"Ins Gerede bringen mit allen Mitteln"

13.08.2013
"Ungeschickt" und "Das ist Wahlkampf!" - die Autorin Tanja Dückers kann nur wenig anfangen mit der SPD-Unterstützung von Günter Grass. Die jüngsten Kampfesworte des Literaturnobelpreisträgers seien wenig aktuell. Dückers warnt: Es ist zu befürchten, dass Grass bald mehr über seine politischen Statements als über seine Werke wahrgenommen werde.
Dieter Kassel: Zitat: "Es gab in der Geschichte der sozialdemokratischen Partei keinen schmierigeren Verrat wie den von Oskar Lafontaine an seinen Genossen." Zitat Ende. Mit diesen Worten greift Günter Grass in einem Interview Oskar Lafontaine an und rät seiner Partei, der SPD - seine bezieht sich jetzt auf Grass - zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit der Partei die Linke. Dieses Interview, dieses Gespräch, ist eigentlich Teil eines Buches zum 100. Todestag von August Bebel, aber wie gesagt, in einer autorisierten Fassung, in einer gekürzten autorisierten Fassung, ist es schon heute in der Zeitung erschienen. Und das ist erneut eine Einmischung von Günter Grass auch in die aktuelle Tagespolitik - er sagt der SPD ja auch, was sie tun soll bei diesem Wahlkampf. Das ist nichts neues bei Grass, überhaupt nicht, und doch hat man das Gefühl, ein bisschen hat sich die Sache abgenutzt. Oskar Lafontaine hat sofort zurückgeschossen, aber ansonsten halten sich Reaktionen in Grenzen. Wir wollen über diese Art der politischen Einmischung von Schriftstellern und Kulturschaffenden jetzt mit Tanja Dückers reden, sie ist Schriftstellerin, "Hausers Zimmer" hieß ihr letzter Roman, danach gab es den Gedichtband "Fundbüros und Verstecke", sie ist aber auch als Journalistin aktiv, hat zum Beispiel in der Online-Ausgabe der "Zeit" seit fünf Jahren eine Kolumne, in der sie sich vorwiegend zu gesellschaftspolitischen Themen äußert. Schönen guten Tag, Frau Dückers!

Tanja Dückers: Guten Tag!

Kassel: Finden Sie es grundsätzlich erfreulich, wenn Schriftsteller und Kulturschaffende sich einmischen in politische Debatten?

Dückers: Das kann man nicht pauschal mit "Ja!" oder "Nein!" beantworten. Also was ich schätze, ist eine wohldosierte Einmischung, so würde ich das nennen. Aber wenn Schriftsteller sich klar zu einer Partei bekannt haben, also nicht mehr parteiunabhängig sind, und man eigentlich immer vorher weiß, was sie sagen werden, dann finde ich das - ehrlich gesagt - mäßig spannend. Das einzige wirklich Überraschende, Neue, was wir von Grass in den letzten Jahren gehört haben, ist, dass er Mitglied der Waffen-SS war.

Kassel: Das heißt, dieses Interview, was er gegeben hat, was auch in den ersten drei Vierteln sich mit August Bebel, der Geschichte, beschäftigt und wirklich nicht so spannend ist, das ist für Sie in diesem zweiten Teil, auf den sich die Debatte bezieht mit Lafontaine, reiner Wahlkampf?

""Ja, das ist Wahlkampf!"
"Dückers: Ja, das ist Wahlkampf! Und es ist auch ehrlich gesagt ungeschickter Wahlkampf, weil das Ereignis, auf das Grass rekurriert, liegt 14 Jahre zurück, und Lafontaine ist einfach nicht das Hindernis jetzt, oder wie er sagt, das Hemmnis, was SPD und Linke nicht zueinander bringen würde. Ich weiß nicht, ob Grass bemerkt hat, dass sich Lafontaine weitgehend aus der Bundespolitik zurückgezogen hat. Im Übrigen hat er auch noch in den Zeiten, in denen er aktiver war, auch durchaus für eine Annäherung plädiert. Man kann zwar über diesen Rücktritt von Lafontaine denken, was man möchte - sicher hat er das nicht ganz uneitel inszeniert und viel Tamtam gemacht -, man kann sich auch fragen, ob wirklich die politischen Differenzen im Vordergrund standen oder doch nicht vielleicht viel mehr, dass diese beiden Platzhirsche, Schröder und Lafontaine, es nicht so gut auf der gleichen Wiese ausgehalten haben. Also das sei alles dahingestellt, aber es ist 14 Jahre her und eigentlich nicht wirklich aktuell interessant für den jetzigen Wahlkampf.

Kassel: Gerade wo Sie das sagen, dass Grass vielleicht nicht bemerkt hat, dass Lafontaine inzwischen nur noch im Saarland aktiv ist und so manches andere passiert ist, das war ein Gefühl, das mich auch bei den beiden Gedichten im vergangenen Jahr zu Israel und zu Griechenland ein bisschen beschlich: Meinungen dürfen sein, Meinungen dürfen auch mal heftiger sein, aber ich hatte so das Gefühl, Recherche hält er nicht für nötig vor seinen Äußerungen.

