Infrastruktur

Eigenes Auto in der Großstadt bringt nichts

Moderation: Dieter Kassel · 06.01.2014
Autofahrer werden an der Maut und der Erhöhung der Mineralölsteuer nicht vorbeikommen, vermutet Martin Randelhoff. Um den Verkehr vernünftig zu steuern, müssten Zeitkosten in Geld umgerechnet werden.
Dieter Kassel: In Deutschland wird weiterhin über die Pkw-Maut gestritten. Der ADAC ist, wie wir wissen, dagegen, und wie wir alle mit großem Erstaunen zur Kenntnis genommen haben, hat er sich sogar für eine Erhöhung der Mineralölsteuer ausgesprochen, damit man dann damit Infrastrukturmaßnahmen für den Autoverkehr finanzieren kann. Bessere Straßen und wahrscheinlich auch mehr Parkplätze für noch mehr Autos, ist das die Zukunft? Darüber wollen wir jetzt mit Martin Randelhoff reden, er ist Student der Verkehrswirtschaft, Gründer und Herausgeber des preisgekrönten Blogs "Zukunft Mobilität", und er berät auch unterschiedliche Firmen und Organisationen in Fragen des Verkehrs der Zukunft. Er sitzt jetzt für uns in Dresden im Studio, schönen guten Tag, Herr Randelhoff!
Martin Randelhoff: Guten Tag!
Kassel: Ist das die Frage, die auch Sie beschäftigt, ob wir die Infrastruktur für noch mehr Autos eher mit der Mineralölsteuer hinkriegen oder mit der Pkw-Maut?
Randelhoff: Ja, definitiv, weil, die Diskussion ist ja eine sehr wichtige. Jetzt müssen wir uns mal überlegen, welche Bedeutung eigentlich Verkehrsnetze für unsere Wirtschaft, für unsere Gesellschaft, für unseren Wohlstand haben, und dann müssen wir auch darüber reden, wie wir diese weiter finanzieren können. Wir alle kennen ja die Milliardenlöcher, die im Infrastrukturetat vorhanden sind, und wir brauchen einfach innovative, sehr effektive Maßnahmen, um letztendlich unsere Infrastruktur in Ordnung zu halten, um auch entsprechende Maßnahmen durchführen zu können.
Kassel: Aber wenn man überhaupt der Logik folgt: Diejenigen, die die Straßen benutzen, sollen sie auch bezahlen, was ist denn dann besser, das über die Mineralölsteuer zu machen oder doch über eine Maut?
Randelhoff: Ich glaube, eine Maut wäre wirklich sehr sinnvoll, weil, so effektiv eine intelligente, leistungsabhängige Maut im Bereich der Verkehrssteuerung und somit letztendlich in der Vermeidung von Staus ist, und die ganzen volkswirtschaftlichen Schäden, die dadurch entstehen, so ineffizient ist letztlich eine Vignette, besonders wenn wir die eben nur für Ausländer machen wollen und diese zudem den deutschen Autofahrer nicht belasten darf. Kurzfristig fürchte ich, wir werden diese Vignettenform bekommen, aber wir werden nicht darum kommen, letztendlich auch andere Finanzquellen zu erschließen. Ich nehme an, wir werden den Soli 2019 für komplett alle Infrastrukturmaßnahmen in Gesamtdeutschland verwenden, und wir werden vielleicht auch 2020 noch eine Erhöhung der Mineralölsteuer bekommen, zusätzlich zu einer Maut.
Kassel: Es gibt ja, was die Maut in Vignettenform angeht, ein Gegenargument, das lautet, Autofahrer könnten das dann, wenn sie so eine Vignette haben, als eine Art Flatrate verstehen und deshalb noch mehr Auto fahren als vorher, um die Fixkosten pro Jahr ein bisschen auszugleichen. Halten Sie die Gefahr für realistisch?
Randelhoff: Jeder Mensch hat ein begrenztes Zeitvolumen, das er letztendlich für Autofahren nutzen kann. Und ich glaube kaum, dass jemand zusätzlich Sprit verfährt, nur um seine Vignette zu refinanzieren. Es ist eher ein grundlegendes anderes Problem: Es sind pro Jahr nur ungefähr 5,5 Millionen ausländische Pkw, die auf dem deutschen Autobahnnetz verkehren, und wenn ich letztendlich eine Vignette für 100 Euro ansetze, komme ich damit auf ungefähr 550 oder, sagen wir mal, 600 Millionen Euro insgesamt. Abzüglich der Erhebungskosten bleiben dann vielleicht noch 400 oder 500 Millionen übrig. Man kann natürlich jetzt überlegen, wie sinnvoll das ist: Sind 400, 500 Millionen Euro mehr, die ich da in der Tasche habe, nicht Grund genug, diese einzuführen? Ich sage eher nein, weil ich mir dadurch sehr viele intelligente Optionen vom Tisch nehme, womit wir letztendlich unsere Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland auch langfristig sichern können.
Den deutschen Autofahrer an Kosten beteiligen
Kassel: Was nehmen Sie dann zum Beispiel vom Tisch?
Randelhoff: Sie nehmen zum Beispiel vom Tisch die fahrleistungsabhängige Maut, Sie nehmen vom Tisch, dass wir auch den deutschen Autofahrer entsprechend der externen Kosten, die er verursacht – das sind Lärmkosten, das sind letztendlich Kosten, die die Beeinträchtigung der Luftqualität betreffen, das sind teilweise Unfallkosten –, eben nicht mitfinanziert. Und es ist einfach auch aus der Verkehrssteuerungssicht sehr sinnvoll. Wenn wir überlegen, wie zum Beispiel im Ruhrgebiet jeden Tag die Staumeldungen durchrattern, dann wäre hier schon eine Steuerung über den Preis sehr sinnvoll. Allerdings, in gesamt Europa war die Einführung einer Maut sowohl gesellschaftlich als auch politisch immer extrem umstritten und extrem schwer durchzusetzen, deswegen, man muss da immer ein bisschen vorsichtig sein!
Kassel: Aber wenn wir zum Beispiel bei den Staus im Ruhrgebiet jetzt bleiben oder auch in anderen Ballungsräumen in Deutschland, wenn nun schon der Stau selber, den man ja im Verkehrsfunk oder auch mit modernen elektronischen Geräten anders mitgeteilt bekommt, wenn der nun schon die Leute nicht daran hindert, da langzufahren, warum sind Sie sich so sicher, dass andere Verkehrssteuerungsmaßnahmen das könnten?
Randelhoff: Weil wir uns heutzutage nicht über den Preis von Stau bewusst sind. Jeder Mensch hat gewisse Zeitkosten. Und wenn ich im Stau stehe, fallen dadurch letztendlich für mich persönlich Zeitkosten an, die ich aber nicht selber im Geldbeutel spüre. Und wenn ich es letztendlich schaffe, diese Zeitkosten teilweise zu monetarisieren, dass ich als Individuum dafür einen gewissen Betrag X bezahlen muss, dann ist mir das sehr viel bewusster. Und es gibt gewisse Entscheidungen, die ich durch den Preis eben beeinflussen kann, zum Beispiel wann ich losfahre, wenn ich die Maut sehr intelligent steuere, auch welche Strecken ich fahre. Und dadurch habe ich letztendlich das Gesamtsystem optimiert.
Kassel: Aber spricht nicht dagegen die Erkenntnis, dass gerade im Ruhrgebiet, wenn wir uns da die Nahverkehrszüge, die S-Bahnen innerhalb der Städte, auch Straßenbahnen und andere Verkehrsmittel angucken, im Ruhrgebiet wäre es ja auch möglich, ohne Auto zur Arbeit zu kommen. Natürlich tun das auch eine Menge Leute, aber eine Menge Leute sagen auch, Autofahren ist teuer und es ist unbequemer, mir ist es immer noch lieber, im eigenen Auto im Stau zu stehen, als den Schweiß der Mitfahrer in der S-Bahn zu riechen. Ist das nicht alles eine Frage, die eben nicht nur von Vernunftsargumenten abhängt?
