Islamisten in Mali

Mit Schönheit aufbegehren

Die Schauspielerinnen Kettly Noel und Toulou Kiki, Schauspieler Hichem Yacoubi, der Regisseur Abderrahmane Sissako und der Schauspieler Abel Jafri beim Cannes Film Festival (von links)
Die Schauspielerinnen Kettly Noel und Toulou Kiki, Schauspieler Hichem Yacoubi, der Regisseur Abderrahmane Sissako und der Schauspieler Abel Jafri beim Cannes Film Festival (von links) © AFP PHOTO / VALERY HACHE
Moderation: Susanne Burg · 06.12.2014
Wenn die Dschihadisten Fußball mit Ball verbieten, spielen die jungen Männer eben ohne - das sieht dann zwar aus wie Ballett, aber die Islamisten können den Männern nichts anhaben. Der Regisseur Abderrahmane Sissako zeigt, wie die Bevölkerung von Timbuktu mit Humor und List gegen Islamisten revoltiert.
Susanne Burg: Sie wollten ursprünglich einen dokumentarischen Essay über die Ausbreitung des islamischen Fundamentalismus in der Gegend von Timbuktu in Mali machen. Warum ist daraus letztendlich ein Spielfilm geworden?
Abderrahmane Sissako: Man muss einfach verstehen, dass, wenn man Produktionspartnern sagt, man dreht einen Dokumentarfilm zu diesem Thema, dann konnte ich mir sicher sein, dass die Antwort sofort Ja lauten würde. Also, meine Partner bei Arte haben, als sie hörten, ich hätte vor, einen Dokumentarfilm zu drehen, sofort zugesagt. Aber wie gesagt, das Prinzip eines Dokumentarfilms besteht ja eben auch darin, dass man frei drehen kann. Es gibt ja hier in diesem Film eine sehr, sehr wichtige Szene einer Steinigung und das ist ja nun etwas, was man nicht einfach so dokumentarisch drehen kann. Und deswegen hatte ich ursprünglich vor, das als eine Animation zu drehen. Bloß, durch die Besatzung war es natürlich auch so, dass man nicht frei drehen konnte, dass man nicht sagen konnte, was man wollte. Und so ein Dokumentarfilm wäre dann komplett uninteressant geworden. Und dann ist es einfach so, dass man im Spielfilm mit gewissen Emotionen einfach freier und besser umgehen kann. Man kann intimere Zusammenhänge besser darstellen, man kann subtiler arbeiten. Und ehrlich gesagt liegt mir der Spielfilm auch eher, weil das das Genre ist, was ich normalerweise eben auch ausübe.
Burg: Wenn wir Nachrichten sehen tagtäglich, da sehen wir vor allem Kampfesszenen aus solchen Regionen, zerstörte Städte. In Ihrem Film gibt es wunderschöne Landschaftsaufnahmen und die Brutalität kommt eher unaufgeregt und plötzlich daher, bricht ein in eigentlich recht friedliche Szenen. Es gibt ja auch Berichte von Menschen, die im Krieg waren, die die Ruhe fast noch bedrohlicher fanden als den Kugelhagel. Wie ging es Ihnen, wollten Sie ein anderes Bild vom Alltag unter dem Regime islamistischer Extremisten zeigen?
Menschen, die friedlichen Widerstand leisten
Sissako: Es gibt ja eine Sache, über die redet man nicht wirklich, und das ist das Leiden der Zivilbevölkerung, die sich in solchen Städten befindet, die besetzt sind, die unter einem Besatzertum stehen. Man redet wohl davon, wenn westliche Journalisten als Geiseln genommen werden, davon redet man sogar jahrelang, aber über das Leiden der Zivilbevölkerung, die ja auch als Geisel genommen wird, darüber wird eigentlich fast gar nicht berichtet. Man nimmt eher den Islam in eine Form von Geiselhaft. Und ich war jetzt einfach der Meinung, dass man etwas anderes auch mal zeigen muss, man muss auch mal diese nicht so offensichtliche Gewalt zeigen, dieses Leiden der Zivilbevölkerung. Und dann darf man natürlich auch nicht vergessen, bei einer Besatzung geht das Leben ja weiter, der Alltag geht weiter. Und in einem Alltag, da gibt es auch schon mal einen schönen Lichtstrahl. Und die Orte, die Sie erwähnt haben, die Sie so schön und so wunderbar gefilmt finden, die sehen einfach in der Realität schön und wunderbar aus und die Menschen, die dort leben, sind auch wunderbare Menschen, weil die so einen unglaublichen Mut und so eine unglaubliche Würde haben und friedlich Widerstand leisten. Und die Aufgabe des Filmemachers ist es, genau das sichtbar und verständlich zu machen.
Burg: Der Film hat auch eine Portion absurden Humor. Es ist so, dass unter den Dschihadisten Fußballspielen wie vieles andere verboten ist. Da gibt es eine ganz schöne Szene, wo das Fußballteam Fußball spielt, aber ohne Ball. Es sieht alles aus wie ein Ballett. Und im Hintergrund sieht man die Wächter bedrohlich vorbeifahren, aber die können nichts machen, weil ja kein Fußball dabei ist. Ist dieser absurde Humor vor allem ein filmisches Mittel der Überhöhung oder können Witz und List tatsächlich ein effektives Mittel gegen Islamisten sein? Die Brutalität nimmt ja im Laufe des Films zu und da scheint auch Humor dann nicht mehr wirklich zu helfen.
Sissako: Bei einem Film ist ja nicht nur der Inhalt wichtig, sondern auch die Form - wie ich Dinge darstelle. Und wenn man etwas Verbotenes zeigen möchte, ist es wichtig, mit welchen Mitteln man das zeigt, ohne etwas jetzt nur einfach nur zu erklären. Und deswegen muss man sich, immer wenn man Kino macht, die Frage stellen: Mit welchen Mitteln erzähle ich das jetzt? Mit dem Fußball darzustellen, der verboten ist, oder Musik darzustellen, die verboten ist? Beim Fußball habe ich es einfach versucht mit dieser Choreografie, indem ich einfach die Schönheit gefeiert habe. Die Schönheit ist dann sozusagen der Widerstand. Dieses Spiel ohne Ball zeigt eine Revolte der jungen Leute, die keine Waffen zur Verfügung haben, die auch nicht bewaffnet sein möchten. Und bei der Musik ist es ja ähnlich. Es ist ja wohl das Absurdeste überhaupt, Musik zu verbieten, weil alle Menschen Musik mindestens im Kopf haben. Und ich wollte einfach das in irgendeiner Form auch klar machen und das kann ich ganz gut als Kinomacher, als Filmemacher.
Burg: Jetzt haben wir über die Bevölkerung gesprochen, lassen Sie uns auch über die Dschihadisten sprechen! Die sind ein in Ihrem Film bunt zusammengewürfelter Haufen, sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, verstehen häufig die Sprache des anderen nicht, haben unterschiedliche Einstellungen. Sie sind also keine anonyme Masse, sondern Menschen mit Gesichtern. Warum war es Ihnen wichtig, sie so zu zeigen?
Ein schwarzer Mann mit kurzen grauen Haaren hat die Brille nach oben geschoben und drückt seine Finger in die Augen, um Tränen wegzuwischen.
Der mauretanische Regisseur Abderrahmane Sissako brach bei der Pressekonferenz in Cannes in Tränen aus.© dpa/picture alliance/Ian Langsdon
Sissako: Ich habe sie so gezeigt, weil sie genau so sind, so sieht das eben aus. Und Timbuktu ist eine Stadt, die ich wirklich kenne und die eigentlich wirklich dafür bekannt ist, eine sehr tolerante Stadt zu sein, eine Stadt, in der es einen wirklichen Austausch normalerweise gibt. Auch eine Stadt übrigens, wo mehrere Sprachen nebeneinander existieren. Und eines Morgens wird nun diese Stadt plötzlich in Geiselhaft genommen, denn es kommen plötzlich Soldaten an, die dieses Regime dort aufbauen. Und die kommen aus den verschiedensten Ländern, es gibt einen Tunesier, der Chef der Miliz ist ein Pakistaner, es gibt Algerier, einer ist auch Nigerianer, das ist der, der im Film eben Englisch redet. Und plötzlich wird dort eine schreckliche Form der Gewaltherrschaft eben installiert. Das hat aber nichts mit den Leuten zu tun, die dort leben, das hat auch nichts mit der Religion an sich zu tun, das hat mit den Leuten zu tun, die sich zusammengerottet haben und da in diese Stadt eingefallen sind. Und ich wollte mit diesem Film auch so ein bisschen die Bevölkerung entschuldigen, weil man im Westen vielleicht sehr schnell dazu neigt zu denken, ah, es ist die Bevölkerung, die so radikal ist. Aber das stimmt eben einfach nicht.
