Ingrid Lausunds "Trilliarden" in Hamburg

Nachdenkabend über den Zustand der Welt

Das Gebäude des Theaters Deutsches Schauspielhaus
Unser Kritiker hat im Hamburger Schauspielhaus einen Abend gesehen, wo ganz viele Leute immerzu monologisieren. © dpa - picture alliance / Markus Scholz
Von Michael Laages · 03.02.2017
Um Religion und Glauben, Leben und Leben nach dem Tod geht es in Ingrid Lausunds "Trilliarden", das jetzt am Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt wurde. Lebensklug und analytisch, aber szenisch unergiebig und ohne jeden Dialog, meint unser Kritiker.
Moderatorin: Der "Tatortreiniger" mit Bjarne Mädel hat Kultstatus. In der NRD-Serie räumt er auf und schafft weg, was für andere gerade die Welt einstürzen lässt. Verantwortlich für das Drehbuch zeichnet Mizzi Meyer, die im wirklichen Leben Ingrid Lausund heißt und als studierte Regisseurin heute Abend im Schauspielhaus in Hamburg ihr Stück "Trilliarden. Die Angst vor dem Verlorengehen" inszenierte.
Einspieler Theaterstück: Wo wir von Bekenntnissen reden. Ich zum Beispiel, ich bin fest davon überzeugt, dass das Gemeinsame, der Kern aller Religionen Liebe und Frieden ist. Natürlich kann man verzweifeln an allem, was passiert, aber Verzweiflung kann doch nicht mein Bekenntnis sein. Nein! Ich will ein Friedensbekenntnis. Ich will neue heilige Schriften. Die unmissverständlich friedlich sind, und natürlich auch ohne jede Art von Hölle. So! Im Anfang war die Güte. Außerdem war da Lachen, Leichtigkeit und ein großes kühles Glas Bier. Ja, das ist doch schon mal ein Anfang.

Verloren wie Trilliarden

Moderatorin: Michael Wittenborn in der Generalprobe von "Trilliarden. Die Angst vor dem Verlorengehen". Michael Laages in unserem Studio in Hamburg, unser Premierenkritiker. Sowohl Titel als auch dieser Ausschnitt hören sich nicht nach Schmunzeln an, sondern nach einem ziemlich traurigen Setting. Worum geht es?
Michael Laages: Ach, traurig ist es eigentlich nicht, es ist zeitweise auch ganz ulkig – das waren die Theaterabende von Ingrid Lausund immer. Es hat aber nun in der Tat überhaupt nichts mit Tatortreinigen zu tun, nicht mal strategisch, weil nämlich wir einen Abend beobachten, wo ganz viele Leute immerzu monologisieren.
Die Qualität der Tatortreinigerei ist ja auch, dass es relativ spitze und gut zugeschärfte Dialoge gibt, hier gibt es keinen einzigen. Es ist das, was Ingrid Lausund vor, na, sagen wir mal zehn Jahren, also vor dem "Tatortreinigen" am Hamburger Schauspielhaus zur Zeit von Tom Stromberg schon öfter mal gemacht hat – ein Nachdenkabend über den Zustand der Welt und über den Zustand von Menschen, die sich in ihr verloren fühlen wie Trilliarden, sind ja nur Milliarden.

Orientierungslos im Kreis durch die Nebelwelt

Moderatorin: Als Mizzy Meyer – darauf muss ich trotzdem noch mal zu sprechen kommen – schreibt Ingrid Lausund ja Dialoge, die sind so lebensklug wie analytisch. Das scheint mir hier doch aber auch der Fall zu sein.
Laages: Lebensklug und analytisch ist der Abend in jedem Fall, aber er hat keinen einzigen Dialog, wie gesagt. Sie versucht, diese Figuren über sich selbst nachdenken zu lassen. Das tun sie, indem sie von Beginn an immerzu im Kreis laufen. Das ist als szenischer Einfall teilweise ganz ulkig, aber auch ein bisschen schnell verbraucht. Die gehen durch eine Nebelwelt, das kann man noch relativ gut verstehen, also alles Nebel, keine Orientierung, nirgends, sie gehen im Kreis und haben alle so ein eigenes spezielles Profil. Also Bjarne Mädel, der "Tatortreiniger" persönlich, das ist so ein, ja, so ein 50er, fast 50er, dem gerade vermutlich die Frau, aber jedenfalls irgendjemand Liebes gestorben ist, der das Haus hat verkaufen müssen und der so gar nicht weiß, wie die Welt weitergehen soll, ohne dass er sich darüber wirklich ernsthaft Sorgen machen müsste.
Michael Wittenborn, das ist so ein, ja, so ein Althippie, vielleicht sogar einer, der mal in irgendeiner esoterischen Sekte gewesen ist und sich immerzu aufregt darüber, dass die Welt so schrecklich unernst geworden ist und dass sich niemand mehr ernsthaft Gedanken macht über wirklich ernsthafte Probleme. Da gibt es eine junge Mutter, die im Entstehen dieses Abends... also im Entstehen dieses Rumlaufens, da kriegen die Leute auch immer neue Kostüme dazu und werden sozusagen als Rolle definiert. Ist klar, sie ist doppelte Mutter, und sie fängt nun also an, ihren Kindern zu erklären, was das ist, Gott, was er alles gemacht hat und was er alles nicht gemacht hat und warum er das ein oder andere so gemacht hat, wie er es gemacht hat, und kein Mensch versteht es.
Also, so entwickeln sich diese Figuren im Laufen, sie monologisieren eigentlich immer so ineinander verschnitten und geschnipselt. Immer, wenn sie wieder vorne sind, haben sie halt wieder so ein kleines Stückchen Monolog, dann gehen sie wieder nach hinten, kommt der Nächste. So geht das eine gute Stunde lang, und wir lernen die natürlich immer näher kennen. Das mit den Trilliarden ist ein bisschen verwirrend, denn um Überbevölkerung oder so was geht es nun eigentlich gar nicht und auch nicht im Wesentlichen dann mit der Zeit darum, dass die sich so verloren fühlen, sondern es kommt tatsächlich diese Rubrik, diese Abteilung Glauben und Religion ins Spiel. Und das ist offenkundig ein Thema, das die Ingrid Lausund ja ernsthaft umtreibt.

