Indische Vielfalt
Indien war Gastland auf der diesjährigen Buchmesse. Die Vielsprachigkeit und Vielfalt an Themen der indischen Literatur bilden auch zwei Anthologien ab. "Frauen in Indien" konzentriert sich dabei auf Erzählerinnen, die eine speziell weiblich Sicht auf den Subkontinent liefern. "Zwischen den Welten" bietet neben zeitgenössischen Autoren auch die "Klassiker" des 20. Jahrhunderts.
Bei der diesjährigen Buchmesse hat sich Indien innerhalb von 20 Jahren ein zweites Mal als Gastland vorgestellt - mit dicken Wälzern, einer mäandernden, wuchernden, stets neue Umschwünge nehmenden Literatur. Die deutschen Verlage haben in ihren Programmen fast ausnahmslos in Englisch geschriebene Romane berücksichtigt, während die Gäste unter dem Motto "Today's India" immer wieder die Vielsprachigkeit des Landes unterstrichen. Sie lässt sich in den Anthologien dieses Bücherherbstes ebenso entdecken wie die Tatsache, dass Erzählungen, durchaus in der Tradition der Short Story, ein überaus beliebtes und weit verbreitetes Genre auf dem indischen Literaturkontinent darstellt.
Für den bei DTV erschienenen Band "Frauen in Indien" trifft die Verlegerin und Schriftstellerin Urvashi Butalia eine eindeutige Auswahl: Autorinnen unterschiedlicher Regionen und Sprachen, darunter Stars wie Indira Goswamy (Assami) oder Nayantara Sahghal, die hier gänzlich unbekannt sind. Auch warum Githa Hariharan oder Mridula Garg deutschen Verlagen nicht interessant scheinen, macht ratlos. Und wenn die Herausgeberin in ihrem Nachwort betont, dass sich Frauen trotz ihrer vielfältigen Literaturproduktion "nicht den Raum in der literarischen Szene geschaffen (haben), der ihnen zukäme", so gilt das offensichtlich in ganz besonderem Maße auch für die Wahrnehmung im internationalen Literaturgeschäft.
Die Schriftstellerinnen dieses Bandes bearbeiten unterschiedliche Stoffe, doch immer erzählen sie aus einer dezidiert weiblichen Perspektive; selbst wenn es um Kasten- und Religionsschranken geht und ein Mann mit seiner Gier im Mittelpunkt steht, der mit seinem Geld zwar eine Frau in Armut kaufen, sie jedoch nicht zwingen kann, den sehnlichst erwünschten Nachwuchs auch auszutragen.
Trotz der oft problematischen Konstellationen und Konflikte erscheinen die Protagonistinnen also nicht ausschließlich als Opfer. Sie handeln, verändern sich, bestimmen selbst, wachsen über sich hinaus. Unterschiedlich in Stil und literarischen Verfahren handeln die Geschichten von Vergewaltigung innerhalb der Familie und vom Schweigen darüber, von ungeliebten Männern in arrangierten Ehen, vom Leben alleine, von Tagträumen und Fluchten. Sie erzählen vom einfallenden Militär in Nagaland, wo Singen zum Widerstand und mit Willkür, Vergewaltigung und Massaker "bestraft" wird. Die Erinnerung an diesen Vorfall halten die Dorffrauen mit ihren Erzählungen wach. Sie sind keineswegs nur Opfer.
Ein urkomischer und bösartiger Text begleitet eine alte Frau bei ihren Reisevorbereitungen: Sie lernt absurde englische Sätze, kauft das erste Paar Schuhe ihres Lebens und bereitet ihre Rückkehr vor, bevor sie zu ihrem Sohn nach London aufbricht, um ihn zu sehen und zu beschämen. Und wird dort zum ersten Mal in ihrem Leben beschenkt.
Auch Cornelia Zetzsche präsentiert in ihren umfangreicheren "Geschichten aus dem modernen Indien" im Insel Verlag unterschiedliche Literatursprachen, beschränkt sich dabei allerdings nicht nur auf Erzählungen und auch nicht nur auf Beispiele zeitgenössischer, noch lebender Autorinnen und Autoren. Also findet man auch "Klassiker" des 20.Jahrhunderts wie den Lyriker Arun Kolatkar (Marathi), Rabindranath Tagore (Bengali) oder O.V.Vijayan (Malayalam) sowie Gedichte und Auszüge aus Romanen. Und man fragt sich, warum etwa Allan Sealy bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde, obwohl er auf Englisch schreibt. Auch andere wunderbare Entdeckungen lassen sich in dem Band machen, etwa Manjula Padmanabhans subversive Ironie oder Raj Kamal Jhas gespenstisch klare Erkundung im unerlaubten Zwischenreich globalisierter Beziehungen.
