Indonesiens grausame Vergangenheit

Schriftsteller folgen der unerschrockenen Ayu Utami

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Die Autorin Ayu Utami in ihrem Arbeitszimmer. © picture alliance / ANN / The Jakarta Post
Von Holger Heimann · 01.07.2015
Indonesische Schriftsteller - allen voran Ayu Utami - wollen daran erinnern, dass ihr Land vor 50 Jahren zu einem Massengrab wurde. Im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse erscheinen Bücher, die sich mit dieser traumatischen Vergangenheit auseinandersetzen.
Indonesien hat einen der blutigsten antikommunistischen Gewaltexzesse im 20. Jahrhundert erlebt. Nach einem Militärputsch durch General Suharto wurde 1965 eine Hatz auf Kommunisten entfesselt, der in wenigen Monaten schätzungsweise eine Millionen Menschen zum Opfer fielen. Allein, wir in Europa wissen erstaunlich wenig über das massenhafte Morden auf dem Inselarchipel.
Joshua Oppenheimers Film "The Act of Killing" aus dem Jahr 2012 hat die Schlächterei in schaurige Bilder gefasst. Oppenheimer bat die bis heute unbehelligt gebliebenen Mörder von einst, ihre Taten selbst nachzuspielen. Mit welcher Verzückung die Verbrecher im Film Puppen einen Draht um den Hals legen oder die Augen ausstechen, ist ebenso schwer zu ertragen wie der darin zum Ausdruck kommende frappierende Mangel an Leugnung und Scham.
Doch die offizielle Propaganda, die aus den tatsächlichen Opfern sadistische Unmenschen gemacht und so ihre Auslöschung zu legitimieren versucht hat, scheint in Indonesien bis heute nachzuwirken – auch 17 Jahre nach dem Ende des Suharto-Regimes noch. Die Auseinandersetzung mit der blutigen Geschichte kommt jedenfalls nur schleppend voran. Das ist der niederdrückende Befund des Übersetzers Peter Sternagel, der lange in Indonesien gelebt hat:
"Eine direkte Offenheit besteht nicht. Es gibt immer wieder Kreise, die das eigentlich nicht wollen. Das ist dasselbe, was wir in Deutschland erlebt haben nach 1945. Es war alles nicht so schlimm."
Es ist seit jeher die indonesische Literatur, die dem offiziellen Geschichtsbild eine andere, differenzierte Sicht entgegenstellt. Doch erst seit dem erzwungenen Rücktritts Suhartos 1998 können die traumatischen Ereignisse offener und mit Nachdruck thematisiert werden. Die erste Autorin, die das tat, war Ayu Utami. Ihr Roman "Saman", der gleich mehrere Tabus brach und sie ihn Indonesien bekannt machte, erschien bereits 1998, auf Deutsch kommt jetzt auch die Fortsetzung "Larung" heraus. Für Ayu Utami hat die Beschäftigung mit der Geschichte nichts an Dringlichkeit eingebüßt:
"Ein Schriftsteller sollte nicht nachlassen, seine Leser daran zu erinnern, welche schrecklichen Dinge in der Vergangenheit geschehen sind. Wir müssen uns dem Zurückliegenden stellen, damit es sich nicht wiederholt."
Die meisten kritischen Autorinnen sind Frauen
Der unerschrockenen Ayu Utami sind andere Autoren gefolgt, vornehmlich Frauen. In den nächsten Wochen erscheinen auf Deutsch auch die aufschlussreichen Debütromane von Leila Chudori und Laksmi Pamuntjak, "Pulang (Heimkehr nach Jakarta)" und "Alle Farben Rot", die sich beide mit dem lastenden Erbe des Massenmordes auseinandersetzen. Vehement kritisiert vor allem Leila Chudori, die auch als Journalistin gern deutliche Worte findet, die Erinnerungspolitik der gegenwärtigen Regierung:
"Wir haben noch einen langen Weg zu gehen. Die Regierung hat nicht wirklich akzeptiert, was passiert ist. Sie leugnen oder verschweigen das Geschehene. Menschenrechte sind diesen Leuten auf gewisse Weise gleichgültig. Sie können sich bis heute darauf verlassen, dass große Teile der Bevölkerung 32 Jahre lang einer Gehirnwäsche unterzogen wurden."
Gegen diese Indoktrinierung schreiben die indonesischen Schriftstellerinnen mit kaum nachlassender Energie an. Die Romane über die beinah 50 Jahre zurückliegenden Massaker geben auf je eigene Weise detailgenaue Einblicke in die seelische Verfasstheit eines Landes im Aufbruch, das jedoch ein schweres, unbewältigtes Trauma mit sich schleppt. Es sind gelungene literarische Versuche, über das lang Verschwiegene zu erzählen und zugleich die offiziellen Version der zurückliegenden Ereignisse zu hinterfragen. Für Laksmi Pamuntjak war dabei das Schreiben selbst ein Lernprozess:
"Während der Arbeit an dem Roman habe ich etwas begriffen: Ein Autor, der sich entscheidet, über diese Vergangenheit so zu erzählen, wie ich es getan habe, hat die Verantwortung, ja die Pflicht zu versuchen, Einfluss darauf zu nehmen, wie Menschen denken, ihre Vorstellungen zu beeinflussen – in welch geringem Maß auch immer. Ich lebe nicht in der Annahme, dass ein Buch die Welt verändern kann. Kein Buch tut das. Aber es lassen sich einzelne Menschen erreichen – und das ist doch schon viel. Wenn man den Glauben daran verliert, dass Bücher dazu in der Lage sind, warum sollte man dann überhaupt Schriftsteller werden?"
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