Innerdeutsche Grenze

Mit Aktien die Umwelt schützen

Die ehemalige innerdeutsche Grenze
Fast 1400 Kilometer schlängelt sich die ehemalige Grenze durch Deutschland. © dpa / picture alliance
Von Lutz Reidt  · 04.11.2014
Entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze hat sich ein einzigartiges Biotop entwickelt. Doch es ist in Gefahr, könnte in Straßen oder Ackerland umgewandelt werden. Das wollen Umweltschützer verhindern - und bedienen sich einer Maßnahme aus dem Börsenhandel.
Im Paradies für Wasservögel wurde früher Ton abgebaut. Die Bagger sind längst verschwunden, geblieben ist ein rund 700 Meter langer Teich. Von Schilf gesäumt, mit einer kleinen Insel und bizarren, toten Bäumen mitten im Wasser. Auf den kahlen Ästen hocken weißgefiederte Reiher und metallisch-schwarz schimmernde Kormorane.
Der Biologe Dieter Leupold vom BUND Sachsen-Anhalt steht in einer Holzhütte auf einem kleinen Hang und hat mit dem Fernglas das Ufer im Blick:
"Aufgrund der Größe des Gewässers ist es auch interessant als Schlafplatz für nordische Gänse und Singschwäne, die dann ab Oktober hier doch in beachtlichen Stückzahlen - immerhin bis zu 5.000 Gänse haben wir hier schon zählen können - einfallen. Es ist auch gleichzeitig dadurch ein wichtiges Nahrungsgebiet für den Seeadler geworden. Der hat sich - wir vermuten, dass das wesentlich mit diesem Renaturierungsprojekt zusammenhängt - vor sieben oder acht Jahren dann auch hier auf der niedersächsischen Seite in einem ausgedehnten Waldgebiet neu angesiedelt."
Dieser Seeadler ist wahrhaft ein Grenzgänger. Er brütet im Wendland, also in Niedersachen. Und er jagt hier in der Altmark, an den Brietzer Teichen in Sachsen-Anhalt.
Bereits 700 Hektar Fläche angekauft
Der BUND hat dieses Gebiet erworben und renaturiert, um es dauerhaft zu sichern. Möglich wurde dies durch Spenden, und zwar durch den Verkauf von Anteilscheinen. Nur dass diese Aktien nicht an der Börse gehandelt werden, sondern Naturfreunde ansprechen sollen, die ihren Beitrag am Erhalt der Biotopkette leisten möchten. Liana Geidezis vom Projektbüro Grünes Band in Nürnberg:
"Wir haben jetzt bis heute ca. 25.000 Anteilseigner am Grünen Band. Diesen Grüne-Band-Anteilschein kann man ja für 65 Euro Spende bekommen und da ist man dann symbolischer Anteilseigner; zusätzlich aber noch zu diesen Anteilscheinen gibt es seit dem Jahr 2012 die Grüne-Band-Patenschaften; mittlerweile haben wir schon 2.000 Paten; die Paten geben uns monatlich über einen längerfristigen Zeitraum Geld, so dass man dann auch besser planen kann; und da waren wir bislang ganz erfolgreich und haben 700 Hektar Grüne-Band-Flächen bisher ankaufen können."
Schwerpunkte dieser Ankauf-Strategie verteilen sich auf acht Modellregionen entlang der fast 1.400 Kilometer langen Biotopkette des Grünen Bandes. Verkäufer sind meist Privatleute, deren Familien im Zuge der deutschen Teilung enteignet wurden und die jetzt ihren Altbesitz zurückbekommen haben. Manchmal jedoch haben diese "Alteigentümer" wenig Interesse an diesen Flächen. Und dann schlägt die Stunde der Naturschützer. Doch wehe, es kommen fette Lössböden auf den Markt. Dann wird es schwierig:
"Genau, das ist überhaupt nicht einfach. Der Flächenankauf wird generell immer schwieriger. Auch im Grünen Band, leider! Der Flächenhunger wird immer größer. Stichwort: Energiemais, Energiepflanzen; also, da hat uns der eine oder andere Landwirt eine Fläche vor der Nase weggeschnappt, wo ein Privatmensch schon geneigt war, diese Fläche zu verkaufen, zu einem Preis, den sich ein Naturschutzverband leisten kann; aber dann kommt ein anderer Landwirt und bietet das Doppelte; und zack - war die Fläche weg."
Auch die Ufer eines vergessenen Grenzbaches wurden durch diese Ankaufstrategie gesichert - links das Wendland, also Niedersachen. Rechts die Altmark, also Sachsen-Anhalt.
Schwarzstörche, Eisvögel und Fischotter tummeln sich in dem Areal
Unweit der Brietzer Teiche schlängelt sich der Harper Mühlenbach durch sumpfige Niederungen. Gesäumt von alten Erlen und Eschen plätschert der Grenzbach durchs Dickicht, über Steine hinweg und unter morsche Baumstämme hindurch, die dick mit Moos bepackt sind.
Hin und wieder sausen "fliegende Edelsteine" übers sprudelnde Wasser, mit dunkelgrünen Flügeldecken, oben türkisblau und unten zimtrot - die Eisvögel.
Ringsum schreiten Weißstörche durch feuchte Wiesen und suchen nach Fressbarem, während sich Ihre dunklen Verwandten - die Schwarzstörche - in den schummerigen Uferwäldern verbergen.
Der ehemalige Kfz-Sperrgraben ist längst mit Wasser gefüllt. Fischotter planschen darin herum und nutzen die langgezogenen Gräben als Autobahn, um von einem Gewässer zum anderen zu kommen
Ob Schwarzstörche, Eisvögel oder Fischotter - sie alle konnten in Wendland und Altmark entlang der ehemaligen Grenze bis heute überleben. Und das liegt auch an Paten und Aktionären, die ein kleines Stück Naturgeschichte schreiben - wobei einige davon auch am Rad der großen Geschichte kräftig gedreht haben:
"Michail Gorbatschow hat 2002 den Grünen-Band-Anteilschein erworben. Er hat damals zu uns gesagt: Das ist die erste Aktie seines Lebens! Vielleicht hat er mittlerweile mehr, aber zumindestens hat er mit dem Grünen Band angefangen."
Kai Frobel vom Bund Naturschutz würdigt das Engagement von Michail Gorbatschow, das sogar auf das Grüne Band der Deutschen Einheit ausstrahlt:
"Ich finde es wirklich auch unheimlich motivierend, dass die Person, die durch den politischen Prozess, den er damals in der Sowjetunion eingeleitet hat, letztendlich dafür gesorgt hat, dass Deutschland wiedervereinigt werden konnte, und auch ohne Blutvergießen, dass diese Person jetzt Schirmherr für das ist, was im Schatten dieser Grenze an Positivem für die Natur entstanden ist."
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