Burg: Auch da gibt es eine lustige Szene: Die Dschihadisten nehmen ein Video auf, mit dem sie Interessierte rekrutieren wollen, aber der Mann, der werben soll, bekommt es nicht richtig hin und sie müssen immer wieder von vorne anfangen. Solche Videos haben ja nun auch einen sehr aktuellen Bezug, es gibt sie schon lange, aber wie haben diese aktuellen Videos von zum Beispiel britischen IS-Anhängern Ihren Blick auf Ihre Szene im Film verändert?
Islam wird seit dem 11. September mit Gewalt verbunden
Sissako: Zunächst muss ich erst mal sagen, dass ich mir solche Videos prinzipiell nicht anschaue, daher können sie mich auch nicht beeinflussen. Aber mir ist natürlich klar, dass schon lange vor der ISIS oder vor dem IS es diese Propagandavideos gegeben hat, dass man sie auf Youtube einstellt und dass sie existieren und als Kommunikationsmittel von solchen radikalen Gruppen genutzt werden. Aber was ich versuche mit meiner Szene zu zeigen, ist eben auch: Es braucht ein gewisses Handwerk, es braucht eine gewisse Meisterschaft, um sich solcher Mittel zu bedienen, um so ein Video überhaupt drehen zu können. Und in dieser Szene ist das ja ein sehr junger Rapper, der eigentlich aus Frankreich kommt, der aber plötzlich mit allem bricht, der meint, Musik, das ist eben die große Sünde, der aber erst 22 Jahre alt ist, das darf man auch nicht vergessen. Er ist noch sehr jung und ich wollte damit auch zeigen, wie leicht sich solche jungen Menschen auch manipulieren lassen. Der ist aus irgendeinem Grund unzufrieden mit seinem Leben und eben auch sehr labil. Und das war auch etwas, was ich wirklich zeigen wollte: Der ist eigentlich einer Sache verfallen, die gar nicht zu ihm passt. Er ist eigentlich nicht da um zu töten, aber durch diese Gruppendynamik wird er Teil dieses bewaffneten Arms, den er dann auch mit ausdrückt.
Burg: Haben Sie eigentlich Reaktionen von radikalen Gruppen bekommen?
Sissako: Also, es gibt eigentlich gar keinen Grund dafür, dass radikale Gruppen auf diesen Film reagieren sollten, denn ich drücke mich eigentlich nur aus, ich sage meine Meinung. Und letztendlich verteidige ich den Islam, weil ich sage, dass der Islam eben nicht eine Religion ist, die andere ablehnt, die die Gewalt säht, sondern es ist eigentlich eine Religion, die verzeihen möchte. Allerdings ist die in Geiselhaft genommen worden, von radikalen Gruppen. Und es ist leider so, dass man Islam jetzt immer mit Gewalt verbindet, und das seit dem 11. September. Und das ist für jemanden frustrierend, der mit dieser Kultur, mit dieser Religion aufgewachsen ist und sie ganz anders kennengelernt hat, nämlich als eine Religion der Liebe und als eine Religion des Pardons, des Verzeihens. Und es ist kein Film, der sich gegen die Dschihadisten an sich richtet. Und daher gibt es auch keinen Grund, dass man mich jetzt bedrohen könnte.
Burg: Wo haben Sie eigentlich letztendlich gedreht?
Sissako: Der Film ist in Mauretanien gedreht worden. Timbuktu war zwar zu diesem Zeitpunkt befreit, aber es war noch bei Weitem keine sichere Stadt, es hatte einen Monat vor unseren Dreharbeiten ein Selbstmordattentat gegeben. Der mauretanische Staat hat uns auch wirklich unterstützt und hat auch für unsere Sicherheit letztendlich garantiert.
Burg: Abderrahmane Sissako, der Regisseur des Films "Timbuktu". Vielen Dank für das Gespräch, merci!
Sissako: Merci!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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