Randelhoff: Ja, natürlich, wenn wir letztendlich nur von Vernunft gesteuert würden, dann würden wir auch den Pkw nicht so oft nutzen, weil die ganzen Kosten, die dadurch anfallen, abgesehen von den Spritkosten, die müssen natürlich auch mit reingerechnet werden. Im Ruhrgebiet ist es ein bisschen speziell, weil zum Beispiel das S-Bahn-Netz auch sehr stark belastet ist und da auch entsprechende Investitionen eigentlich durchgeführt werden müssten. Generell kann man aber sagen, dass wir eben kein wirklich rationales Verhältnis zum Fahrzeug oder sozusagen zu unserem eigenen Pkw haben.
Und da muss man eben auch eine gesellschaftliche Diskussion drüber führen. Man kann ja mal darüber reden, ob wir es nicht schaffen, zum Beispiel Arbeitszeiten zu entsynchronisieren, dass wir eben nicht alle um sieben, acht oder neun Uhr mehr anfangen müssen, sondern dass wir vielleicht doch um zehn oder um elf anfangen. Aber das ist letztendlich eine gesamtgesellschaftliche Debatte, um den Verkehr eben durch andere Maßnahmen, durch vielleicht auch regionalpolitische, durch raumstrukturelle Maßnahmen zu beeinflussen und dadurch besser fließen zu lassen.
Kassel: Wenn wir jetzt mal weggehen von dem Von-der-einen-Stadt-zur-anderen-Kommen oder gar Durch-ganze-Bundesländer-Fahren und über innerstädtischen Verkehr reden, würden Sie so weit gehen zu sagen, na ja, innerhalb einer Stadt wie Berlin, München, Hamburg, Köln und einige andere im Auto zu fahren ist, wenn wir alle so vernünftig denken würden, ohnehin Unfug?
Randelhoff: Zum Großteil ja. Also, ich möchte niemanden für seine Entscheidung irgendwie verurteilen. Ich sage aber, dass vor allem der private Pkw-Besitz in Großstädten wie München, Berlin oder Frankfurt nicht unbedingt zielführend ist. Ich kann alle oder die meisten meiner Ziele durchaus mit dem ÖPNV in einer guten Qualität, in einer recht kurzen Zeit 24 Stunden am Tag erreichen, ich kann die Fahrten, die ich nicht mit dem ÖPNV durchführen kann oder mit dem Fahrrad wie zum Beispiel die Fahrt zum Baumarkt und so weiter durchaus durch Carsharing-Fahrzeuge oder Mietwagen letztendlich ergänzen und habe dadurch keinerlei Mobilitätsverlust, obwohl ich selber keinen eigenen Pkw besitze. Das geht in Großstädten sehr gut, die ein sehr gutes ÖPNV-Angebot haben, auf dem Land sieht es natürlich anders aus, in Klein- und Mittelstädten ebenso.
"Wir werden ein rationaleres Verhältnis zum Pkw haben"
Kassel: Wir reden hier im Deutschlandradio Kultur heute Nachmittag mit dem Verkehrsexperten Martin Randelhoff über die Zukunft des Autoverkehrs in der Stadt. Und wenn Sie so ein bisschen andeuten, so wie er bisher ist, hätte er in Ihren Augen am besten gar keine Zukunft! Dann gucken wir doch so ein bisschen in die Zukunft: Ist es denn denkbar, dass wir wann auch immer durch eine Stadt laufen und den Pkw, so wie wir ihn heute kennen, gar nicht mehr antreffen?
Randelhoff: Ist schwierig zu sagen, da ich leider auch keine Glaskugel habe. Aber ich glaube, wir werden eben ein rationaleres Verhältnis zum Pkw haben. Wir werden vielleicht auch kleinere Fahrzeuge haben, es gibt ja auch dieses Beispiel der Kabinenroller, die letztendlich noch vielleicht eine Grundfläche von, sagen wir mal, zwei Metern nutzen, oder sogar kleiner, und vielleicht die Vorstellung, die wir heutzutage von Pkws haben, komplett überholt wird. Aber eben durch designtechnische Gegebenheiten.
