Informationen zu mehr als 12.000 NS-Kunstwerken

Christian Fuhrmeister im Gespräch mit Frank Meyer · 20.10.2011
Bisher klaffte in der Kunstgeschichtsschreibung für die Jahre 1933 bis 1945 eine merkwürdige Lücke. Doch was oft als Kitsch oder staatlich verordnete Kunstproduktion abgetan worden ist, muss jetzt möglicherweise neu bewertet werden. Das Material dazu liefert eine neue Datenbank.
Frank Meyer: Die Datenbank zu den großen deutschen Kunstausstellungen – heute um 21 Uhr wird sie im Internet freigeschaltet. Der Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte ist einer der Projektleiter für diese Datenbank, die GDK Research heißt. Jetzt ist er für uns am Telefon – seien Sie willkommen, Herr Fuhrmeister!

Christian Fuhrmeister: Schönen guten Tag!

Meyer: Wir haben ja gerade gehört, die meisten Werke in den großen deutschen Kunstausstellungen der Nazizeit, die haben einen bieder konventionellen Kunstgeschmack bedient. Heißt das nun, man lernt aus Ihrer Aufarbeitung dieser Naziausstellung, die waren harmlos, weil da sowieso größtenteils Kitsch gezeigt wurde?

Fuhrmeister: Das ist kein Schluss, den man unseres Erachtens aus dem Material ziehen kann. Wir haben es mit der größten, wichtigsten Kunstausstellung des nationalsozialistischen Staates zu tun, das heißt, es sollen die Höchstleistungen gezeigt werden, das Beste, was Deutschland an Künstlern hervorzubringen vermag im Sinne einer staatlich gelenkten Kunstpolitik. Das Interessante ist, dass die Werke diesem propagierten Ideal nicht immer entsprechen, sondern wir eine ganz merkwürdige, auch ganz widersprüchliche Gemengelage haben von völlig belanglosen Werken, von sehr vielen Genredarstellungen, unendliche viele Tier-Darstellungen.

Meyer: Ich habe ein Beispiel dafür gesehen, Sie haben einige Fotos schon freigeschaltet: einen großen Bronze-Elch in aufrechter Haltung, frei dahinschreitend, würde jeden Zoo zieren, aber als Kunstspitzenleistung würde man das nicht ansehen.

Fuhrmeister: Ja, natürlich. Also davon gibt es sehr viele, das sind ja auch nur die großen, lebensgroßen Skulpturen. Im Obergeschoss gab es ja lange Säle mit Vitrinen, wo die ganze Kleinplastik, das Kunstgewerbe oder Kunstgewerbliche zu sehen war. Wir sagen einfach, das ist etwas, worüber man zukünftig wird arbeiten können, denn die Ausstellungskataloge und die Tagespresse haben einfach nur einen kleinen Ausschnitt geliefert, und das hat ein Stück weit einfach auch die Rezeption und Bearbeitung in der Kunstgeschichte selbst geprägt.

Meyer: Herr Fuhrmeister, wenn wir mal noch bei diesem Kitschthema bleiben, wenn die Nazis in diesen Kunstausstellungen vor allem Kunst für den Massengeschmack gezeigt haben, kann man dann sagen, Sie haben sich für eine demokratische, für eine nicht elitäre Kunst eingesetzt?

Fuhrmeister: Das ist eine Frage, die man letztendlich erst wird beantworten können, wenn man sich wirklich die 12.550 Exponate im Einzelnen genauer angeguckt hat. Sie dürfen aber natürlich den kunstpolitischen Kontext nicht außer Acht lassen. Jede große deutsche Kunstausstellung wird am Anfang in Raum eins gewissermaßen mit einem politischen oder auch militärischen Mission Statement eröffnet, da haben Sie genau diese idealisierende Staatskunst. Und dann fächert es aber aus in den vielen, vielen Sälen mit den vielen, vielen Werken, bis zu 1.800 pro Jahr, die von einem Massenpublikum wahrgenommen wurden.

