Insektenschwund in Rheinland-Pfalz

Kampf für Artenvielfalt und gegen Glyphosat

Eine Hummel fliegt die Blüte einer Phacelia (Bienenfreund) an.
Eine Hummel fliegt die Blüte einer Phacelia (Bienenfreund) an. © picture alliance/dpa/Foto: Frank May
Von Anke Petermann · 27.10.2017
Die Biomasse aller Insekten ist in den vergangenen Jahren massiv zurückgegangen. Mit dafür verantwortlich soll der Unkrautvernichter Glyphosat sein. Umweltschützer sind deshalb gegen eine weitere Zulassung und kämpfen in Rheinland-Pfalz für Wildkräuter, Insekten und Vögel.
Die Pfalz ist die Frühkartoffel- und Gemüsekammer der Nation – mit endlosen Ackerflächen. Am Horizont einige Windräder, aber kaum ein Baum, kaum eine Hecke. Am Himmel: keine Feldlerche. Zu hören: kein Gezwitscher. Ab und zu dröhnen Militärmaschinen vom US-Fliegerhorst Ramstein übern Himmel. Kaum weiße Schafgarbe oder blaue Wegwarte am Feldrand.
Dichte, wilde Blütenpracht entfaltet sich dagegen auf meterbreiten Streifen längs einiger Felder im südpfälzischen Offenbach an der Queich – nicht ganz zufällig allerdings. Die Uni Koblenz-Landau experimentiert hier auf dem Bioland-Gemüsehof von Ralf Gensheimer mit sogenannten "Blühstreifen".
Nach Schweizer Vorbild lässt der Landauer Professor Martin Entling verschiedene Mischungen aussäen und untersucht gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe "Ökosystemanalyse", wie die bunte Flora den Bestand an Insekten beeinflusst.
"Ein Problem, das viele Arten in den Agrarlandschaften heute haben, ist, dass es kaum ein Blütenangebot gibt. Die Kulturen blühen nicht oder sind windbestäubt wie Getreide – oder Mais natürlich auch. Und solche Tiere wie Florfliegen, Schwebfliegen, Marienkäfer, die eben wichtig sind als Feinde von Blattläusen, mit denen die Blattläuse eben sehr schnell wieder verschwinden, bevor sie auch Schaden anrichten, die finden keine Blüten mehr, wo sie den Nektar saugen können, den sie als Treibstoff benötigen. Und wenn man das dann zur Verfügung stellt in geeigneter Form mit solchen Blühstreifen, dann kann man Probleme an anderen Stellen hoffentlich vermeiden. Und man fördert gleichzeitig die Artenvielfalt."

Besuch auf den Versuchsfeldern

An diesem Nachmittag besichtigt die Arbeitsgruppe gemeinsam mit den teilnehmenden Landwirten und deren Beratern die Versuchsfelder. Sonja Pfister, Doktorandin in der AG, zückt ihre Becherlupe und muss zwischen den hellblauen Blüten-Ähren der büschelartig wachsenden Phacelia nicht lange jagen, bis sie eines der Insekten mit gelben Querstreifen auf dem Rücken findet.
"Also, ich lass die Blüte mal mit drin, dann ist die nämlich nicht so gestresst."
"Phacelia mit Hummel, toll."
Pfister reicht die Becherlupe rum.
"Wer mag die Hummel sehen? Also, das ist ebenso eine Erdhummel, die halt die häufigsten Hummeln sind, und die am besten auf die Agrarlandschaft angepassten Hummeln sind."
Erdhummeln sind Generalisten, den Nektar verschiedenster Blüten sammeln. Sie gehören zu der Hälfte der fast 600 Wildbienen-Arten, die noch nicht auf der Roten-Liste stehen. Aber eine Erdhummel im Phacelia-Malven-Borretsch- Feld macht noch keine Artenvielfalt, weiß Sonja Pfister. Die Biologin schaut auf noch mal auf das pelzige Insekt in der Becherlupe.
"Diese hier ist jetzt keine seltene. Wenn die mehr unterschiedliche Eigenschaften halt haben, wenn man mehrere Arten hat, sagt man, ist man besser abgepuffert gegen verschiedene klimatische Veränderungen und auch eben Veränderungen mit Krankheiten."
Pfister wendet sich dem Blühstreifen gegenüber zu. Eine andere Versuchsfläche mit mehr Lippenblütlern. Gleichzeitig Abstandsfläche zwischen Gensheimers Öko-Paprika und den konventionellen Zuckerrüben des Nachbarn. Die Nachwuchs-Forscherin hängt sich über Rettich-Blüten, präsentiert kurz darauf erst eine Furchen- und dann eine Sandbiene in ihrer Becherlupe.
Ein großer Genpool, also vielfältiges Erbgut, macht Tiere und Pflanzen widerstandsfähig – eine Art Existenzversicherung auch für menschliches Leben. Umgekehrt: wenn Bestäuber-Arten verschwinden, wirkt sich das auch auf das Spektrum vorhandener Pflanzen aus – wie bedrohlich das für die Landwirtschaft und die menschliche Ernährung werden könnte, ist derzeit kaum wissenschaftlich erforscht und nicht vorherzusagen.
Früher verschwanden die Moore, sagt Martin Entling, Leiter der Landauer Arbeitsgruppe Ökosystemanalyse.
"Aber das hat sich stabilisiert, auch teilweise durch Naturschutz. Aber in der Landwirtschaft haben wir nach wie vor: jetzt Paradebeispiel die Feldlerche, wo man noch vor 30 Jahren dachte, die schafft‘s eigentlich immer noch. Und jetzt steht sie auch schon auf der Vorwarnliste. Also ist schon kurz davor, gefährdet zu werden, weil die Bestände stark zurückgehen."

