Indische Klänge erobern die Welt

Von Simonetta Dibbern · 07.04.2010
Als amerikanische und europäische Musiker in den 60er-Jahren begannen, sich für die Musik Indiens zu interessieren, fanden sie in dem indischen Meistermusiker Ravi Shankar einen weltoffenen Lehrer. Mit seinem Instrument, der Sitar, hat er die westliche Musik von Klassik bis Rock wesentlich bereichert.
"Der westliche Hörer wird unsere Musik am besten verstehen, wenn er offen und entspannt ist. Ohne Erwartungen, Dinge zu hören, die er kennt, wie etwa Harmonien oder Kontrapunkt. Und es ist auch kein Jazz – selbst wenn Rhythmus und Improvisation auch in der indischen Musik eine wichtige Rolle spielen."

Er kennt viele Welten: die Spiritualität der indischen Musik und die Kompositionstechniken der europäischen Klassik. Die meditative Atmosphäre bei traditionellen Konzerten in Indien und die Erwartungen eines ausgelassenen Popmusikpublikums in Europa und in den USA. Seit Beginn seiner Karriere hat Ravi Shankar immer wieder Brücken geschlagen zwischen Kulturen und Kontinenten, zwischen Ost und West.

Geboren wird Ravi Shankar am 7. April 1920 in Nordindien, in der Stadt Varanasi, auch Benares genannt, die heiligste Stadt der Hindus und eine der ältesten Städte Indiens. Mit der traditionellen Kultur Bengalens wächst er auf, als Kind tanzt er im Ensemble seines älteren Bruders - Tourneen führen die Gruppe durch ganz Indien und auch nach Europa. Erst mit 18 entscheidet Ravi Shankar sich, Musiker zu werden: Er lernt Sitar, die indische Langhalslaute. Und er studiert das jahrtausendealte Musiksystem Indiens: die Ragas.

"Ragas sind präzise und höchst komplexe musikalische Formen, es gibt bestimmte Skalen und Stimmungen, abhängig zum Beispiel auch von der Tageszeit. Und: einen festgelegten musikalischen Ablauf. Doch der Höhepunkt jedes Konzerts liegt in der Improvisation: Musik spontan zu erfinden – und dann wieder zurückzukommen zum Hauptthema, das ist es, worauf das Publikum am meisten wartet."

Während der britischen Kolonialherrschaft war die indische Musik zwar nicht verboten, wurde aber auch nicht gefördert. Und so engagiert Ravi Shankar sich bereits kurz nach der Unabhängigkeit als Wiederentdecker des kulturellen Erbes: Ende der 40er-Jahre gründet er das Indian National Orchestra, kurz darauf wird er Musikchef vom All India Radio New Delhi. Und nur wenige Jahre später dehnt er seine Mission aus: Richtung Westen.

Nach einer Begegnung mit dem Geiger Yehudi Menuhin wird Ravi Shankar Anfang der 50er-Jahre zum ersten Mal in die USA eingeladen. Für seine Filmmusik für Tapan Sinhas indischen Film "Kabuliwala" bekommt er bei der Berlinale 1957 einen Silbernen Bären. Shankars Name spricht sich herum. Musiker in der ganzen Welt suchen Kontakt zu dem Meister der indischen Musik: der Jazzsaxofonist John Coltrane. Oder George Harrison von den Beatles. Ravi Shankar inspiriert und begeistert Musiker jeglicher Couleur. Und auch das Publikum: 1967 hat er seinen ersten internationalen Auftritt beim Monterey Pop Festival. Und zwei Jahre später: in Woodstock.

"Ich hatte das Gefühl, dass es geradezu meine Pflicht war, dem Westen die indische Musik nahezubringen – damit der Rest der Welt merkte, wie großartig diese Musik ist."

Zahlreiche Preise und Auszeichnungen hat Ravi Shankar für sein Werk bekommen, er hat eine Stiftung ins Leben gerufen und ein Kulturzentrum in Neu Delhi gegründet, an dem die klassische indische Musik weitergetragen und weitererforscht wird. Die Zukunft ist ihm genauso wichtig wie die Vergangenheit: Auf seiner Homepage gibt es eine Art Weblog, auf dem er neue Projekte vorstellt und künstlerische und gesellschaftliche Entwicklungen kommentiert. Darauf ist auch dieser schlichte Satz zu finden:

"Es gibt nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte."