Infiziert mit Covid-19

Als Familie zu Hause in Quarantäne

07:15 Minuten
Ein Junge übt während des zweiten Lockdown Gitarre über eine Onlineplattform.
Solange die Kinder nicht getestet sind, wissen Kita und Schule nicht, wie sie reagieren sollen. (Symbolbild) © imago images / Hans Lucas/ Celine Gaillex
Von Anja Schrum · 24.11.2020
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Wer in diesem Herbst merkt, dass es im Hals kratzt, wird nervös: Erkältung, Grippe oder Covid-19? Der inzwischen ganz normale Wahnsinn beginnt, wenn die Symptome in Richtung Corona weisen. Eine Berliner Familie hat es erwischt. 
"Früher war das gar kein Problem, ich konnte bis Mitternacht Kaffee trinken und sofort wieder einschlafen, jetzt nicht mehr", erzählt Erin beim Kaffee brühen in der großen Wohnküche. Wenigstens schmecke sie ihr Lieblingsgetränk jetzt wieder, sagt die 40-Jährige, das war in der harten Phase der Erkrankung nicht so.
"Mit geschlossenen Augen ist es Kaffee oder warmes Wasser, nicht unterscheidbar."

Alarmzeichen: Geschmacks- und Geruchssinn sind weg

Karsten schiebt die bunten Kinderstühle beiseite. Das Paar setzt sich mit seinen Kaffeetassen an den großen Holztisch. Eine Stunde Pause, dann geht’s in die nächste Videokonferenz. Beide arbeiten in der Internetbranche, sind seit März im Homeoffice. Anstrengung genug mit zwei Kindern. Und dann auch noch Corona:
"Karsten hatte so am Sonntag langsam Erkältungssymptome, so ein bisschen leichte Kopfschmerzen, nichts Dramatisches. Am Montag wachte ich auf mit so Druck im Gesicht, dolle Kopfschmerzen, ich dachte, ich krieg eine Nasenhöhlenentzündung, Sinusitis und das kriege ich oft."
Kein Grund zur Sorge, denken die beiden. Erkältung eben, schließlich ist es Herbst, draußen wird’s langsam kalt und feucht.
"Bis wir beide am Mittwoch unseren Geschmackssinn verloren haben", sagt Erin lachend und Karsten ergänzt:
"Der Geruchssinn ist auch weg gewesen, also nicht nur Geschmackssinn, sondern auch Geruchssinn und das war dann doch sehr auffällig, weil das bei uns zeitgleich passiert ist."

Das Testergebnis kommt schnell

Das Ehepaar meldet sich telefonisch für einen Coronatest an. Der Hausarzt scherzt noch, als sich die beiden – völlig schlapp – in seine Praxis schleppen. 24 Stunden später dann steht die Diagnose fest: Covid-19.
"Dass der Virus unterschiedliche Organe und Bereiche im Körper anfällt, das war richtig auffällig", erklärt Karsten.
"Paar Tage war es eher im Kopfbereich, dann in den Lungen, ich hatte auch so ein bisschen Magen-Darm-Probleme. Das war schon ungewöhnlich."
Grippesymptome kennt man, sagt Erin. Man weiß, dass man das Fieber, die Gliederschmerzen, den Schnupfen aushalten muss, bis es besser wird.
"Bei Covid war das komplett anders. Jeden Tag kamen neue Symptome und das macht wirklich ängstlich, weil das nicht normal ist."
Hinzu kommt eine unglaubliche körperliche Abgeschlagenheit, erinnert sich der 48-jährige Karsten. Obwohl die beiden fit sind, regelmäßig joggen und ins Sportstudio gehen.
"Wir wohnen in der ersten Etage, dass man ein Stockwerk nach oben geht, dass man teilweise Schweiß auf der Stirn hatte, erschöpft ist und auch die Kurzatmigkeit."

Nervöse Nachfragen von allen Seiten

Doch einfach ins Bett legen und auskurieren geht nicht. Da sind ja noch die beiden Kinder, fünf und sieben Jahre alt, beide müssen auch getestet werden. Erin und Karsten erinnern sich an Unsicherheit und Nervosität.
"Du musst die Schule anrufen, Hort anrufen, Kita anrufen und dann wussten die – weil es ganz am Anfang von der zweiten Welle war, die wussten auch nicht genau, was zu tun war."
"Und die Eltern fragen immer wieder nach, was ist mit den Testergebnissen? Dann werden wir immer wieder angerufen, bekommen irgendwelche Nachrichten von der Kita, von der Schule, was ist denn jetzt, was ist denn jetzt? Da merkt man einfach, dass alle auf heißen Kohlen sitzen."

