Inselgruppe mit strategischer Bedeutung

Von Julio Segador · 29.03.2012
Der Konflikt um die Falklandinseln im Südatlantik ist auch 30 Jahre nach dem britisch-argentinischen Krieg nicht beigelegt. Das hat nicht nur historische, sondern auch geopolitische Gründe: In unmittelbarer Nähe der Inseln wird derzeit nach Öl gebohrt.
Landeanflug auf Mount Pleasant. Der Militärflughafen verbindet die Falklandinseln im Südatlantik mit dem Rest der Welt. Einmal im Monat gibt es sogar einen Flug aus Argentinien. Die Maschine aus Chile ist kurz in Rio Gallegos in Patagonien gelandet, hat dort Dutzende argentinischer Veteranen aufgenommen.

Vor 30 Jahren waren die Männer schon einmal auf den Falklands. Damals besetzten sie die Inseln, kämpften gegen die britischen Truppen und verließen nach zehn Wochen das Archipel. Geschlagen, gedemütigt, frustriert. Juan und Orlando kehren mit einigen ihrer Kameraden zum ersten Mal nach 30 Jahren wieder auf die Falklands zurück, unsicher blicken sie auf dem Militärflughafen umher. Lange haben die beiden ihre Rückkehr auf die Malvinas, wie sie die Falklandinseln bezeichnen, hinausgezögert. Irgendwann ging es aber nicht mehr.

Juan: "Ich möchte eine Etappe meines Lebens abschließen. Und mich natürlich von unseren Kameraden, die dort begraben sind, verabschieden."

Orlando: "Das geht mir alles schon sehr nahe, das sind starke Gefühle. Ich habe einen Teil meines Lebens und meiner Geschichte auf diesem Land hinterlassen."

Es geht vom Militärflughafen Mount Pleasant nach Stanley, der Hauptstadt der Inselgruppe. Baumloses, meist flaches Land bestimmt das Bild der Falklands. Manchmal durchbrechen schroffe, silberfarbene Felsen und Berge die Ebenen. Hinter den kargen, ockerfarbenen Flächen sind lange Küstenstreifen zu sehen. Wortlos und in Gedanken versunken blicken die argentinischen Veteranen aus den Scheiben des Busses. Walter Saravai, der aus Corrientes in Nordargentinien stammt, beobachtet Möwen und Trappen, die auf den Feldern nach Futter suchen. Erinnerungen kommen hoch:

"Als die Verpflegung nicht mehr ausreichte, holten wir uns die Trappen und Möwen. Mann, war das ein zähes Fleisch. Manchmal lief uns auch ein Schaf über den Weg. Und einmal schlachteten wir zwei Kühe, die wir fanden. Da gab's dann ausnahmsweise Rindfleisch, unser traditionelles Asado."

Plötzlich sieht Walter im Vorbeifahren ein mit Stacheldraht abgegrenztes Areal. Rote Schilder mit Totenköpfen warnen davor, das Gelände zu betreten. "Danger, Mines" steht darauf. Minengebiet. Walter und seine Kompanie waren es, die vor 30 Jahren an dieser Stelle die Minen legten.

"Es war damals wie ein Fußball-Derby. Du willst gewinnen, und alles ist erlaubt. Egal ob man mit der Hand ein Tor erzielt oder wie auch immer. Wir waren jung. Entweder sie überlebten oder wir. Wir waren Feinde."

Der Engländer Guy Lucas und sein Team bekämpfen noch heute die Folgen dieser Feindschaft. 115 Minenfelder haben die Argentinier auf der Inselgruppe hinterlassen, an diesem Tag werden die Minensucher ganz in der Nähe von Stanley fündig. Guy hat eine Personenmine gefunden. Er legt sich auf den Boden, untersucht das Gelände. Vorsichtig lockert er den Boden seitlich der kleinen grünen Dose:

"Man kann sich kaum vorstellen, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Entweder man liegt auf dem Bauch oder geht dann mit den Instrumenten umher. Und man muss immer gut zuhören. Mit dem heftigen Wind ist das nicht ganz einfach. Das erfordert von den Minensuchern aus Zimbabwe ganz besondere Fähigkeiten."

Guys Team besteht aus 18 Minensuchern aus Zimbabwe, absolute Spezialisten. Ihr gefährlicher Job hat sie schon auf alle Erdteile geführt. Seit drei Jahren suchen sie im Auftrag der britischen Regierung während der vier Sommermonate von Dezember bis März die Falklands nach Minen ab. Es bleibt noch viel Arbeit. Mehr als 20.000 Personen- und Panzerminen liegen hier noch verstreut.

