Initiative "Hockey, weil ich ein Mädchen bin"

Wie Hockey auch für Frauen attraktiv wurde

06:30 Minuten
Mannschaftsjubel Münchner SC nach Torschuss von Philin Bolle.
Mannschaftsjubel beim Münchner SC nach einem Torschuss von Philin Bolle. © Deutschlandradio / Barbara Förster
Von Julian Kämper · 16.05.2021
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Früher spielten sehr viel mehr Jungen Hockey. Das hat sich mittlerweile geändert. Das Geschlechterverhältnis ist ausgewogen. Auch weil die Vereine mit Initiativen wie "Hockey, weil ich ein Mädchen bin" um weiblichen Nachwuchs geworben haben.
"Das Beste finde ich eigentlich, dass man mit Freunden spielt, und die Tricks auch, wie man Leute ausspielen kann, find ich ganz cool." – "Ich glaube, dass wir wirklich gut zusammenarbeiten können, weil wir lange schon zusammen trainieren."
Ob Hockey denn ein Sport für Mädchen ist? Das steht für Stürmerin Louisa und Torhüterin Karlotta, beide elf Jahre alt, vollkommen außer Frage:
"Was ich manchmal bemerke, dass Männer – ich sag mal – grober spielen. Die haben schlaue Strategien. Aber die Frauen machen das eher langsam. Deswegen haben sie auch mehr Zeit und können mehr überlegen. Deswegen finde ich das Hockeyspielen bei Frauen sanfter oder sauberer", analysiert Louisa. Bald werden die beiden hockeybegeisterten Mädchen mit ihrer Mannschaft vom Münchner Sportclub wieder um die Bayerische Meisterschaft spielen dürfen.
Ein weiterer Höhepunkt in jedem normalen Jahr: der MSC-Mädelstag, der die Spielerinnen aller Jahrgänge versammelt, organisiert von den Ersten Damen des Clubs: "Die trainieren dann bisschen zusammen und machen Spiele zusammen und am Ende in bunt gewürfelten Mannschaften spielen sie auch gegeneinander", erklärt Karlotta.

Zum Hockey gekommen, weil die Geschwister spielten

"Ziel ist einfach, die Mädels hier zusammenzubringen, dass wir nicht immer die unantastbaren Damen sind, sondern dass wir genauso wie die Mädels hier im Club sind und den Club lieben – und zusammen einfach mal einen Tag verbringen und uns gegenseitig besser kennenlernen", sagt Bundesliga- und Nationalspielerin Philin Bolle, eines der sportlichen Idole für die Kleinen.
"Ganz klassisch. Meine Schwester hat angefangen, weil bei ihr jemand in der Klasse war, der Hockey gespielt hat, dann hat mein Bruder angefangen und dann blieb mir keine andere Wahl und ich musste auch Hockey spielen. Ja, ich spiele es immer noch leidenschaftlich, auch nach 17 Jahren."

Eine weise Entscheidung: Jüngst hat sich Philin Bolle mit ihrer Münchner Mannschaft den Klassenerhalt in der höchsten Liga gesichert. Für ihr Team ist sie eine tragende Säule. "Ich glaube die würden wahrscheinlich sagen, dass ich jemand bin, der sehr präsent ist, auch verbal sehr präsent. Ich bin auch für meinen Schlag bekannt." Genau deshalb dürften der 22-Jährigen noch einige sportliche Highlights bevorstehen.
Philin Bolle am Spielfeld, mit Hockeyschläger in der Hand.
Noch immer leidenschaftlich beim Hockey dabei: Philin Bolle beim Spiel gegen Mannheim im vergangenen Jahr.© imago / foto2press

Geschlechtergleichgewicht herstellen

Gut besuchte Mädelstage, wie es sie in vielen der insgesamt 380 deutschen Hockeyvereine gibt, ist ein Phänomen der Gegenwart. Vor rund 20 Jahren verzeichnete der Deutsche Hockey-Bund unter seinen damals 65.000 Mitgliedern doppelt so viele männliche wie weibliche. Ein unbefriedigender Zustand, weshalb die Verantwortlichen eine Offensive starteten, um das unausgewogene Geschlechterverhältnis strategisch in die Waage zu bringen und mehr Mädchen vom technisch und taktisch anspruchsvollen Ballsport zu begeistern: Die Initiative "Hockey weil ich ein Mädchen bin" – und eben nicht obwohl – sollte die "Hockeyfamilie" vergrößern.