Wie ist das eigentlich mit dem Leben nach dem Tod?

Moderatorin: Und diese Verlorenheit, ist das was Waberndes oder letztlich doch etwas Fokussierendes, wie kam das bei Ihnen an?
Laages: Na ja, also wabern tut der Nebel, das tut er die ganze Zeit, und die tauchen immer so auf, ohne dass der Nebel jetzt irgendwie choreografiert wäre, wie das bei Dimiter Gotscheff mal war in Berlin, sondern der ist halt immer da, und sie tauchen auf und wir lernen sie immer mehr ein bisschen kennen. Und die Dialoge, die keine sind, sondern Monologe, die sich aneinanderreihen, die fokussieren natürlich die Figuren immer mehr. Und eben auch das Thema führt dazu, dass kurz vor Schluss eine riesige Debatte darüber ausbricht zwischen den sieben Mitspielern.
Da wird plötzlich ein Lied gesungen, also ein ziemlich gläubiges Lied, und einer regt sich fürchterlich auf, das sei manipulativ und so könne man mit Gefühlen nicht umgehen, das sei eigentlich nichts anderes als religiöse Bauernfängerei, diese schönen Lieder. Da regen sich die anderen fürchterlich auf, bezichtigen ihn quasi faschistischer Verbotsfantasien und es ist richtiger Streit. Und danach kommt dann tatsächlich auch bald dieser Epilog, der zu Anfang zu hören war, was man nämlich tatsächlich stattdessen eigentlich haben wollen würde, nämlich eine gemütliche Religion wie bei Georg Büchner bei "Leonce und Lena" und ein Glas Bier dazu.
Also, es ist ein Diskurs am Ende, nach langen Gesprächen und Glaubenskämpfen, darüber, wie geglaubt werden kann, wie geglaubt werden soll, auch eine sehr skeptische lange Passage darüber, wie das eigentlich ist mit dem Leben nach dem Tode – lauter skeptische Einwände, die dazu führen, dass das eigentlich gar nicht sein kann. Da ist der Religionsdialog von vielen, vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten in dieses kleine Stück eingebunden und eben zum Schluss dann tatsächlich dieses heitere Finale mit dem Glas Bier. Es wird gegen Ende immer ernster, es wird gegen Ende immer fundamentaler im Nachdenken darüber, was Glauben bedeuten kann, und es hat gleichzeitig diese, ja, nicht angestrengte, sondern wie beiläufige Leichtigkeit, die die Produktionen von Ingrid Lausund vor der Fernsehtätigkeit in Hamburg schon immer gehabt haben.

Relativ schwache Inszenierung

Moderatorin: Und hat Sie das überzeugt?
Laages: Es hat mich genauso sehr nicht ganz überzeugt, wie das damals vor zehn Jahren auch schon war. Es war immer so, dass Ingrid Lausund offenkundig ein Gespür hat für, ja, so ein Thema, was in der Luft liegt – es konnte auch mal früher ein Bandscheibenschaden sein, wo plötzlich alle sich nicht mehr bewegen können. In diesem Fall ist es also die Religion, wo sich viele geistig nicht mehr bewegen können, und sie hat den Sinn für dieses Thema, sie hat den Sinn für Monologe, in denen Menschen sich offen machen, in denen sie zeigen, was ihre eigenen Schwächen sind, in denen sie zeigen, wo sie nicht weiterwissen.
Es sind nicht traurige Dinge, es sind nicht verzweifelte Monologe, die da ineinander verschränkt sind, sondern es ist das Nachdenken darüber, wo ist der Punkt, wo ich nicht weiter kann und wo mir auch sonst niemand weiterhilft. Und das kann sie in der Tat. Was in der Tat nicht so überzeugt, ist die relativ schwache Inszenierung, das ist tatsächlich diese eine Grundsatzidee, im Kreis laufen, gut beleuchtet im Kreis laufen, im Nebel, und das ist aber eigentlich auch schon alles. Es ist szenisch relativ unergiebig, es ist auch dramatisch nicht im Ernst irgendwie, dass da ein Spannungsbogen wäre oder so was. Es ist ein in Rollen verteiltes Nachdenken über das Leben an sich im Zeichen religiöser Herausforderungen.
Moderatorin: Michael Laages nach der Premiere "Trilliarden. Die Angst vor dem Verlorengehen", geschrieben und inszeniert von Ingrid Lausund alias Mizzy Meyer. Die nächsten Vorstellungen im Hamburger Schauspielhaus morgen, am Freitag, in einer Woche und am 15. Februar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema