Ingeborg-Bachmann-Preis 2021

Julia Weber gilt als Favoritin

07:49 Minuten
Julia Weber.
In Julia Webers Text geht es um eine junge Frau namens "Ruth", die sich am eigenen Schlawittchen aus einer männlich zugerichteten Welt herauszuziehen versucht. © ORF/LST Kärnten/Ayse Yavas
Wiebke Porombka im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 19.06.2021
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Wer den diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis gewinnt, wird am Sonntagvormittag bekanntgegeben. Für unsere Literaturredakteurin kommt der stärkste Text von Julia Weber - und die schwächste Juryleistung von Philipp Tingler.
Bei den diesjährigen 45. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt dominierten Texte über Migrationserfahrung, wie unsere Literaturredakteurin Wiebke Porombka berichtet. Diese behandelten, wie sich Traumata in nachfolgende Generationen fortschreiben. Dabei sei aber "die Haltung der Texte, der Ton, der ästhetische Zugriff ganz und gar unterschiedlich". Insofern handle es sich um einen "durchaus vielstimmigen Wettbewerb".
Auch die Jury war vielstimmig, so sehr sogar, dass eine teilnehmende Autorin nach der Lesung scharfe Kritik an ihr übte. Heike Geißler, die schon am ersten Tag dran war, sagte zur Diskussion über ihren Text, die Jury habe das Kritisieren verweigert, sich nicht auf den Text bezogen, insofern sei sie unfair gewesen.

Juror Philipp Tingler spricht mit Vorliebe über sich selbst

Sich auf den Text tatsächlich einzulassen, sei aber das Mindeste, was Literaturkritik leisten müsse. Mindestens drei Mitglieder der Jury seien diesen Weg nicht gegangen. "Und das geht nicht", sagte Geißler. "Das muss man machen, erst recht, wenn man so prominent ist. Man fällt auf, wenn man es nicht tut."
Der Juror Philipp Tingler.
Der Juror Philipp Tingler sorgt wie auch im letzten Jahr für einigen Zwist.© Nathan Beck
Der Juror Philipp Tingler hatte während der Diskussion unter anderem über Geißlers Text gesagt: "Das lässt sich halt auch sehr schnell schreiben." Er könne das mal eben in der Mittagspause machen.Auch Wiebke Porombka übt Kritik am Juror Tingler. Dieser inszeniere sich "permanent als ein Großkritiker", der womöglich "seine eigene Unfähigkeit kaschieren" wolle. "Er zelebriert sich selbst und spricht eben über sich und nicht über die Texte." Vokabeln wie Kohärenz, Konventionalität oder Transzendenz würden von Tingler "relativ beliebig über Texte rübergeschmoddert", sagt Porombka.
Doch gerade in einer Zeit, in der "die Literaturkritik zur Disposition steht", müsse "ein Schaufenster wie Klagenfurt" beweisen, "warum Literaturkritik relevant ist, wie sie funktionieren und wie sie auch wesentlich werden kann". Doch das "passiert eben nicht, wenn sich Jurydynamiken in einem selbstreferenziellen Schlagabtausch ergehen".

Favoritin Julia Weber

Am Sonntagvormittag wird der Gewinner oder die Gewinnerin gekürt werden. Dabei hat der Auftakttext "Ruth" von Julia Weber gute Aussichten auf den Bachmann-Preis, wie Porombka erklärt:
"Das ist ein ganz fragiler Text, obwohl er sehr konzentriert gearbeitet ist, der mit ganz verstörenden, berückenden Bildern arbeitet über eine junge Frau, die in einer seltsamen Form von Traurigkeit und gleichzeitig vielleicht erlogenen, angeschafften Selbstüberhöhung durchs Leben geht, sich als eine Art Erlösergestalt wahrnimmt. Das ist ein Versuch, sich aus einer männlich zugerichteten Gesellschaft hinauszuziehen am eigenen Schlawittchen."
Nicht von ungefähr spreche diese junge Frau immer davon, dass sie ein Glanz sei oder einen Glanz habe. Porombka sieht darin einen Verweis auf Irmgard Keuns Roman "Das kunstseidene Mädchen" aus den frühen 1930er-Jahren, also auf einen "ganz großen Emanzipationsroman beziehungsweise einen Roman, in dem Emanzipation auf ganz fatale Weise scheitert".
Nava Ebrahimi.
Auch Nava Ebrahimi konnte mit ihrem Text "Der Cousin" überzeugen.© ORF/LST Kärnten/Clara Wildberger
Doch auch in diesem Jahr werden wieder mehrere Preise verliehen. Nava Ebrahimi, Nadine Schneider und Anna Pritzkau können sich also ebenfalls Hoffnungen auf eine Auszeichnung machen.
Die Preisverleihung beginnt am Sonntag um 11 Uhr vormittags.
(ckr)
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