch vom Krieg gebeutelt waren, Dresden, Hamburg, Berlin, dafür haben wir aber keinen Agenten, das müssen wir selbst versuchen, und dann wäre es mir eine Ehre,
die Nick´schen Chansons wieder aufleben zu lassen."

Das Bühnenstück "Das Leben ohne Zeitverlust" hat am Mittwoch, 3. Mai 2006, Premiere in der Blackbox (Kulturzentrum Gasteig, München, Rosenheimer Platz). Weitere Vorstellungen am 4.5. und 6. bis 11.5. Die Schirmherrschaft hat Kunstminister Thomas Goppel übernommen, unterstützt wird das Projekt vom Kulturreferat der Stadt München.