""Sehr auf Parteilinie"
"Dückers: Ja, ich glaube auch, dass er da sehr auf Parteilinie ist, also was jetzt diese neuesten Äußerungen angeht, und dass man vielleicht dann auch so seine Haltung auch nicht noch mal wirklich revidiert oder überdenkt. Natürlich frage ich mich auch, ob jemand sich da immer wieder ins Gerede bringen möchte mit allen Mitteln.

Kassel: Das heißt, ein bisschen Eitelkeit ist - sagen wir vorsichtig - denkbar?

Dückers: Ja, und es tut mir wirklich sehr leid, weil Grass wunderbare Werke geschrieben hat, und schon: Ich merke, dass man auch in den Kulturkreisen, also da ein bisschen an Sympathien verliert, ja? Also er wird jetzt mittlerweile mehr über seine politischen Einwürfe wahrgenommen als über sein Werk, zumindest droht diese Gefahr.

Kassel: Umgekehrt stellt sich natürlich auch die Frage, was legitimiert eigentlich Schriftsteller dazu, sich politisch zu äußern?

Dückers: Ich finde das absolut legitim, wenn sich Schriftsteller politisch äußern. Ich habe selber letztens den in der "FAS" platzierten offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel unterzeichnet, den haben Ilija Trojanow und Juli Zeh, also zwei Schriftsteller geschrieben, da ging es um die NSA-Geschichte, und das habe ich also mit erstunterzeichnet. Ich finde das durchaus richtig, weil Schriftsteller eine interessante gesellschaftliche Position haben: Sie sind nach meiner Vorstellung parteiunabhängig, kritisch begleiten sie die gesellschaftlichen Entwicklungen, sind aber auch in der Öffentlichkeit präsent, sind vielen Leuten bekannt. Ich finde das schön, wenn es solche Stimmen gibt, und auch Stimmen, wo man nicht immer genau weiß, was jemand vorher sagt, wenn jemand eigenständig denkt. Deshalb finde ich das schon wichtig und richtig, und es gibt genug Länder, in denen Schriftsteller sich nicht frei äußern dürfen, oder nur auf Parteilinie sein dürfen. Und insofern begrüße ich das schon. Aber man muss es eben wohl dosieren, und es ist natürlich auch ein Problem, wenn Schriftsteller meinen, sie müssten sich zu allem und jedem ständig äußern.

Kassel: Sie haben gesagt: "nicht parteigebunden" - das ist natürlich bei Grass nicht der Fall, es ist auch bei anderen nicht der Fall, es gab eine Broschüre der SPD zum aktuellen Wahlkampf, das war eine kulturpolitische Broschüre, wo sich viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen auch beteiligt haben, manche nicht so richtig bekannt, manche mittelbekannt. Ist das für Sie grundsätzlich die Überschreitung einer Grenze, wenn sich ein Künstler öffentlich zu einer bestimmten Partei bekennt?

Dückers: Ich mache das nicht, ich äußere auch nicht öffentlich, welche Partei ich wähle. Ich habe das auch mal in einem Essay dargelegt, ich finde es wichtig, dass man wirklich unabhängig bleibt, dann kann man auch nicht instrumentalisiert werden von irgendeiner Seite, und man ist selber freier im Urteil, und wie gesagt, also auch in Deutschland. Es gab genug Zeiten, wo man sich nicht die Freiheit erlauben durfte, anderer Meinung zu sein als die Regierung, das ist doch schön, dass man das jetzt sein kann. Ich verstehe nicht ganz, warum man diese intellektuell unabhängige Position aufgibt, um einer Partei sich so anzudienen. Aber ich respektiere, dass das manche Kollegen machen, aber ich ziehe das vor, das nicht zu tun.

Kassel: Ja, was heißt "andienen". Wenn man zum Beispiel der Meinung ist, wir brauchen einen Wechsel - jetzt in diesem konkreten Fall, ich unterstelle Ihnen hier nichts, nicht, dass Sie das sind, das will ich auch gar nicht wissen -, aber wenn man der Meinung ist, ich möchte dazu beitragen, dass die nächste Bundeskanzlerin nicht Frau Merkel ist, hat man dann nicht das Recht, zu sagen, und deshalb schlage ich vor, wählt die SPD?