Ganz hinten aus dem Schlafzimmerregal kramt meine Mutter die letzten – ganz analogen – Relikte ihrer Amtszeit als Bundesmädchenwartin hervor: "Weil es vor allem ein ganz zartes, mit Zöpfen, hübsches Mädchen darstellt, um auch zu zeigen: Ja, Hockey ist auch ein ganz femininer Sport."
Hella Kämper erinnert sich, dass erst einmal Bewusstsein geweckt und interne Strukturen geschaffen werden mussten, um die Offensive auch nachhaltig erfolgreich zu machen: "Zunächst habe ich mich darum gekümmert, dass jeder Verband eine, wie es hieß, Mädchenwartin hat, die sich explizit ums Mädchenhockey kümmert. Was nicht in allen Verbänden bis dahin der Fall war. Wir wollten vor allen Dingen eine Lobby schaffen in jedem Landesverband für Mädchenhockey."
Hockeybegeisterten Mädchen auf dem Spielfeld beim Training mit Philin Bolle.
An Nachwuchs mangelt es nicht: hockeybegeisterten Mädchen auf dem Spielfeld beim Training mit Philin Bolle.© Deutschlandradio / Barbara Förster
Regelmäßiger Austausch, ein flächendeckendes Netzwerk und Kreativität sollten die Kampagne mit Leben füllen, um in den Vereinen das gewünschte Ziel zu erreichen: mit T-Shirts, Aufklebern, Schnupper-, Schul- und Sonderaktionen oder dem jährlichen Mädchen-Turnier in Straußberg für Spielerinnen und Schiedsrichterinnen im Alter von Louisa und Karlotta. "Wo es eigentlich nicht um Leistung ging, sondern wir hatten auch viele Spielwettkämpfe neben Hockey. Wir haben in Bungalows gewohnt. Wir haben gemeinsam gegessen. Wir haben gemeinsam gespielt."

Hockey heute für Mädchen und Jungen gleich attraktiv

Maren Boyé, DHB-Direktorin Sportentwicklung, zieht heute positive Bilanz: Nicht nur hat sich die Anzahl der Hockeymitglieder bundesweit auf knapp 85.000 erhöht, auch hat sich das Ungleichgewicht nahezu nivelliert – zumindest im Kinder- und Jugendbereich. "Hockey, weil ich ein Mädchen bin" habe Früchte getragen, interpretiert Maren Boyé die neuesten Zahlen.
Hinzu kam die modebewusste und mädchenorientierte Sportkleidung – vermeintliche Äußerlichkeiten, die aber erheblich zum Erscheinungsbild der Sportart und zu ihrer "Ästhetisierung" beitragen. Dank Social Media kann die eher marginale TV-Präsenz des Hockeysports heute kompensiert werden: Die Damen-Nationalmannschaft etwa nutzt ihren Kanal diedanas für den Austausch mit dem Hockeynachwuchs, berichtet von Lehrgängen und Turnieren und zelebriert die eigenen sportlichen Erfolge. Nach Gold in Athen und Bronze in Rio werden die deutschen Damen auch künftig um Olympiamedaillen kämpfen.
Vielleicht ja bald auch mit Team-Playerin Philin Bolle: "Ich finde, dass beim Damenhockey sehr viel emotional ist und viel mit Willen zu tun hat und viel mit Teamgeist, das ist vielleicht bei den Mädels noch einmal extremer als bei den Jungs." Mädchen müssen heute nicht mehr gezielt vom Hockeysport überzeugt werden. Diese Aufgabe kann der DHB von seiner Agenda streichen und sich progressiv aufstellen für die Gender- und Diversitätsfragen heutiger Tage.
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