Initiative "Rent a Jew"

Reden und sich kennenlernen

Person mit Kippa in Berlin
Person mit Kippa in Berlin © imago/epd/Christian Ditsch
Von Anna Lena Meinheit · 27.04.2018
Die wenigsten in Deutschland haben persönlich Kontakt zu Menschen jüdischen Glaubens. Die Initiative "Rent a Jew" möchte das ändern und schickt junge Jüdinnen und Juden in Jugendgruppen und Schulklassen.
Liana Kotliar stellt sich einem Oberstufenkurs an der Gesamtschule in Bergheim vor:
"Es ist mir wichtig, dass ihr Fragen stellt, die euch interessieren, auch wenn es provokative Sachen sind. Auch wenn ihr denkt es ist vielleicht nicht höflich oder was auch immer, fragt."

Im Klassenraum ist es ganz ruhig. Rund 20 Schüler sitzen im Stuhlkreis und schauen nur sie an. Liana ist 26 Jahre alt und heute der Mittelpunkt im Religionsunterricht, denn sie ist Jüdin. Ursprünglich kommt sie aus Litauen. Aufgewachsen ist sie aber in Deutschland. Gerade hat sie ihr Lehramtsstudium abgeschlossen. Nachdem die Referentin sich vorgestellt hat, melden sich, anfangs noch etwas zaghaft, schon ein paar Schüler. Eliana Tshibumb traut sich als Erste:
Eliana Tshibumb: "Wurden sie schon mal angegriffen oder beleidigt?"
Kotliar: "Ich wurde noch nie körperlich angegriffen. Mich hat jetzt noch nie jemand beschimpft als 'Du Jüdin' oder sonst irgendwie. Aber wenn Leute anfangen, Judenwitze zu machen, wenn ich in der Nähe bin, oder wenn Leute fragen 'Wo ist dein Judengold?' – dann berührt mich das schon und verletzt mich auch."

"Witze über den Holocaust sind populär"

Mitten in der Runde sitzt auch Religionslehrerin Elisabeth Amling und hört gespannt zu. Sie hat Liana Kotliar eingeladen, weil sie gerade in letzter Zeit den Eindruck hatte, dass Antisemitismus immer mehr zu einem Problem unter den Jugendlichen wird.
Elisabeth Amling: "Es ist so, dass ich über meine eigenen Kinder erfahren habe, dass leider immer wieder zunehmend antisemitische Witze, also Witze über den Holocaust, populär sind und ich hab dann auch mal in dem Kurs gefragt, wer kennt keinen antijüdischen Witz. Dann kam betroffenes Schweigen und die guckten sich an. Nur ein oder zwei haben sich gemeldet, die noch nie einen antisemitischen Witz gehört haben."

Liana Kotliar ist genau deshalb heute hier. Sie will mit Vorurteilen gegen Juden aufräumen. Um den Schülern das Judentum näher zu bringen, hat sie auch ein paar Sachen mitgebracht.
"Die habe ich aus Israel. Das sind so Magnetbuchstaben. Das sind hebräische Buchstaben. Ihr könnt euch die anschauen, wenn ihr Bock habt. Das Hebräische ist eine Konsonantensprache. Also es gibt keine Vokale, sondern man denkt sich die Vokale immer so ein bisschen dazu und wenn man die Sprache spricht, fügt man die intuitiv hinzu."
Die Magnetbuchstaben gehen durch die Hände der Schüler. Viele rätseln, welchen Buchstaben sie da wohl in der Hand halten. Liana Kotilar klärt sie zwischendurch auf.
"Das ist ein M."

Die "Rent a Jew"-Referentin hat aber noch mehr mitgebracht: eine Kerze, zwei Gebetbücher und ihre eigene Thora im Taschenbuchformat. Thora bedeutet Weisung oder Lehre. Es handelt sich um den Anfang der Bibel, die fünf Bücher Mose. Außerdem ein großes Paket Matzen. Das sind dünne Brotfladen aus Wasser und Mehl, die Juden am Pessachfest essen.
Liana Kotliar lädt die Schüler ein: "Ihr könnt gerne probieren. Es ist nicht besonders lecker. Einfach ein Stück abtrennen. Es krümelt auch mega."