Meyer: Das ist ja genau der Punkt, das finde ich ja interessant, diese Ausstellungen waren ja wahnsinnig erfolgreich, 400.000 bis 850.000 Besucher für eine Kunstausstellung, für eine staatlich gelenkte Kunstausstellung, wo man ja auch Vorbehalte haben kann. Also lag der Erfolg dieser Kunstausstellung auch daran, dass sich die Nazis da besonders geschickt eben des Massengeschmacks bedient haben?

Fuhrmeister: Zweierlei – Massengeschmack ist ein wichtiges Stichwort. Natürlich steht dahinter auch gewissermaßen ein volkspädagogischer Aspekt. Es sollte sozusagen die Höchstleistung der deutschen Kunst, gleichzeitig sollte ein Stück weit auch das Reich repräsentiert sein. Das heißt, die Gaue sollten vertreten sein, die Generationen – Sie haben von daher auch Künstler, die aus der HJ kommen, und die verschiedenen Gesellschaftsschichten sollten auch mit ihren Werken vertreten sein. Es gibt ja unendlich viele Zeichnungen dort, also Grafik und auch Druckgrafik, zu Preisen von 30 Reichsmark, 50, 100 Reichsmark. Das Haus der Deutschen Kunst als Wirtschaftsunternehmen hat ja nicht nur floriert, weil dort Thorak/Breker große Reliefs oder Figurengruppen präsentiert haben, die dann Speer oder Hitler gekauft haben, sondern wir haben ja auch sozusagen eine breite Massenströmung. Und diese Teilhabe an einer staatlich als das Größte, Beste, Schönste dargestellten Kunstpolitik war sicherlich ein Teil des Erfolges des Hauses der Deutschen Kunst als Wirtschaftsunternehmen.

Meyer: Nun ist das Bieder-Konventionelle die eine Seite, Sie haben es schon angesprochen, dieses Mission Statement, wenn man hineinkam in die Kunstausstellung, und es war ja eben tatsächlich auch nationalsozialistische Propagandakunst zu sehen, eben die Verherrlichung der nackten, muskulösen Körper oder die Verherrlichung von Führerfiguren. Es gab ja nun seit der Nachkriegszeit praktisch bis in die Gegenwart den Konsens, Nazikunst, die zeigen wir nicht. Diesen Konsens heben Sie nun auf mit dieser Datenbank – warum tun Sie das?

Fuhrmeister: Wir stellen es deshalb zur Verfügung, weil wir glauben, dass es für die Forschung interessant sein könnte, sich mit diesem Material zu beschäftigen. Wir wollen einfach …

Meyer: Ja, aber Ihr – Entschuldigung – aber Ihre Datenbank ist ja nun nicht nur für Wissenschaftler zugänglich …

Fuhrmeister: Nein.

Meyer: Jeder kann sich dort bedienen, jeder auch politische Wirrkopf kann sich dort Nazikunst anschauen, sich davon, was weiß ich, anregen, beflügeln lassen. Halten Sie das nicht für eine Gefahr?

Fuhrmeister: Nee, das halte ich deshalb nicht für eine Gefahr, weil auch wenn wir es als Buch gemacht hätten, ein Buch kann sich seine Leser auch nicht aussuchen, die Rezeption wird man nicht steuern oder präjudizieren können. Wir hatten eine Phase, die ungefähr bis 1970 reichte, wo alles, was mit dem Nationalsozialismus zu tun hatte, tabuisiert, verdrängt und verschwiegen wurde – das ist heute nicht mehr so. Und was die Kunstgeschichte betrifft, ist es vielleicht eher so, dass man eine Art Nachholbedarf konstatieren kann in der vorbehaltlosen Auseinandersetzung mit dem, was uns an Dokumenten überliefert ist.

Meyer: Mit Ihrer Datenbank stößt man ja auch auf die Frage: Gibt es eigentlich so etwas wie die nationalsozialistische Kunst? Was ist das Nationalsozialistische an einem Bild? Sie haben sich jetzt jahrelang mit diesen Objekten befasst, haben Sie das zu fassen bekommen?

Fuhrmeister: Das Nationalsozialistische besteht für mich vor allem in dem Kontext, in dem die Werke produziert werden – Distribution, Rezeption.

Meyer: Also nicht in den Werken selbst, sondern in der Situation?

Fuhrmeister: Ja. Das ist in einigen Werken natürlich selbstverständlich – "Der Trommler", und dann sehen wir einen HJ-Jungen und so weiter, das ist völlig klar, da ist es das Werk, da ist es das Motiv, das kann man anbiedernd sehen, das kann man als vorauseilenden Gehorsam ansehen, das alles gibt es. Aber wir haben so viele Werke, die nicht diese Vorstellung von Auftragskunst erfüllen. Wir haben eine große stilistische Breite, wir haben merkwürdige Widersprüche, wir haben Heroen der Moderne wie Gabriele Münter, die sich 1937 bewirbt und nicht genommen wird. Rudolf Belling ist 1937 sowohl mit "Max Schmeling" auf der GDK und mit dem "Dreiklang" bei der Entarteten. Wir haben viele Gegensätze und wir haben Entwicklungstendenzen, dass die militärischen Motive 1939/40 stark sind, 1941 auch noch, dann 1942/43/44 immer stärker verschwinden, und es kommen noch mehr Frühlingszweige, Landschaften und Blumenstillleben. Das heißt, das Entpolitisierte als systemstabilisierende Maßnahme, als flankierende Maßnahme, die einen Freiraum, der nicht vom Alltag des Bombenkriegs bestimmt ist, vorgaukelt, das spielt eine große Rolle, und da kommen wir an Fragen, die sich die Kunstgeschichte bisher nicht so gestellt hat.

Meyer: Bisher ging ja die Kunstgeschichtserzählung für Deutschland im 20. Jahrhundert, ungefähr so: Bis 1933 hatten wir die Moderne, dann kam dieses seltsame kunstgeschichtliche Niemandsland der Nazizeit, und dann fing es neu an praktisch, nach 1945. Wenn Sie jetzt diese Lücke in gewissem Sinne schließen oder aufschließen, was heißt das für die kunstgeschichtliche Entwicklung danach, wird man da ganz neue Zusammenhänge sehen können, auch hinein eben in die Nazizeit?

Fuhrmeister: Ich glaube schon. Also es hat ja auch bisher schon Differenzierungsbemühungen gegeben, das ist ganz klar, aber Sie können jetzt einfach viel, viel genauer sich einzelne Personen anschauen, einzelne Oeuvre oder Werkekomplexe. Wir haben sowohl über 1933 oder 1937 hinaus als auch über 1945 hinaus ganz unvermutete Kontinuitätslinien, teilweise gibt es Künstler, die reichen dieselben Werke 1944 und 47 ein, werden beide Male genommen und ausgestellt, dasselbe Bild.

Das heißt, es ist eine sehr bequeme Vorstellung mit der Wasserscheide 1933, den Künstlern fällt der Pinsel aus der Hand, nichts passiert mehr, und es gibt nur noch die angepassten Staatskünstler, und dann 1945, die kriechen dann aus den Kellern und machen die Moderne weiter. Wir haben viele Befunde, wo man sagen muss, das ist keine Konzeption, die weiterhin Bestand haben kann.

Meyer: Die nationalsozialistischen großen deutschen Kunstausstellungen kann sich ab heute jedermann anschauen, um 21 Uhr wird die Datenbank dazu freigeschaltet unter der Adresse www.gdk-research.de. Der Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte hat diese Datenbank mit vorbereitet. Herr Fuhrmeister, vielen Dank für das Gespräch!

Fuhrmeister: Ja, gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Links auf dradio.de:

Kunst der NS-Diktatur im virtuellen Raum - Freischaltung der Forschungsplattform "GDK Research"
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