Inspirierende Vorbilder

In Zeiten medialer Superstars erinnert der vorliegende Band der enzyklopädischen Reihe "50 Klassiker" an ein altes mediales und reales Phänomen christlicher Kultur – an die Heiligen. Sie sind in biblischen Texten und Legenden ebenso präsent wie in Gebeten und Liedern, auf Gemälden und in Filmen. Peter Köhler stellt mit Kurzessays 50 Heilige dar und zeichnet deren Bedeutung und mediale Wirkungsgeschichte nach.
Heilige Männer und Frauen findet man in allen Religionen. Sie stehen in besonders enger Beziehung zu Gott und gelten als inspirierende Vorbilder, vor allem was Frömmigkeit und Lebensweise anbelangt. Der Islam etwa kennt den "Wali Allah", den Gottesfreund, und im Judentum gilt "der Gerechte" als mustergültiger Frommer.

Mit Blick auf das Christentum denkt man beim Begriff "Heilige" zumeist an Märtyrer, Bekenner und Kirchenlehrer sowie an bedeutende Bischöfe, Mönche und Nonnen. Einem inhaltlich weiteren und ursprünglicherem Verständnis zufolge sind alle Christen aufgrund ihrer Taufe als Auserwählte Gottes, als Heilige zu bezeichnen: "Zieht nun an als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut." (Kol 3,12)

Die katholische Kirche, auf deren kanonisierte »Beispiele gelebten Christentums« sich Peter Köhler weitgehend konzentriert, kennt mehr als 5000 Heilige. Allein Johannes Paul II. hat während seines Pontifikats fast 500 neue Vertreter für die "himmlische Hall of Fame" ernannt. Einer davon ist Padre Pio. Zu Lebzeiten trug er die Wundmale Jesu Christi, wurde von der Kirche des Betrugs verdächtigt – und 1947 vom jungen Karol Wojtyła besucht, dem er eine Zukunft als Papst vorausgesagt haben soll.

Dem Kapuziner, mittlerweile populärster Heiliger Italiens nach Franz von Assisi, widmet der Autor vier eher kritische Seiten. Denn San Giovanni Rotondo in Apulien, wo der Stigmatisierte wirkte und 1968 starb, ist zwar weniger bekannt als Lourdes, doch mittlerweile der größte christliche Wallfahrtsort der Welt, das "Las Vegas des Katholizismus".

Darüber hinaus stellt Köhler dem Buchtitel gemäß die Klassiker der Hagiographie vor, darunter allerdings nur ein gutes Viertel Frauen: die Apostel Petrus und Paulus, die Märtyrer Florian und Sebastian, die Ordensgründer Benedikt und Dominikus, Franziskus und Ignatius, starke Frauen wie Johanna von Orleans und Katharina von Siena, nicht zuletzt Sankt Martin, an dessen Festtag christliches Brauchtum vielerorts noch öffentlich zu erleben ist.

Der heilige Augustinus fehlt in Köhlers Top 50-Liste, was Papst Benedikt bedauern wird. Dafür werden zwei heilige Antonii angeführt: Antonius von Ägypten, auch "der Große" genannt, lebte mehr als hundert Jahre, achtzig davon in der Wüste, und wurde zum "Ahnherrn des Klosterwesens." Antonius von Padua lebte im 12./13. Jahrhundert, galt als Rhetorikgenie – und ist nach wie vor Rekordhalter: Kein Mensch rief "Santo subito", als der "Billy Graham des Mittelalters" verstarb, doch war dieser bereits ein Jahr später bereits im Stande der Heiligkeit.

In Zeiten medialer Superstars erinnert der vorliegende Band der enzyklopädischen Reihe "50 Klassiker" auf fast dreihundert Seiten an ein altes mediales und reales Phänomen christlicher Kultur. In biblischen Texten und christlichen Legenden sind Heilige ebenso präsent wie in Gebeten und Liedern, auf Gemälden und in Spielfilmen.

Mag sein, dass die im katholischen Volksglauben ehemals tief verwurzelte Verehrung von Heiligen, deren Anrufung um Fürsprache, Schutz und Trost nachlässt. Bei der Namensgebung hingegen spielen Heilige immer noch eine große Rolle. Die wichtigsten stellt Peter Köhler in 50 gut lesbaren Kurzessays dar, indem er deren Lebensgeschichten skizziert sowie die jeweilige Bedeutung und mediale Wirkungsgeschichte nachzeichnet. Überdies bietet der promovierte Germanist und freie Journalist eine Vielzahl an Daten, Fakten sowie zahlreiche Lese- und Besichtigungstipps.


Rezensiert von Thomas Kroll


Peter Köhler: Heilige. Von der heiligen Anna bis zum heiligen Valentin
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2006, 272 Seiten, 19,95 Euro