Ingrid Wiener

Muse, Köchin, Künstlerin

35:52 Minuten
Porträt von Ingrid Wiener.
Die Künstlerin Ingrid Wiener heute. © Oswald Wiener
Moderation: Ulrike Timm · 05.02.2019
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Ingrid Wiener hat immer mit Konventionen gebrochen. Als junge Frau lässt sie sich von einem Zuhälter in Sachen Sex unterweisen. Später schließt sie sich Künstlern der "Wiener Gruppe" an. Und betreibt in den 70ern das angesagteste Künstlerlokal West-Berlins.
"Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sonderlich schön vorgekommen", sagt Ingrid Wiener über ihre Jugend im Wien der 1950er-Jahre. "Ich habe nur gemerkt, dass mich alle Männer gerne anschauen." Selbst in der Pause, erzählt die heute 77-Jährige, seien die Jungs aus der Parallelklasse gekommen, um sie anzusehen.
Zum Problem wird das spätestens, als ihre Lehrer den Eltern nahelegen, die Tochter von der Schule zu nehmen: Ingrid lenke ihre männlichen Mitschüler vom Lernen ab. Statt Abitur zu machen, wird die Teenagerin daraufhin in die Handelsschule gesteckt.

Nachhilfestunden beim Zuhälter

Davon abgesehen setzt die junge Frau aber alles daran, sich über die Konventionen im muffigen Wien der Nachkriegszeit hinwegzusetzen. Als der Sex mit ihrem ersten Freund nicht das hält, was sie sich verspricht, geht Ingrid Wiener die Sache – ganz "pragmatische Tussi" – systematisch an: Sie sucht sich einen Mann, der ihr die nötigen Erkenntnisse vermitteln soll.
"Mein Vater war auch sehr pragmatisch. Er hat immer gesagt: Wenn man etwas macht, dann soll man es auch ordentlich machen."
Ob der Vater damit allerdings meinte, dass sich seine Tochter einmal die Woche in einem Stundenhotel von einem Zuhälter in Sachen Sex unterweisen lässt, darf bezweifelt werden.
Später besucht Ingrid Wiener eine Schule für Textilkunst und lernt Mitglieder der "Wiener Gruppe" kennen, darunter auch ihren späteren Mann, den Künstler Oswald Wiener.
Ingrid Wiener, geborene Schuppan, trägt 1968 ein Schmuckstück von Ernst Graf.
Ingrid Wiener, geborene Schuppan, 1968 mit einem Schmuckstück von Ernst Graf.© dpa/picture-alliance
Sie schätzt die Gruppe aber nicht nur wegen ihrer provokativen Kunstaktionen.
"Die waren einfach wahnsinnig gebildet. Mit denen konnte man reden. Die haben einem Bücher zum Lesen gegeben, die ich sonst nie in die Hand bekommen hätte. Und sie haben sich wirklich auch um meine Bildung gekümmert."

David Bowie und Rainer Werner Fassbinder am Tresen

Mit Oswald Wiener geht sie 1972 nach Westberlin – "überhaupt kein Vergleich!" zu Wien sei das gewesen. "Ich fand Berlin großartig. Erstmal sahen die Leute völlig anders aus als bei uns. Und wenn man in die Bäckerei ging und ein Brot verlangte, haben alle 'du' zu einem gesagt." Gemeinsam mit ihrem Freund Michel Würthle eröffnet das Paar in Kreuzberg das "Exil".
Schnell mausert sich das Restaurant zum angesagtesten Künstlerlokal der Stadt. David Bowie, Rainer Werner Fassbinder, Max Frisch, Peter O‘Toole oder Jack Nicholson hängen am Tresen ab, Ingrid Wiener steht in der Küche – und kocht "nach Gefühl" Wiener Schnitzel, Kalbsgulasch und Kutteln.
"Ich habe einfach drauflos gekocht und dann wusste ich schon immer, da fehlt jetzt noch dieses und jenes und dann hat es so geschmeckt, wie ich es mir vorgestellt habe."
Dabei hilft manchmal auch ihre Stieftochter Sarah, die heute eine berühmte Spitzenköchin ist - und bei Deutschlandfunk Kultur als Kolumnistin tätig ist.

Weben und Kochen in der kanadischen Wildnis

Auch in Kanada, wo Ingrid Wiener mit ihrem Mann in den 80er-Jahren hinzieht, eröffnen die beiden ein Restaurant – und bewirten statt der Berliner Bohème nun Goldgräber. Dort setzt sie aber auch ihre künstlerische Arbeit als Weberin fort, zu der sie schon zu Berliner Zeiten zurückgefunden hat.
In ihren ungewöhnlichen Gobelins verarbeitet sie Einkaufszettel, Fotografien, Fundstücke. Heute lebt das Paar in der Steiermark. In ihrer alten Wahlheimat Berlin eröffnet im Februar eine Ausstellung mit Werken der kochenden Künstlerin.
(er)
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