Insekten als Nahrung

Krabbelnde Eiweiß-Kraftpakete

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Chilli, Limetten und geröstete Insekten auf einem Markt in Patong, Phuket, Thailand, Südostasien, Asien | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Werden Insekten in naher Zukunft Rindfleisch, Schwein und Hühnchen ersetzen? Das wird auch auf der Fachmesse INSECTA diskutiert. © picture alliance/dpa/imageBROKER
Guido Ritter im Gespräch mit Dieter Kassel · 06.09.2019
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Insekten-Snacks sind längst nicht mehr nur etwas für Freaks. Ob Heuschrecken oder Mehlwürmer als klimafreundliche Alternative zu Fleisch taugen, beschäftigt auch Wissenschaftler. Für den Ernährungsexperten Guido Ritter sind Insekten ideale Eiweißlieferanten.
Dieter Kassel: Wer aus Umwelt- oder Tierschutzgründen kein Rind, Huhn oder Schwein mehr essen, auf den Fleischgeschmack aber trotzdem nicht verzichten möchte, der hat ja inzwischen mehrere Möglichkeiten. Pflanzliche Ersatzprodukte zum einen, die mindestens so ähnlich schmecken oder aber auch Insekten oder Dinge, die aus Insekten hergestellt werden.
Nicht nur, aber besonders natürlich im Bereich Ernährung geht es gerade auf einer wissenschaftlichen Fachkonferenz in Potsdam, die "INSECTA Conference". Wir nehmen das zum Anlass, um mit Guido Ritter zu reden. Er ist Professor für Ökotrophologie an der Fachhochschule Münster. Können Insekten rein vom Nährwert und ähnlichen Fragen her wirklich Rindfleisch, Schweinefleisch, Hühnerfleisch vollwertig ersetzen?
Ritter: Also alles, was wir bisher erforschen und wissen, ja. Aber man muss zwischen den Insektenarten auch ein bisschen unterscheiden. Nicht alle Insekten sind gleich, und das, was wir aber im Moment züchten und was im Moment in Europa auch verzehrt werden kann, hat von der Menge her die gleiche Proteinquantität. Auch von der Qualität her ist es vergleichbar mit anderen tierischen Eiweißen. Von der Seite her können wir uns tatsächlich eins zu eins von Insekten im Vergleich zu anderen tierischen Eiweißen gut ernähren.

Insekten - gut für alles, was der Organismus braucht

Kassel: Gilt das auch für verarbeitete Produkte? Im Moment ist gerade ein Kult im Internet in gewissen Szenen Mehl, das aus Insektenlarven hergestellt wird. Hat das dann auch einen ähnlichen Nährwert wie Weizen oder Roggenmehl?
Ritter: Bei diesem Mehl handelt es sich um eiweißreiches Mehl. Wir haben einen hohen Anteil an Eiweiß hier mit dabei, und diese Qualität für die Ernährung - nicht nur in Bezug auf Proteine, sondern auch zum Teil auf ungesättigte Fettsäuren, Mineralstoffe und so weiter - ist vergleichbar und von der Seite her eigentlich auch eine gute Quelle. Nicht ohne Weiteres sind es zwei Milliarden Menschen circa, die sich auch von Insekten weltweit ernähren.
Eine Bandnudel der Plumento Food GmbH, die Lebensmittelprodukte entwickelt und vertreibt, die unter anderem Insektenmehl als Bestandteil haben, liegt auf getrockneten Larven des Getreideschimmelkäfers (Alphitobius diaperinus), auch Buffalowurm genannt.
Proteinreich: Pasta aus dem Mehl von zerstoßenen Käferlarven.© picture alliance/dpa/Marijan Murat
Kassel: Aber das Mehl ist ein ganz gutes Beispiel dafür, dass es nicht nur um Fleischersatz geht, wobei das ja auch schon ein schwieriges Wort ist, Fleischersatz, es ist ja in dem Sinne auch Fleisch, sondern es geht auch um verschiedene andere Einsatzmöglichkeiten. Ein Thema, das auf der "INSECTA" in Potsdam diskutiert wird, ist der Einsatz von Insekten oder aus Insekten hergestellten Substanzen in der Tierernährung. Wir haben gerade über Weizen geredet, es werden ja unglaublich viele Flächen verbraucht, um etwas herzustellen, mit dem man dann Nutztiere füttert. Sind auch da Insekten eventuell eine Chance, eine Alternative?
Ritter: Ja, das wird wahrscheinlich auch der erste Schritt sein, esskulturell Insekten bei uns in die Nahrungskette in Europa mit reinzunehmen. Als Futtermittel sind sie genauso gut geeignet, und es ist nur die Frage, wollen wir das tatsächlich auch machen. Wir sind kein Proteinmangelland, Deutschland, wir haben eigentlich genug tierische Proteine verfügbar. Hier geht es eher um die Frage, welches ist vielleicht ethisch besser vertretbar. Effizienter sind Insekten in der Umsetzung auf alle Fälle. Es gibt eine Reihe von Gründen, sie sowohl in Lebensmitteln als auch in Futtermitteln einzusetzen.

