Infrastruktur

Vor 50 Jahren: Der erste Tunnel durch die Alpen

Bauarbeiten für den Großen St.-Bernhard-Tunnel in den 60er-Jahren
Bauarbeiten für den Großen St.-Bernhard-Tunnel in den 60er-Jahren. Er wurde am 19.3.1964 eröffnet und verbindet Italien mit der Schweiz. © picture-alliance / dpa - LaPresse
Von Irene Meichsner · 19.03.2014
Schon ewig war der Pass über den Großen St. Bernhard in der Schweiz eine der wichtigsten Verbindungen zwischen dem Norden, Westen und Süden Europas. Das große Aber: Im Winter war er nicht befahrbar. Ein 5,8 Kilometer langer Alpendurchbruch sollte Abhilfe schaffen. Am 19. März 1964 wurde der Tunnel freigegeben.
O-Ton Schweizer Filmwochenschau:
"Die Eröffnung des Straßentunnels durch den Großen St. Bernhard ist ein epochemachendes Ereignis für ganz Europa. Von Bourg-St.-Pierre führt eine 5,5 Kilometer lange und acht Meter breite, gedeckte und lawinensichere Straßengalerie bis zum Tunneleingang auf einer Höhe von 1915 Meter über Meer. Doch vorerst mündet die Galerie in den sogenannten Autobahnhof Nord, wo man für das bevorstehende Tunnelvergnügen seinen Obolus zu entrichten hat. Für ein normales Auto zwischen 13 und 17 Franken. ... Und dann ist die Fahrt frei. Das heißt, man darf nicht schneller als mit 60 und nicht langsamer als mit 40 Stundenkilometern fahren. Man stelle sich vor: eine Alpentraversierung in sechs Minuten. Fünf Jahre hat man dafür gearbeitet."
Endlich eine ganzjährige Verbindung in den Süden
Am 19. März 1964 ist es so weit: Der damals längste Autotunnel der Welt wird für den Verkehr freigegeben; die Schweizer Filmwochenschau feiert den Erfolg mit der gebührenden Begeisterung. Jetzt gibt es endlich eine ganzjährige Verbindung in den Süden. Die berühmte Passstraße über den Großen St. Bernhard, über die schon die alten Römer zogen und Napoleon seine Truppen führte, war im Winter monatelang nicht befahrbar. Pläne für den ersten Straßentunnel durch die Schweizer Alpen gab es bereits seit den 30er-Jahren. Doch lange Zeit schreckte man vor den hohen Kosten zurück. Schließlich übernahm ein privatwirtschaftlich organisiertes schweizerisch-italienisches Konsortium die Verantwortung für den 5,8 Kilometer langen Tunnel, der das Wallis mit dem italienischen Aostatal verbinden sollte. Eine neue Öl-Pipeline, die durch die Röhre geführt werden sollte, brachte zusätzliches Geld.
"In allen Ländern befaßt man sich mit dem beschleunigten Ausbau der Straßennetze",
kommentierte die "NZZ", die "Neue Zürcher Zeitung", 1959 den Beginn der Bauarbeiten.
Zitat "Neue Zürcher Zeitung":
"Für die Schweiz ergibt sich die Notwendigkeit, sich in dieses moderne System der Straßenverbindungen einzugliedern."
Mithilfe von Dynamit und mit Pressluftbohrern arbeiteten sich die Baukolonnen von beiden Seiten durch den Felsen. Das Gestein wurde zerkleinert und zum Betonieren verwendet. Zu den technischen Herausforderungen gehörte ein aufwendiges Lüftungssystem.
O-Ton Schweizer Filmwochenschau:
"Die Ventilation ist etwas vom Wichtigsten, gilt es doch, die Giftgase eines stündlichen Verkehrs von 500 Fahrzeugen mit Frischluft zu ersetzen."
Am 5. April 1962 trafen sich Schweizer und Italiener beim Tunneldurchbruch. Schon vorher hatten die Arbeiter durch ein kleines Loch in der Wand Kontakt aufgenommen.
Zitat "Neue Zürcher Zeitung":
"Durch das Loch konnten die Schweizer mit einiger Mühe Zigarettenpäckchen durchschieben. Die Italiener revanchierten sich, indem sie das Loch vorerst mit Wasser ausspülten und anschließend Chianti durchfließen ließen."
Blieb noch eine im Rückblick fast rührend anmutende Sorge, der die "NZZ" am Tag der Eröffnung Ausdruck gab:
"Nicht zuletzt ist man in Fachkreisen gespannt darauf, wie die Automobilisten die psychologische Spannung einer Fahrt durch eine Straßentunnelröhre überstehen werden, die zwar hell beleuchtet ist, deren Wände sich in der Sicht des Automobilisten aber auf einen Punkt hin vereinigen."
Die Autofahrer wagten das Tunnel-Abenteuer – am ersten Tag wurden 1300 Fahrten gezählt.
O-Ton Schweizer Filmwochenschau:
"Doch schon sind wir auf italienischer Seite, wo südliche Straßenbaukunst ein Meisterstück geliefert hat. Die 13 Kilometer lange Galerie ist ein wahres Wunderwerk. Und all dies ist nicht etwa staatlicher Initiative, sondern privatem Wagemut zu verdanken. Der Nutzen aber kommt allen zu. Und die Gefahr, dass die Schweiz umfahren wird, ist vorläufig gebannt."
Die Zahl der Nutzer stieg kontinuierlich. 1975 waren es schon mehr als eine halbe Million. Nach der Eröffnung des Gotthard-Straßentunnels 1980 gingen die Zahlen zurück. Und allmählich kam der Tunnel durch den Großen St. Bernhard auch in die Jahre. Bei einem Test des ADAC gab es 1999 die Note "mangelhaft". ADAC-Sprecher Otto Saalmann:
2013 wurde der Tunnel rund 620.000 Mal durchquert
"Zum einen hatte er eben nur eine Röhre mit Gegenverkehr, die Notruftelefone waren nicht lärmgekapselt, das heißt, man hat hier nix verstanden. Dann auch kein durchgehender Verkehrsfunk, kein Handybetrieb möglich, es gab keine zusätzlichen Fluchtmöglichkeiten. Man hat allerdings dann bis zum Jahr 2001, da waren wir wieder drin in diesem Tunnel, hat man einiges verbessert."
Auch wenn er mit moderneren Bauten nicht konkurrieren kann: Für viele ist der Tunnel durch den Großen St. Bernhard auch heute noch unentbehrlich: 2013 wurde er rund 620.000 Mal durchquert.
Verkehrspolitisch hat die Schweiz die Weichen indessen neu gestellt. In Zukunft soll vor allem der transalpine Güterverkehr möglichst von der Straße auf die Schiene verlagert werden.