"Was halten sie vom Nahost-Konflikt?"

Die Matzen machen die Runde unter den Schülern und alle probieren ein kleines Stück. Währenddessen nutzt Mert Danyildiz die Chance, eine dringende Frage loszuwerden.
Mert Danyildiz: "Was halten sie vom Nahost-Konflikt? Und wem sollte das Heilige Land jetzt rechtmäßig gehören?"

Liana Kotliar reagiert darauf erstmal mit einer Gegenfrage. Die Schüler sind etwas irritiert.
"Vielleicht kann ich dich fragen, warum du mich fragst."
Danyildiz: "Sie sind Jüdin. Ich kenne nicht so viele Juden, deswegen wollte ich ihre Meinung dazu wissen."

Für Liana Kotliar gehört die Frage zum Nahost-Konflikt mittlerweile zum Alltag. Sie hat sich daran gewöhnt, obwohl sie in Deutschland lebt und gar nicht unmittelbar etwas mit dem Konflikt zu tun hat.
"Es ist ultraschwierig da eine Position zu beziehen. Ich habe jetzt ein halbes Jahr in Israel gelebt. Davor dachte ich, ich habe eine grobe Ahnung. Und als ich da gelebt habe, habe ich festgestellt, man kann es nicht einschätzen, selbst wenn man da lebt. Ich kann als jüdischer Mensch, lebend in Deutschland, meine Meinung dazu sagen. Es ist kompliziert. Ja, die Palästinenser haben definitiv eine Art Anspruch, aber die Juden eben auch. Und man kann unmöglich sagen, wer dort zuerst war oder wer dort den meisten Anspruch hat."

Anderthalb Stunden lang stellt sich Liana Kotliar den Fragen der Schüler. Sie wird auch gefragt, ob sie koscher isst.
"Ich lebe koscher in dem Sinne, dass ich zum Beispiel kein Fleisch esse, außerhalb von einem jüdischen Haus sozusagen. Meine Küche zu Hause ist zum Beispiel auch soweit koscher, dass da nur milchige Sachen sind, also dass da kein Fleisch jemals drin war oder sein wird."

Mert Danyildiz will wissen, ob sie einen jüdischen Mann heiraten will.
"Ich bewege mich viel in jüdischen Kreisen. Ich glaube, es ist eher wahrscheinlicher, dass ich einen jüdischen Mann heiraten werde, aber ich würde nicht sagen, dass es ausschließlich so oder so passieren wird."

Begeistert von der Offenheit

Die Schul-Doppelstunde mit Liana Kotliar neigt sich dem Ende zu. Die Schüler sind vor allem von der Offenheit der Referentin begeistert:
Leonhard Coßmann: "Ich fand das gut, dass sie alle Fragen von uns beantwortet hat. War gar nicht kleinzukriegen. Hat alles erzählt, was sie erzählen konnte. Alles in allem: super."
Eliana Tshibumb: "Ich weiß jetzt mehr über das Judentum, auf jeden Fall."
Mariama M`Baye: "Ich fand es sehr interessant, vor allen Dingen nett, dass sie das gemacht hat und die Zeit hatte."

Und auch Lehrerin Elisabeth Amling ist glücklich mit ihrer Entscheidung, eine Jüdin in den Unterricht geholt zu haben. Obwohl die Aktion "Rent a Jew" auf Deutsch "Einen Juden mieten" heißt, war der Besuch kostenlos.
"Ich fand gerade eben die sehr privaten Äußerungen, wo die Referentin über die Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Judentum gesprochen hat, das fand ich interessant."

Liana Kotliar packt ihre Sachen zusammen.
"Jedes Mal, wenn ich da raus komme, habe ich das Gefühl, die Schüler haben zum ersten Mal einen Juden gesehen. Ich glaube, der Kontakt und überhaupt der Dialog ist der einzige Weg, um Antisemitismus entgegen zu treten. Und ich hoffe, dazu beizutragen."
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