Die Turbo-Eiweißproduzenten

Kassel: Was heißt effizienter in dem Zusammenhang?
Ritter: Insekten müssen nicht ihre eigene Körpertemperatur stabilisieren und erzeugen. Das heißt also, sie können ihre ganze Kraft und alles, was sie an Energie aufnehmen, in die Reproduktion stecken und in den Aufbau von Eiweiß, und dementsprechend ist der Umsatz, den Insekten aus Futter in für uns essbares oder für Tiere als Futter essbares Eiweiß umzusetzen, deutlich besser als bei Säugetieren. Säugetiere sind da komplett, selbst der Mensch, komplett ineffizient.
Hier haben wir einen Faktor, der bei Insekten zwei zu eins ungefähr ist. Das heißt also, ich muss zwei Kilo Futter reinstecken, kriege ein Kilo essbares Lebensmittel heraus, und im Vergleich dazu liegen wir bei den Säugetieren im Faktor fünf oder sogar acht oder zehn zu eins. Das heißt also, es ist deutlich effizienter, Insekten zu züchten, um an die gleiche Qualität und Menge an Eiweiß zu kommen.
Gleichzeitig pupsen Insekten nicht, das heißt, wir haben weniger Treibhausgase. Sie mögen es kuschelig und eng, das heißt, wir brauchen weniger Land. Wir müssen weniger Wasser einsetzen. In der Summe ist das also für die Umwelt eigentlich eine bessere Geschichte als das, was wir im Moment mit Säugetieren machen.

Nie richtig in der Esskultur verankert

Kassel: Reden wir eigentlich in diesen und ähnlichen Zusammenhängen von Insekten, die in Europa und in Deutschland ohnehin heimisch sind oder müssten wir da quasi Insekten von der anderen Seite der Welt holen?
Ritter: Auf keinen Fall wollen wir natürlich invasive Arten hier bei uns heimisch machen und diese Problematik also noch verschärfen. In Europa waren Insekten eigentlich nie richtig in der Esskultur verankert, hat auch damit zusammengehangen, dass sie im Winter nicht verfügbar waren, dass sie nicht besonders groß geworden sind.
Im Moment gehen wir von Arten aus, die auch in Europa heimisch sind. Das heißt also, Mehlwürmer spielen da eine besondere Rolle, die Soldatenfliege spielt eine besondere Rolle als Art. Aber da muss man schon genau hinschauen, weil auch Heuschrecken und andere Arten hier vielleicht die Zulassung erreichen. Da bin ich dann auch schon ein bisschen kritischer, was dieses Heimischwerden von fremden Arten angeht. Ich denke, da muss man frühzeitig die Diskussion auch eröffnen.
Im Bild frittierte Heimchen, Acheta domesticus, auf Joghurt und Couscous.
Frittierte Heimchen auf Jogurt an Couscous - vielleicht das Essen der Zukunft.© picture alliance/dpa/www.picturedesk.com/Martin Huber
Kassel: Nun sind Insekten zwar keine Säugetiere, aber Tiere, lebendige Wesen sind sie ja dennoch. Wenn wir nun – davon sind wir in Deutschland extrem weit weg, aber dennoch –, wenn wir mal eine Masseninsektenhaltung hätten, würden sich dann nicht irgendwann doch wieder die gleichen ethisch-moralischen Fragen stellen wie jetzt bei der Nutztierhaltung?
Ritter: Ja, ich finde schon, es sind auch Tiere, und je mehr wir über Tiere wissen, umso mehr stellt sich auch die ethische Frage selbst bei Fischen und Insekten am Ende, können und wollen wir diese auch nutzen und töten? Auf der anderen Seite haben wir hier Massentierhaltung, die eigentlich bei den Insekten artgerecht ist sozusagen. Die mögen es, in großen Mengen zusammenzuleben.
Wir haben auch schon Anfragen von Vegetariern erhalten, die gesagt haben, Mensch, Insekten, ist das eigentlich vegetarisch, passt das eigentlich zu dem, was ich hier mache? Also so ganz klar sind wir uns da noch nicht.
Wir merken es auch in der Bezeichnung. Man spricht nicht von Insektenfleisch im Gegensatz zu Krabbenfleisch oder zu Schweinefleisch. Ich denke, dass das am Ende des Tages auch auf die ethische Frage rauslaufen wird. Da muss jeder Mensch auch für sich entscheiden, mag er und kann er auch Tiere töten, um seinen Essstil zu rechtfertigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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