""Wichtiger, inhaltlich für etwas zu streiten, als jetzt Farbe zu bekennen"
"Dückers: Doch, absolut, also ich habe für einen Wechsel, habe ich auch plädiert an irgendeiner Stelle, aber das heißt noch nicht, dass man genau sagt, wen man wählt. Das ist noch ein Unterschied. Also ich setze mich politisch für bestimmte Projekte ein, also für bestimmte Ziele, und die können parteiübergreifend sein. Das finde ich wichtig, dass man sich schon politisch äußert aber eben auf bestimmte Themen bezogen, ob das jetzt Sozialpolitik ist, ob das jetzt Asylpolitik ist, da gibt es einiges, wo ich das durchaus spannend finde. Aber die Parteien nähern sich auch zum Teil immer mehr an, also die Position der CDU kann morgen die der SPD sein. Ich weiß nicht, warum ich mich da so öffentlich festlegen soll, und das haftet einem dann ja auch an, ja? Also ich finde es wichtiger, inhaltlich für etwas zu streiten, als jetzt Farbe zu bekennen.

Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit der Schriftstellerin Tanja Dückers über politische Einmischung, aber eben, wie sie gerade gesagt hat, idealerweise nicht parteipolitische Einmischung durch Schriftsteller und andere Kulturschaffende. Anlass sind die aktuellen Äußerungen von Günter Grass. Es gab Zeiten, Frau Dückers, da hat Grass was gesagt, und dann tobte die ganze Welt: Die einen fanden es toll, und die anderen waren natürlich dagegen, völlig normal. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, mal gucken, was morgen in den Zeitungen steht, aber online heute, so wild ist die Diskussion nicht. Hat da nur möglicherweise Grass ein bisschen an Gewicht verloren oder hat das auch was mit unserer Medienlandschaft zu tun?

Dückers: Ich glaube, ehrlich gesagt, beides. Grass hat sich in den letzten Jahren einfach wirklich oft öffentlich geäußert, und seine Äußerungen sind auf viel Dissens gestoßen. Ich glaube, dass man sich nicht mehr so aufregt. Und dann, das ist vielleicht auch ein bisschen seinem Alter geschuldet, er ist jetzt 85 - wer weiß, was man selber mal mit 85 so erzählen wird, also vielleicht gibt es auch so ein bisschen eine nachsichtige Haltung, und das ist gewissermaßen fair, dass man nicht alles, was er jetzt noch sagt, immer gleich so kritisch überprüft, wie man das vielleicht vor 20 Jahren gemacht hat. Und natürlich finden sich überall ständig politische Äußerungen in der Medienlandschaft, die auch etwas übersättigt ist. Also das kann auch damit zu tun haben, ich glaube aber, dass es schon mit der Omnipräsenz auch von Grass zu tun hat.

Kassel: Aber ein bisschen, das höre ich heraus, sage ich mal, früher hatte der Schriftsteller auch den Vorteil, ab einem gewissen Bekanntheitsgrad, er fand dann eben auch eine Zeitung oder ein anderes Medium, das ihn reden ließ, das ist ja heute egal. Heute kann sich ja in Blogs, bei Facebook, bei Twitter eigentlich jeder, der will, öffentlich, oder zumindest scheinbar öffentlich politisch äußern.

""Grenze zwischen privat und öffentlich ist halt viel diffuser geworden"
"Dückers: Ja, das ist sicher richtig, das ist natürlich zum Teil auch schade, weil dann auch interessante und gute Ansätze nicht so wahrgenommen werden. Wir haben eine unheimliche Pluralisierung der Medienlandschaft. Das hat eben Vorteile, also hinsichtlich dessen, dass man eben nicht erst sonst wie bekannt und berühmt sein muss, um sich öffentlich äußern zu können, aber der Begriff der Öffentlichkeit, also die Grenze zwischen privat und öffentlich ist halt viel diffuser geworden, und manch einer wird eigentlich, obwohl er sich in einem Blog äußert, im Grunde nur von seinen Wohnzimmerkollegen wahrgenommen und erreicht keine Öffentlichkeit. Also das ist eine grundsätzliche Entwicklung des Begriffes Öffentlichkeit, die eben mit der technischen Entwicklung korreliert.

Kassel: Glauben Sie - das ist ein bisschen jetzt aufgrund Ihrer eigenen Position eine böse Frage -, aber glauben Sie, dass es die Wähler am Ende interessiert, was irgendwelche Prominenten sagen über Politik?

Dückers: Na ja, Grass ist natürlich schon wirklich ein Prominenter. Also ich weiß nicht, es wird nicht jeder so wahrgenommen werden, aber ich glaube ehrlich gesagt, bei diesen Äußerungen von Grass jetzt nicht, dass das jemanden davon abhalten oder überzeugen wird, die SPD zu wählen, und ich glaube auch, dass die meisten Wähler jetzt auch nicht Oskar Lafontaine für das zentrale Thema dieses Wahlkampfes halten, als dass jemand das jetzt wirklich dazu bringt, sein Kreuzchen woanders zu setzen.

Kassel: Die Schriftstellerin Tanja Dückers über die Rolle von Autoren in der politischen Debatte im Allgemeinen und bei Günter Grass im Besonderen. Frau Dückers, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!

Dückers: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.