Marcel Schütz ist Promotionsstipendiat des Landes Niedersachen an der Universität Oldenburg. Er lehrt Soziologie und Betriebswirtschaft an der Universität Bielefeld und der Northern Business School Hamburg. Forschung über Reform und Veränderung in Organisationen. Aktuelle Buchveröffentlichung: "Unverstandene Union. Eine organisationswissenschaftliche Analyse der EU" (mit Finn-Rasmus Bull).
Mit dem Unberechenbaren rechnen!
Wieso haben Startups und innovative Ideen es so schwer hierzulande? Weil der praxisnahen Innovationsförderung ein Hindernis im Weg steht: die Vorstellung von der konsequent geplanten, vollkommen steuerbaren Innovation. Nur kein Wagnis eingehen.
Alle feiern die Innovation. Sie steht für die Zukunft der Wirtschaft und niemand begnügt sich gern mit einem "Weiter so!". Doch liegen das Reden über und die Praxis der Innovation oft weit auseinander.
Wer heute an einem Startup tüftelt, braucht mehr als nur langen Atem. Von der originären (und bestenfalls originellen) Idee bis zum finalen Produkt ist es ein langer und steiniger Weg.
Deshalb fördert auch die öffentliche Hand Gründungsprojekte. Doch Gelder und fachliche Ressourcen sind knapp. Es gibt viele Zugangshürden und der Erfolgsdruck ist hoch. So manches kluge Vorhaben ist passé, bevor es seinen Markt findet.
Genug Platz für Startups
Die Wirtschaft ist also gefragt. Die klagt laut über den "Stau" oder "Mangel" an Innovation. Dabei könnte sie weit mehr tun.
Im angelsächsischen Raum ist man weiter. Dort betreiben Unternehmen selbst Fördereinrichtungen, Inkubatoren genannt. Studierende und Absolventen der Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften erproben in ihnen Ideen. Flexibel und unkompliziert. Und die Bereitschaft zum Investieren von Risikokapital ist hoch.
Genau das sollte man erst recht in den bequemen Komfortzonen der typisch deutschen Aktiengesellschaft erwarten. In ihrer opulenten Struktur gibt es unzählige Nischen für pfiffige Startups, die später vielleicht einmal wertvoll sind.
Und wenn es nicht klappt? Die Unternehmenstanker können so oder so profitieren: von Innovatoren, die einiges an Entbehrung in Kauf genommen und Fleiß unter Beweis gestellt haben. Die jungen Gründer lernen das Haus von innen kennen und können sich an vielen Stellen nützlich machen.
Die Idee der geplanten Innovation
Weshalb sucht man diesen Pragmatismus weitgehend vergeblich? Und wieso eigentlich fehlt er genau dort, wo die finanziellen Verhältnisse eine vorzügliche Ausstattung bieten? Wer hohe Millionengehälter für die Vergütung der Führungsebene aufzubringen bereit ist, der könnte solche Innovationsprojekte eigentlich aus der Portokasse bezahlen.
Leider steht dieser praxisnahen Innovationsförderung ein Hindernis im Weg: nämlich die Vorstellung von der konsequent geplanten, vollkommen steuerbaren Innovation. Nur kein Wagnis eingehen.
Innovationen sollten am besten wie der Strom aus der Steckdose kommen – gleichmäßig und dosierbar. Dabei sind sie in erster Linie Akte des Austestens, Verwerfens und Umplanens. Zündende Einfälle entstehen in den kleinen Momenten des großen Zufalls. So kann es sein, dass aus initialen Gedankenblitzen überraschend anderes hervorgeht.
Problem und Lösung finden sich oft per Zufall
Das entdeckte bereits vor vielen Jahren ein Team um den Managementforscher Michael Cohen bei der Untersuchung organisatorischer Veränderung. Die Zuordnung von Problemen und Lösungen ist von ungeplanten Entwicklungen und persönlichen Interessen geprägt. Wie in einem Papierkorb, so das Forscherteam, vermengen sich Schnipsel und Schichten, sprich Einfälle und Entscheidungen.
Es entstand die Metapher vom "Mülleimer-Modell": Dort wo Neues zustande kommt, werden nicht einfach Lösungen für Probleme entwickelt. Vielmehr werden Lösungen gefunden, die schon in der Welt sind. Das Neue ist oft genug die Variation des Alten.
Auch kleine Umwege finanzieren
Worauf kommt es bei Innovationen also an? Wo sie gedeihen sollen, darf man nicht zu knapp kalkulieren. Kleine organisatorische Polster, in der Ökonomie spricht man vom "Slack", sind brauchbar. Sicher, das widerspricht der verbreiteten Vorliebe für betriebliche Hungerkuren. Der Slack soll Gründer aber nicht zum Ausruhen verleiten, sondern erkenntnisreiche, zuweilen erfolgreiche Umwege erlauben.
Das Problem vieler Unternehmen ist, dass es ihnen schwer fällt, mit dieser Unberechenbarkeit zu rechnen. Genau das aber sind Innovationen zuvörderst: unberechenbar. Je regulierter und planmäßiger Innovationsprozesse hergerichtet sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie ihrer eigenen Logik zum Opfer fallen. Ausgerechnet eine hochselektive Innovationsförderung für wenige Erkorene ist bestens dazu angetan, alles Mögliche zu sein, eines jedoch nicht: förderlich für Innovation.