Inklusion

Besser gemeinsam?

Von Katrin Albinus  · 09.09.2014
Internationale Experten tauschen sich in Wolfenbüttel auf der ISBA-Konferenz über die Arbeit mit Behinderten aus. Viele Vorträge drehen sich um inklusive Bildung. Ein Besuch in einer Hamburger Grundschule zeigt, ob und wie sich die Ideen umsetzen lassen.
"Lehrerin: So! Alle Spieluhren sind ganz still!"
Mittwoch morgen in der Turnhalle der Grundschule Langbargheide in Hamburg Lurup. Die Zebra-Gruppe hat Sportunterricht. Jedes der 17 Kinder steht in einem Hula-Hoop-Reifen, der am Boden liegt und wird gleich zu einer imaginären Spieluhr erwachen.
"Ach, was hab ich für schöne Spieluhren heute gebaut."
Langsam beginnen die Kinder sich zu drehen wie grazile Ballerinas, einige auch eher wie grobe Holzpuppen. Alles ist erlaubt, Hauptsache man bleibt in seinem Reifen. Nur einem fällt das schwer, er läuft zwischen den anderen Kindern herum. Der siebenjährige Darius, ein Kind mit Down Syndrom. Die Erzieherin Gabi Heide ist seine Schulbegleiterin. Immer in seiner Nähe. Sie bringt Darius auch jetzt wieder zurück an seinen Platz.
"Es steht und fällt mit den Personen"
Beobachtet wird sie dabei von Klassenlehrerin Pegah Parsaeian und dem Sonderpädagogen Christoffer Göttsche.
"Es steht und fällt mit den Personen, die mitarbeiten. Weil eine Klassenlehrerin alleine, oder Fachlehrer das nicht leisten kann."
"Zumal, ich sags immer wieder: ich bin dafür nicht ausgebildet. Man kann nicht davon ausgehen, jetzt sitzen diese Kinder da und dann muss das die Klassenlehrerin oder Fachlehrer wuppen. Nein! Wie denn? Weder in der Ausbildung im Studium war das Thema, noch im Referendariat ist das verankert und ich weiß nicht, wie man sich das dann so vorstellt."
"Ich bin das Superhirn, weiß alles ganz genau, ich bin das Superhirn, denn ich bin superschlau."
Die Zebra-Klasse ist mit Lehrern so gut versorgt, weil Darius dabei ist. Gabi Heide muss ständig an seiner Seite sein, was auch den anderen Kindern zugute kommt. Dazu kommen die 13 Wochenstunden von Christoffer Göttsche in der Klasse. Das ist viel. Eine normale Inklusionsklasse muss mit einer Fachlehrerin auskommen und einem Sonderpädagogen, der nur drei Stunden in der Woche dabei ist.
Kinder zeigen sich gegenseitig, was zu tun ist
Die Kinder bewegen sich mechanisch zur Musik, staksen mit gestreckten Armen und Beinen durch die Halle. Nur Darius rührt sich nicht von der Stelle. Mitschüler Abdalla stellt sich hinter ihn und beginnt seine Arme zu bewegen, zeigt ihm, was er machen soll. Und plötzlich marschiert Darius los. Abdalla ist Vorschüler, Darius eigentlich schon in der zweiten Klasse.
"Wir haben ja jahrgangsübergreifenden Unterricht, mit Vorschülern, Erstklässlern und Zweitklässlern und dass er sich ihm annimmt, das passiert einfach."
"Das übt sie ja selber, wenn sie das selbst noch mal erklären. Oder selbst noch mal aufschreiben. Das ist die Grundidee im Prinzip, dass... Ja, jeder hilft jedem. Und dass vor allem Kinder, die vielleicht in der ersten oder zweiten Klasse noch größere Schwierigkeiten haben, noch mehr Chancen haben, etwas aufzuholen."
Ein Umfeld, glaubt Göttsche, in dem Kinder wie Darius am besten integriert werden können. Nach dem Sportunterricht sitzen die Kinder in ihrem Klasseraum an drei großen Tischen. Thema im Sachunterricht sind heute verschiedene Bäume und ihre Früchte. Nachdem Eiche, Buche, Kastanie und Ahorn genau begutachtet worden sind, soll die Zebra-Gruppe nun ihre Namen aufschreiben.
"Da hast du dir ja auch gleich das Schwerste ausgesucht."
Darius zerschneidet das Blatt vor ihm in kleine Teile. Buchstaben zu schreiben ist noch zu schwer für ihn, er baut sich ein Memory. Der Junge neben ihm ist erst 6, greift sich ein Blatt mit Mondsymbol. Mit den Buchstaben klappt es aber nicht. Deshalb ruft er Christoffer Göttsche.
"Was möchtest du denn überhaupt wissen von mir?"
"Welche Buchstaben man hier überall hinschreibt."
"Ich würde mal sagen, du machst den Anfangsbuchstaben immer erstmal? Weißt du, was das hier ist?
"Nuss."
"Ja, du kannst Nuss sagen, eine Nuss. Wie fängt die Nuss an? Mit welchem Buchstaben?
"Ein A?"
"Weißt du was, ich glaube, das ist echt noch zu schwierig für dich."
Individuelle Betreuung hat Tücken
Nach und nach widmen sich Göttsche, Parsaeian und Heide verschiedenen Kindern. Doch selbst mit drei Fachkräften in der Klasse scheint es fast unmöglich, jedem Kind individuell gerecht zu werden.
"Also, wirklich immer zu wissen, wo seid ihr, wo steht ihr und was fehlt dir noch vor allem. Das ist eine Herausforderung."
"Okay!"
Im Anschluss an den Unterricht treffen sich Lehrer und Pädagogen zur Teambesprechung. Immer wieder ein Thema: Sprachförderung.
"Aktuell einmal pro Woche in logopädischer Behandlung bei Frau Willmann, Moorwisch. Dann hab ich den Wochenplan für die motorischen Übungen aufgeschrieben. Ziele: Sensibilisierung, Kräftigung von Zunge, Lippe, Gesichtsmuskulatur. Herr Göttsche und Frau Heide. Täglich ca. zehn Minuten habe ich jetzt mal so..., wenn es denn jetzt endlich mal losgehen kann."
"Ist das Fach egal, wann wir das machen, also wann Frau Heide das einbaut?"
"Ja."
"Total wurscht."
Sprachförderung ist besonders wichtig an Darius Schule, nicht nur für ihn. Auch für viele seiner Klassenkameraden. Über 80 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund. Eineinhalb Stunden dauert die Besprechung. Viel zu wenig Zeit, stöhnen die Lehrer. Heute sprechen sie gerade mal über zwei ihrer Schüler. Und dennoch glauben sie, sind sie auf dem richtigen Weg. Auch weil Darius heute eine Spieluhr war und mitgemacht hat bei den Blättern und Bäumen - wie alle anderen.
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