Informationsoverkill auf der Bühne

Von Volker Trauth |
Hans-Werner Kroesinger hat sich in der Tradition des dokumentarischen Theaters schon öfter Problemen von welthistorischer Dimension angenähert: dem zweiten Irakkrieg, der Zerstörung von Dresden oder dem Bürgerkrieg in Beirut. Seine neueste Inszenierung widmet dem Einsatz von Kindern in Kriegen. Auch hier zitiert Kroesinger aus unzähligen Quellen, vergisst dabei aber die Dramaturgie und generiert so Langatmigkeit.
Wie immer hat Hans-Werner Kroesinger mit bewundernswerter Akribie in den Archiven gesucht und aus unzähligen Fallstudien, Verlautbarungen, Bestimmungen, Vorschriften, Resolutionen und Erlebnisberichten zitiert.

Aus den Genfer Studien zur internationalen Krisenforschung erfahren wir Details über den weltweiten Einsatz von Kindersoldaten und die Verbreitung der von Ihnen vorrangig benutzten Handfeuerwaffen, aus den Resolutionen 1612 und 1347 des UN-Sicherheitsrates von der Ächtung der Rekrutierung von Kindersoldaten und aus den Richtlinien des Internationalen Gerichtshofs von den dafür vorgesehenen Strafen, aus den Vorschriften der inneren Führung der Bundeswehr, wie sich deutsche Soldaten im Kriegsfall beim Aufeinadertreffen mit Kindersoldaten verhalten müssen und aus den EU-Leitlinien, was von den Mitgliedstaaten an Maßnahmen erwartet wird, die die Rückkehr der nach Europa geflohenen ehemaligen Kindersoldaten ins zivile Leben erleichtern sollen.

Hauptkomplexe von Kroesingers Recherche kristallisieren sich heraus:
-die historischen Wurzeln des Phänomens "Kindersoldaten",
-die menschenverachtenden Methoden der Rekrutierung
-die fadenscheinigen Begründungen von Regierungs- und Rebellenarmeen (Kinder als billigstes Kampfpotential) für deren Einsatz in Kriegszeiten,
-wirtschaftliche Interessen ausländischer Konzerne (auch deutsche Waffenfirmen werden genannt)
- die verheerenden Folgen für Körper und Seele der Kinder
- die oft vergeblichen Anträge der 300 bis 500 in Deutschland lebenden ehemaligen Kindersoldaten um Asyl.

Kroesingers Materialfülle wirft in fast allen seiner Produktionen die Frage nach der szenischen Präsentation auf. Was die Produktion "Kindersoldaten" betrifft, ist deutlicher als in anderen Arbeiten ein Übergewicht des Informativen gegenüber der erfundenen Spielhandlung, des Faktischen gegenüber dem Schauspielerischen nicht zu übersehen. Nicht selten bleibt die Frage unbeantwortet, warum einer der vier vortragenden Schauspieler wem mit welcher Absicht welche Information gibt. Der Impuls als schauspielerische Grundvoraussetzung für individuelles Handeln auf der Bühne bleibt verborgen.

Im Bemühen, den dozierenden Tonfall zu vermeiden, suchen die vier Darsteller Birgit Berthold, Stefan Faupel , Corinna Mühle und Peter Priegann den bewusst beiläufigen Ton. Man wirft sich - entweder aus Schriftstücken zitierend oder sich mühsam erinnernd - Informationen zu, so als säße man gemeinsam über der kollektiven Abfassung eines Berichts oder einer Studie.

Lediglich zum Ende hin, wenn sich die von den Schauspielern vorgetragenen Informationen über ärztliche Gutachten, juristische Vorgaben verschränken mit Originalbekenntnissen des in Deutschland mit dem Vorbehalt der Duldung lebenden Kindersoldaten Diko, ergibt sich so etwas wie eine Spielhandlung - hier die Sitzung einer Asylantragskommission, die mit dem Befund "Abgelehnt" endet.

Unübersehbar auch der Hang zur Überillustration: ganze Kompanien von schwarzen und weißen Pappkameraden, von Papier- und Zinnsoldaten bevölkern als Demonstrationsobjekte die Bühne. Geschichten von Kindersoldaten aus früheren Jahrhunderten werden mit Fotos im Hintergrund belegt und wenn davon die Rede ist, dass ein Maschinengewehr nicht teurer ist als eine Ziege, wird die Zeichnung einer Ziege an die Rückwand geklebt. Bild und Requisit bebildern nur und vertiefen nicht die Information. Zwangsläufig stellt sich das Gefühl von Langatmigkeit ein.