Mit den jeweils vor die Texte gestellten Porträts erinnert die Sammlung an eine andere indische Anthologie - The Vintage Book of modern Indian Literature -, deren Herausgeber Amit Chaudhury hier natürlich auch vertreten ist.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Frauen in Indien
Erzählungen, Hrg. von Urvashi Butalia
München, DTV 2006, 8,50 Euro
Zwischen den Welten - Geschichten aus dem modernen Indien
Hrg. von Cornelia Zetsche
Frankfurt 2006, Insel Verlag
24,80 Euro
Für den bei DTV erschienenen Band "Frauen in Indien" trifft die Verlegerin und Schriftstellerin Urvashi Butalia eine eindeutige Auswahl: Autorinnen unterschiedlicher Regionen und Sprachen, darunter Stars wie Indira Goswamy (Assami) oder Nayantara Sahghal, die hier gänzlich unbekannt sind. Auch warum Githa Hariharan oder Mridula Garg deutschen Verlagen nicht interessant scheinen, macht ratlos. Und wenn die Herausgeberin in ihrem Nachwort betont, dass sich Frauen trotz ihrer vielfältigen Literaturproduktion "nicht den Raum in der literarischen Szene geschaffen (haben), der ihnen zukäme", so gilt das offensichtlich in ganz besonderem Maße auch für die Wahrnehmung im internationalen Literaturgeschäft.
Die Schriftstellerinnen dieses Bandes bearbeiten unterschiedliche Stoffe, doch immer erzählen sie aus einer dezidiert weiblichen Perspektive; selbst wenn es um Kasten- und Religionsschranken geht und ein Mann mit seiner Gier im Mittelpunkt steht, der mit seinem Geld zwar eine Frau in Armut kaufen, sie jedoch nicht zwingen kann, den sehnlichst erwünschten Nachwuchs auch auszutragen.
Trotz der oft problematischen Konstellationen und Konflikte erscheinen die Protagonistinnen also nicht ausschließlich als Opfer. Sie handeln, verändern sich, bestimmen selbst, wachsen über sich hinaus. Unterschiedlich in Stil und literarischen Verfahren handeln die Geschichten von Vergewaltigung innerhalb der Familie und vom Schweigen darüber, von ungeliebten Männern in arrangierten Ehen, vom Leben alleine, von Tagträumen und Fluchten. Sie erzählen vom einfallenden Militär in Nagaland, wo Singen zum Widerstand und mit Willkür, Vergewaltigung und Massaker "bestraft" wird. Die Erinnerung an diesen Vorfall halten die Dorffrauen mit ihren Erzählungen wach. Sie sind keineswegs nur Opfer.
Ein urkomischer und bösartiger Text begleitet eine alte Frau bei ihren Reisevorbereitungen: Sie lernt absurde englische Sätze, kauft das erste Paar Schuhe ihres Lebens und bereitet ihre Rückkehr vor, bevor sie zu ihrem Sohn nach London aufbricht, um ihn zu sehen und zu beschämen. Und wird dort zum ersten Mal in ihrem Leben beschenkt.
Auch Cornelia Zetzsche präsentiert in ihren umfangreicheren "Geschichten aus dem modernen Indien" im Insel Verlag unterschiedliche Literatursprachen, beschränkt sich dabei allerdings nicht nur auf Erzählungen und auch nicht nur auf Beispiele zeitgenössischer, noch lebender Autorinnen und Autoren. Also findet man auch "Klassiker" des 20.Jahrhunderts wie den Lyriker Arun Kolatkar (Marathi), Rabindranath Tagore (Bengali) oder O.V.Vijayan (Malayalam) sowie Gedichte und Auszüge aus Romanen. Und man fragt sich, warum etwa Allan Sealy bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde, obwohl er auf Englisch schreibt. Auch andere wunderbare Entdeckungen lassen sich in dem Band machen, etwa Manjula Padmanabhans subversive Ironie oder Raj Kamal Jhas gespenstisch klare Erkundung im unerlaubten Zwischenreich globalisierter Beziehungen.
Mit den jeweils vor die Texte gestellten Porträts erinnert die Sammlung an eine andere indische Anthologie - The Vintage Book of modern Indian Literature -, deren Herausgeber Amit Chaudhury hier natürlich auch vertreten ist.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Frauen in Indien
Erzählungen, Hrg. von Urvashi Butalia
München, DTV 2006, 8,50 Euro
Zwischen den Welten - Geschichten aus dem modernen Indien
Hrg. von Cornelia Zetsche
Frankfurt 2006, Insel Verlag
24,80 Euro