Kassel: Wie kann man denn – Sie haben ja auch von einem Mentalitätswandel gesprochen –, wie kann man denn dahin kommen, dass dieses Besitzen des Autos nicht mehr als notwendig erachtet wird, zumindest in großen Städten, auch über Parkraumbewirtschaftung? Denn wir hören ja inzwischen aus den USA und anderen Ländern, ist ja auch Geschäftsmodell, da soll es ja Gegenden geben, wo man bei Großereignissen schon horrende Gelder für Parkplätze verlangen kann, angeblich gibt es Überlegungen, dass man bald mit großen Autos auch sichere Parkplätze mit kaufen können. a) Ist das realistisch? Und b) Ist das auch eine Möglichkeit, Leute davon zu überzeugen, Gott, das Ding steht ja eh meistens nur rum, da braucht man auch kein eigenes?
Randelhoff: Also, Parkraumbewirtschaftung machen wir heute ja auch schon. Parkraum ist etwas sehr Spezielles, da Fläche ein starres Angebot ist. Ich kann nicht zusätzliche Flächen zubauen in einer Stadt. Wenn ich mir vorstelle, was ich teilweise für Grundstückspreise in Frankfurt, München und anderen Großstädten habe, ist es letztendlich Wahnsinn, für einen Pkw ein paar Quadratmeter dafür zu opfern! Man kann Parkraum natürlich auch den normalen Mechanismen von Angebot und Nachfrage unterwerfen und dann habe ich eben sehr große Steigerungen oder auch sehr große Schwankungen im Preis. In den USA ist es teilweise so, da bezahle ich pro Stunde 15 Dollar im Business District zur Hauptarbeitszeit, um letztendlich diese Fläche, die ich verbrauche, entsprechend zu bepreisen.
Das ist natürlich ein Modell, das man durchaus anwenden kann. Man muss immer überlegen, wie man letztendlich zum Beispiel Anwohnern in Innenstadtbereichen und so weiter trotzdem ermöglicht, wenn sie eben auf den Pkw angewiesen sind, sich diesen noch leisten zu können. Ich möchte niemanden über den Geldbeutel von der Teilnahme am Leben oder von der Möglichkeit, alle Orte, die er erreichen möchte, zu erreichen, abhalten, das ist nicht das Ziel.
Kassel: Nun reden wir aber die ganze Zeit, Sie haben das selber schon gesagt, eigentlich nur über Städte, eigentlich auch nur über größere. Mittelstädte, Kleinstädte, gerade das flache Land, wo immerhin 13 Millionen Menschen leben in Deutschland, werden die alle von diesen Zukunftsentwicklungen in Bezug auf den Verkehr ausgeschlossen bleiben?
Randelhoff: Also, generell muss man sagen, dass der Pkw im ländlichen Raum wahrscheinlich noch an Bedeutung gewinnen wird, besonders, weil wir uns den ÖPNV heutzutage schon in gewissen Regionen nicht mehr leisten können und er de facto nicht mehr existent ist. Man sagt immer, sind die Schüler alle, ist der ÖPNV dort komplett, ja, nicht mehr existent. Es ist sehr schwierig letztendlich, abseits des Pkws und der individuellen Mobilität auf dem Land ein attraktives Angebot zu schaffen, weil der Pkw nun mal gewisse Vorteile hat und letztendlich sehr effizient in dem Bereich unterwegs ist. Man sollte aber vielleicht mal darüber diskutieren, inwieweit wir es schaffen, vor allem ältere Menschen, die vielleicht nicht mehr fähig sind Auto zu fahren, trotzdem noch mobil halten. Und es gibt ja auch von der Politik dieses Mantra der gleichen Lebenschancen oder der gleichen Lebensqualität auf dem Land wie in der Stadt, wie wir das erhalten wollen, wenn wir eben da sehr große Probleme haben letztendlich, den öffentlichen Verkehr in diesen Räumen noch zu organisieren.
Kassel: Die Zukunft des Autos ist dann vielleicht doch auch noch nicht ganz gegessen. Das war unser Gespräch mit dem Verkehrsexperten Martin Randelhoff, ich habe seinen Blog erwähnt am Anfang. Wenn Sie da Weiteres – wir haben ja selbst in diesen elf Minuten noch nicht alles besprechen können – nachschauen wollen, Sie finden diesen Blog unter zukunft-mobilitaet.net.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.