Auch in der Nähe des argentinischen Soldatenfriedhofes von Darwin, rund eine Autostunde von Stanley entfernt, gibt es Minenfelder. Die Veteranen gehen schweigend an den Stacheldrahtzäunen vorbei. Heftiger Wind zerzaust ihre Haare. Für die ehemaligen Soldaten kommt der schmerzlichste Moment dieser Reise in die Vergangenheit, es ist aber auch der Moment, den sie am sehnlichsten erwartet haben. Sie treffen ihre gefallenen Kameraden. Orlando Ruffino kniet vor einem Grab, hält inne. Nach einigen Minuten steht er auf. Orlando ist froh, dass er zurückgekehrt ist:

"Leutnant Estevez. Ich möchte ihm einfach an dieser Stelle die Ehre erweisen, die er verdient. Er war eine große Persönlichkeit. Als Soldat und als Mensch. Er führte unsere Kompanie an, war immer unser Vorbild, ging immer voran, und er gab sein Leben in Erfüllung seiner Mission."

Leutnant Estevez, Orlando Ruffino und die gesamte Kompanie betraten am ersten Tag der Invasion, am 2. April 1982 die Malvinas, die von den Briten seit 1833 besetzten Falklandinseln. Seit dieser Zeit erhebt Argentinien Anspruch auf das Archipel. "Las Malvinas son argentinas", die Malvinas gehören zu Argentinien, ist eine feste Parole, die überall in dem südamerikanischen Land zu hören und zu lesen ist. 1982, zu einer Zeit als in Argentinien die Militärjunta regierte, entschlossen sich die Generäle, die Inseln zu stürmen.

Ursprünglich wollten sie nur eine kleine Verwaltung aufbauen, um die Briten dazu zu bringen, über den Status der Inselgruppe im Südatlantik zu verhandeln. Doch die Falken in der Militärjunta behielten die Oberhand. Argentinien besetzte die Malvinas, bis die Briten hart zurückschlugen. Gut drei Monate dauerte der Falklandkrieg. Argentinien hatte der militärischen, logistischen und strategischen Übermacht des Vereinigten Königreiches nur wenig entgegenzusetzen. Nach einigen Anfangserfolgen wendete sich das Blatt schnell zu Gunsten der Briten. Am 14. Juni 1982 kapitulierte das südamerikanische Land. 655 argentinische Soldaten starben während des Krieges, 253 Briten.

Unmittelbar neben dem Soldatenfriedhof von Darwin befindet sich der Weiler "Goose Green". Hier tobte eine der heftigsten Schlachten des Krieges. Orlando und seine Kameraden von der Kompanie streifen über das Gelände. Ein alter rostfarbener, etwa vier Meter hoher Wasserbehälter steht auf dem kargen Boden. Deutlich sind die Einschusslöcher zu sehen. Patronen und Schrapnelle liegen herum. Generatoren wurden zurückgelassen, die nun vor sich hinrosten.

Orlando und seine Kameraden vom ehemaligen Infanterieregiment 25 fühlen sich um 30 Jahre zurückversetzt. Dann geht es zurück zum Soldatenfriedhof. Die Veteranen ziehen verstohlen die argentinische Flagge heraus, halten sie hoch und stimmen die Nationalhymne an.

Orlando Ruffino ist stolz, dass die argentinische Flagge auf den Malvinas weht, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Hastig wird sie wieder gefaltet und eingepackt. Orlando hat Tränen in den Augen:

"Klar, dass ist schon heftig. Wir sind dabei, wenn hier unsere Flagge weht. Natürlich sind wir vorsichtig, weil wir wissen, dass die Briten es nicht erlauben, dass wir unsere nationalen Symbole zeigen. Aber es musste sein. Nur, um daran zurückzudenken. Mehr ist es ja nicht. Aber es war notwendig."

Aufgeheizte Stimmung vor einer mit Spannung erwarteten Pressekonferenz von Cristina Kirchner zu den Malvinas. Die Anhänger der Präsidentin stimmen im Regierungsgebäude in Buenos Aires die alten peronistischen Kampflieder an. Gesänge wie bei einem Fußballspiel. Und der Gegner heißt England, daran lässt Cristina Kirchner keinen Zweifel:

"Es ist ein Anachronismus, dass es im 21. Jahrhundert noch Kolonien gibt. Weltweit gibt es nur noch 16 Fälle, zehn davon gehören zu England. Dazu kommt, dass sie unsere Rohstoffe plündern. Die Fischgründe und das Öl. Es gibt keinerlei Umweltschutzvorkehrungen. Da kann es jederzeit ein ökologisches Desaster geben."

Argentiniens Standpunkt hat sich seit Jahren nicht verändert. Das Land will - wie es die entsprechende UNO-Resolution vorsieht - über den Status der Malvinas verhandeln. Doch die Briten weigern sich. Für sie gibt es nichts zu verhandeln. Sie verweisen auf das Selbstbestimmungsrecht der Kelper, wie die Inselbewohner genannt werden. Und die haben sich wiederholt eindeutig dafür ausgesprochen, Teil des Vereinigten Königreiches zu sein. Präsidentin Cristina Kirchner spricht den englischen Premier David Cameron direkt an. Er solle dem Frieden eine Chance geben.

Der Mann, der England auf den Falklandinseln vertritt, heißt Nigel Haywood. Er ist der Gouverneur des Archipels. Ein Brite durch und durch. Für Nigel Haywood gibt es überhaupt keinen Grund, dass sich die Falklandinseln enger an Argentinien binden:

"Jeder hier erinnert sich an die Ereignisse von vor 30 Jahren. Sie gaben aber auch den Startschuss, die Inseln zu entwickeln. Es ist eigentlich paradox. Aber seit damals haben sich die Falklands viel besser entwickelt. Vielleicht, weil sie eingenommen wurden und die Menschen hier sie danach bestmöglich voranbringen wollten. Es waren 30 Jahre mit einem kräftigen wirtschaftlichen Wachstums und sozialen Verbesserungen."

Die Falklandinseln sind von Großbritannien wirtschaftlich unabhängig. Ihre Einnahmen bestreiten sie aus Fischfang, Tourismus und Schafzucht. Künftig könnte noch Rohöl dazukommen. Derzeit wird in unmittelbarer Nähe der Inseln nach Öl gebohrt. Angeblich können in einigen Jahren bis zu 500 Millionen Barrel Rohöl gefördert werden.

Eminent wichtig für Großbritannien ist die geopolitische und strategische Lage der Inseln. Die Falklands sind der britische Brückenkopf zur Antarktis. Nicht zuletzt durch den Klimawandel hat dort eine atemberaubende Jagd auf Rohstoffe eingesetzt. Öl, Gas, Diamanten werden unter dem Packeis vermutet, dazu wertvolle Metalle wie Nickel, Blei und Platin.

Gouverneur Nigel Haywood glaubt, dass die heftigen verbalen Angriffe, die aus Argentinien derzeit kommen, nicht zuletzt auf die jüngsten Ölbohrungen zurückgehen. Argentinien habe handfeste wirtschaftliche Interessen, sich auf den Falklandinseln einzurichten. Für den Falkland-Governor ist das nichts anderes als jener Kolonialismus, den die Argentinier sonst immer den Briten vorhalten:

"Argentinien hat das Ziel, die Falklandinseln zu übernehmen, und zwar gegen den ausdrücklichen Wunsch der Bevölkerung der Insel. Das ist ziemlich genau die Definition von Kolonialismus. Für uns ist das Selbstbestimmungsrecht das Wichtigste. Die Bevölkerung soll selber entscheiden, wer sie regieren soll. So sieht es auch die UNO-Charta vor. Davon entfernt sich Argentinien leider."

Für die argentinischen Veteranen ist die Zeit auf den Falklandinseln, ihren Malvinas abgelaufen. Es geht zurück in die Heimat. Ankunft in Rio Gallegos in Patagonien, wo sie von Dutzenden von Angehörigen und einer Militärkapelle empfangen werden. Die argentinischen Veteranen wie Orlando kehren in ihre Heimat zurück und sind um eine Erfahrung reicher: Sie sind auf Ihren Malvinas nicht willkommen, zu tief sitzen dort die Wunden der Invasion im April 1982.

Auf dem Flughafen von Rio Gallegos in ihrer patagonischen Heimat sind die trüben Gedanken aber bald verflogen. Viele Hände klopfen auf die Schultern. Hier in Argentinien sind sie die Helden der Malvinas. Und ja, hier in der Heimat gibt es keine Zweifel. "Las Malvinas son argentinas", die Malvinas gehören zu Argentinien.

Orlando Ruffino: "Das ist im Herzen eingraviert. Wie die anderen auch habe ich um die Inseln gekämpft, versucht, sie zurückzuerobern. Wir haben das in unseren Genen. Man muss ja nicht einmal Argentinier sein, um das zu verstehen. Es genügt ein Blick auf eine Landkarte, um zu sehen, wie die Inseln liegen. Und dann zu wissen, dass sie derzeit von einem Land regiert werden, das 14.000 Kilometer entfernt liegt. Es gibt geografische und historische Gründe für unseren Standpunkt. Und man kann ihn aus geografischen und historischen Gründen nachzuvollziehen. Ich bin davon überzeugt, dass die Inseln zu Argentinien gehören."