Abstrich mit Youtube-Anleitung

Muss die Kitagruppe in Quarantäne? Und was ist mit der Schulklasse und dem Hort? Solange die Kinder nicht getestet sind, wissen Kita und Schule nicht, wie sie reagieren sollen. Den Rachenabstrich bei den Kleinen machen die Eltern selbst. Den Becher mit den Testkanülen stellt das Gesundheitsamt auf den Treppenabsatz.
"Wir sind auch keine Profis darin, so die Zunge runter zu halten und das Ding tief rein", sagt Erin. Karsten erzählt lachend: "Wir haben uns ein Video auf Youtube angeschaut, wie man das richtig machen soll."
Die größere Tochter ist positiv, aber symptomfrei. Die Kleinere wird negativ getestet. Das Gesundheitsamt empfiehlt, sie zu isolieren. Erin schüttelt ungläubig den Kopf. Eine Fünfjährige den ganzen Tag allein im Zimmer? Dass das nichts wird, sieht auch die Dame vom Gesundheitsamt ein. Die gesamte Familie muss 14 Tage in Quarantäne, darf keinen Schritt vor die Tür setzen. Die Kinder toben durch die Wohnung. Die Eltern ordern Einkäufe via Internet.

Gute Betreuung durch das Gesundheitsamt

Täglich meldet sich das Gesundheitsamt. Prüft, ob die Familie die Quarantäne einhält und fragt nach den Symptomen. Erin und Karsten fühlen sich gut betreut. Doch mittlerweile sei das anders, sagt Erin. Gerade hat sie mit einer Kollegin telefoniert.
"Die ist gerade auch in Quarantäne und die wartet auf die Testergebnisse und jetzt, weil es so viele Fälle in Berlin gibt, sie hat eine komplett andere Erfahrung mit diesem ganzen System."
Erin und Karsten müssen Kontaktlisten erstellen. Wen haben sie wann getroffen? Wer könnte infiziert sein? Mittlerweile ist eine Kontaktnachverfolgung vielerorts kaum noch möglich. Erin und Karsten haben keine Ahnung, wo sie sich angesteckt haben könnten.
"Man darf nicht mehr in die Kita seit Monaten, man bringt das Kind bis zum Zaun und dann schmeißt man‘s einfach durch und in der Schule ist es genauso, überall tragen wir Masken."

Infektionsquelle nicht gefunden

"Die Woche davor waren wir ein-, zweimal im Restaurant, wir haben uns auch mit Freunden im Restaurant getroffen – es kann überall gewesen sein."
Bei Karsten verschwinden die akuten Symptome nach gut zwei Wochen. Er fühlt sich zunächst noch abgeschlagen und leidet unter Wortfindungsstörungen. Doch das bessert sich.
Erin erwischt die Krankheit heftiger, ihre Genesung dauert deutlich länger. Drei Wochen ist sie krankgeschrieben, dann fängt sie langsam wieder an zu arbeiten. Auch sie leidet unter Wortfindungsstörungen, sogar in ihrer Muttersprache, sagt die gebürtige Neuseeländerin.
"Aber auch englische Wörter haben mir gefehlt, das war echt so komisch. Und diese Erschöpfung ist bei mir immer noch ein bisschen da. Ich fühl mich einfach komplett durch."

Eine einschneidende Erfahrung

Sechs Wochen nach Infektionsbeginn fühlt sich Erin immer noch sehr abgeschlagen. Und auch ihr Geruchs- und Geschmackssinn ist noch nicht wieder hundert Prozent hergestellt.
"Um ein bisschen Knoblauch zu schmecken, muss ich in das ganze Ding so reinbeißen und es ist so, dass eine Tasse Kaffee wieder nach Kaffee schmeckt, aber so stark ist es auch nicht."
Rein medizinisch gelten beide Krankheitsverläufe als leicht für Covid-19 – und trotzdem: Erin und Karsten hat es gereicht. Die beiden hatten zwar keine finanziellen Einbußen, aber reichlich Stress mit der Krankheit selbst und der Organisation drum herum. Er werde auf jeden Fall weiterhin vorsichtig sein, sagt Karsten.
"Ich möchte es auf keinen Fall ein zweites Mal haben und ein Spaß ist es nicht gewesen und ich kann‘s beim besten Willen niemandem empfehlen."
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