Feldvögel sind in Gefahr

Besonders die Feldvögel sind vom Artenrückgang betroffen. Nach Untersuchungen des Naturschutzbundes NABU sind 65 Prozent der Feldvogelarten vom Verschwinden bedroht. Doppelschnepfe und Zwergtrappe sind schon ausgestorben. Keine Brutplätze, keine Rückzugsräume, keine Nahrung mehr auf und zwischen den Äckern. Artenschwund hat viele Ursachen, weiß der Ökosystem-Spezialist Martin Entling.
"Die Düngung, die heute bei uns, weil man sich’s leisten kann und weil’s die zu kaufen gibt, überall sehr hoch ist, es ist natürlich die intensive Bodenbearbeitung, die da reinspielt. Es sind auch die Anbaufrüchte, also dass man regional sich heute immer stärker spezialisiert auf bestimmte Dinge. Also, es gibt irgendwelche Tomaten-Anbauregionen in Südeuropa und dann wird ganz Europa mit Tomaten beliefert. Und bei uns sind es andere Sachen, das Wintergetreide, was sehr dominant ist, oder – je nach Region. Dadurch nimmt die Vielfalt einfach auch ab an Kulturen in den Landschaften. Und von der Vielfalt der Kulturen hängen eben letztendlich auch Arten ab."
Mit ihren Blühstreifen-Experimenten steuern die Landauer Forscher dem Arten-Crash auf dem Land entgegen. Die Bauern nehmen sie mit ins Boot. Ein sechs Meter breites Wildblumenfeld haben Entling und sein Team zwischen Bauer Gensheimers Öko-Kartoffelacker und dem konventionellen Maisfeld des Nachbarn gesät. Ralf Gensheimer stellte den Streifen als Versuchsgelände zur Verfügung. Ihn interessierte, ob dort, wie von den Wissenschaftlern angenommen, hilfreiche kleine Raubtiere einziehen würden. Und der Biobauer wurde nicht enttäuscht.
"Mir ham hier tatsächlich mit den Blattläusen wenig Probleme gehabt dieses Jahr. Und ich führ‘ das auch auf so ‘n Blütenstreifen zurück, weil die Nützlinge drin leben können, und wenn hier das Fressen ist von den Nützlingen, ist es für die ein Leichtes, da rüber zu fliegen."
Gensheimer deutet aufs Salatfeld, wo Flor- und Schwebfliegen gelandet sind. Ihre Larven haben sich offensichtlich an Blattläusen satt gefressen.
"Is natürlich optimal, ne. Nur müssen wir natürlich irgendwann mal gucke, was mache mir mit derre sechs Meter breite Fläche, weil Gemüse is' jetzt hier die nächschte zehn Jahre eigentlich ni' mehr drin. Das ist ne Opferfläche."
Mähen, die Fläche umbrechen und Möhren einsäen, geht nicht, meint Gensheimer, die würden schnell wieder überwuchert. 300 Stunden Unkraut-Jäten pro Hektar kann Ralf Gensheimer beim Verkauf im Hofladen und auf Wochenmärkten einpreisen, er zahlt dafür Mindestlohn.

Handarbeit vs. Unkrautvernichter

Ab 300 Stunden Handarbeit wird es unrentabel. Ein konventioneller Gemüsebauer wird mit dem Unkraut schneller fertig.
"Wenn man das vergleicht, e Konventioneller macht e Hektar mit der Pflanzenschutz-Spritz‘ in eener Stund‘, un' mir henn 300."
"Oder 15 Minuten, wenn die Fläche groß genug ist. Oder – was brauchst du mit der Spritz’ für ‘n Hektar Unkraut?"
Ackerbau-Berater Heidweiler wendet sich zu Thomas Hoffmann, Gemüsebauer aus Kandel.
"15 Minuten?
"20 Minuten."
"Kommt ja nicht so drauf an, aber der Unterschied zwischen einer Stunde und 300!"
"Ja, is krass, is krass, is krass."
Hoffmann baut im südlichsten Zipfel von Rheinland-Pfalz unter anderem Petersilie und Kürbis an und nimmt an dem Landauer Blühstreifen-Experiment teil. Sein Hokkaido-Kürbis ist auf Bestäuber angewiesen. Und am Wichtigsten dafür sind nicht die Honigbienen, sondern die bedrohten Wildbienen-Arten. Gemüsebauer Hoffmann entschied sich, ihnen blühenden Wohnraum anzubieten.
"Es leuchtet mir auch ein, dass die Biene dann längere Zeit an dem Feld verweilen oder verweilen können – natürlich, das sind die Aspekte."
Hoffmann nutzt allerdings Glyphosat, um seine Gemüse-Äcker unkrautfrei zu halten – "mit Fingerspitzengefühl", sagt er. Der Unkraut-Vernichter ist hoch umstritten, weil er im Verdacht steht, Krebs zu erregen.

Die Ackerwildkräuter werden vernichtet

Ob krebserregend oder nicht – Glyphosat killt die Artenvielfalt auf dem Land, weil es alle Ackerwildkräuter vernichtet, die mit den Nutzpflanzen konkurrieren, so sieht es der Präsident des Deutschen Imkerbundes mit 100.000 Mitgliedern.
"Glyphosat ist ein Breitband-Herbizid, ein Stoff, der in der Agrarlandschaft Beikräuter, Wildkräuter, Unkräuter beseitigt, und das sind Nahrungspflanzen, die den Bienen fehlen. Deswegen lehnen wir in erster Linie den Einsatz in der Landwirtschaft ab, und ich würde mich freuen, wenn es diesen Wirkstoff nicht mehr gäbe."
So Peter Maske auf einer Bienen-Tagung in Mayen in der Eifel.
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