Indigene im Amazonas

Zwischen Ausbeutung und Anbetung

22:22 Minuten
Frauen aus der Amazonas-Region stehen während der Messe in den Kirchenbänken. Daneben: Geistliche und Messdiener.
Die "Amazonas-Synode" des Vatikan ist mit einer Messe im Petersdom eröffnet worden. © AFP / Tiziana Fabi
Von Ellen Häring · 07.10.2019
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Gespannt blickt man am Amazonas in diesen Tagen auf Rom: 180 Bischöfe diskutieren dort über Umweltzerstörung, die Rechte der Indigenen und den Priestermangel. Damit die katholische Kirche in der Region ihren Einfluss behält, muss sich einiges ändern.
Der breite Sonnenhut mit Nackensegel wackelt gefährlich auf dem Kopf von Bischof Wilmár Santín, als er sich ins Motorboot hievt, um einen Nebenarm des Amazonas hinaufzuschippern. Der 66-Jährige ist klein und stämmig, seit acht Jahren arbeitet er in Itaituba, einer kleinen Stadt am Rio Tapajós, einem Nebenfluss des Amazonas. Der Mann muss Nerven haben, denn das Gebiet, das er ganz allein betreut, ist riesig: 175.000 Quadratkilometer umfasst es, halb so groß wie Deutschland. Will er alle Gemeinden einmal im Jahr besuchen, dann ist er permanent unterwegs. Mit dem Boot und in Flipflops. Denn einen anderen Verkehrsweg als den Fluss und seine unzähligen Nebenarme, gibt es hier nicht.
Eine Kirche aus Holz auf Pfählen an einem Flussufer in Amazonien.
Eine Kirche in Amazonien – Bischof Wilmár Santín betreut Gemeinden auf einer Fläche von 175.000 Quadratkilometern.© imago / Henning Manninga
Die Fahrt geht durch sagenhafte Landschaft. Überall Wasser. Überall Wald. Es ist feucht und heiß. Hier leben in Flussufergemeinden die Munduruku, ein indigenes Volk, dessen Territorium zum Schutzgebiet erklärt wurde, noch bevor Jair Bolsonaro in Brasilien an die Macht kam. Im Januar des Jahres erklärte er, dass die Indigenen keine Quadratzentimeter mehr bekämen, solange er das Sagen habe. Ein privilegiertes Volk also mit eigenem Land: 130 Munduruku-Dörfer gibt es an den Ufern des Flusses und sie können selbst darüber bestimmen, was auf ihrem Territorium passiert. Trotzdem ist längst nicht alles in Ordnung in der Region, erzählt Wilmár Santín.
"In den letzten zwei, drei Jahren begann das Problem, dass Goldsucher in indigene Schutzgebiete eingedrungen sind. Sie wurden zuerst einfach verjagt von den Indigenen. Aber dann ist es doch einigen Goldsuchern gelungen, die Indigenen zu korrumpieren. Die Goldgräber stellen die Maschine, den Diesel und geben den Indigenen zu essen."

Es braucht nicht viel, um Menschen zu kaufen

Eine regelmäßige Mahlzeit, ein Generator, ein neuer Motor für das Boot. Es braucht nicht viel, um Menschen zu kaufen, die in prekären Lebensumständen sind. Das gilt auch für Indigene – wenn auch nur für eine Minderheit der rund 13.000 Mundurukus, so der Bischof. Die Lage der Indigenen in Brasilien ist seit jeher schwierig, weil sich im Regenwald gegensätzliche Interessen begegnen: die Ureinwohner wollen von und mit dem Regenwald leben, die anderen möchten ihn nutzen, also ausbeuten. Das ist nicht neu. Im 19. Jahrhundert gab es den Kautschuk-Boom im Amazonas, später kam die Rinderzucht und der Holzhandel dazu.
Endlose Schlangen von LKW beladen mit Soja, das als Viehfutter exportiert wird.
Endlose Schlangen von LKW beladen mit Soja, das als Viehfutter exportiert wird.© Ellen Häring
Heute ist es das Soja, das weite Flächen des Amazonas überzieht und Tausende Lastwagen füllt, die in Karawanen durch den Regenwald in die Hafenstädte ziehen. Die Indigenen und ihre Lebensformen sind bedroht – und seit Jair Bolsonaro an der Macht ist, hat sich alles rapide verschlimmert, erzählt Wilmár Santín.
"Es gibt auch viele Abgeordnete, die Bolsonaro nahe stehen, die verlangen, dass die bereits ausgewiesenen Schutzgebiete der Indigenen wieder zurückgeholt werden und für andere Projekte genutzt werden, wie zum Beispiel den Sojaanbau."

Es geht um das blanke Überleben

Illegalen Holzfällern wird kein Einhalt mehr geboten, Brandrodungen nie da gewesenen Ausmaßes haben gerade weite Teile des Regenwaldes vernichtet. Und Goldgräber werden von Bolsonaro ermutigt, auch ohne Lizenzen die Erde umzugraben. Die Welt ist entsetzt. Aber vor Ort geht es um das blanke Überleben.
Eine Frau vom Dorf Jacaré Velho der Munduruku steht mit dem Füßen im Wasser am Flussufer.
Zum Glück haben sie ein eigenes Schutzgebiet - das Dorf Jacaré Velho der Munduruku.© Ellen Häring
Eigentlich wirkt das Dorf der Munduruku romantisch: Kinder baden im Fluss, ein Affe turnt durch den Paranussbaum. Im Versammlungsraum der Dorfgemeinschaft wartet der Cazique, der Stammesführer des Dorfes. José Dino bestreitet nicht, dass manche der 130 Gemeinden seines Stammes Goldschürfer in ihr Gebiet lassen.
"Die Caziques selbst suchen die Weißen, damit sie in die Siedlungen kommen. Für mich persönlich ist es okay, so lange die Indigenen für die Goldsucher arbeiten können. Es geht uns schlecht, also müssen wir Hilfe bei den Weißen suchen, damit wir der Gemeinschaft helfen können. Und deshalb kommen Goldsucher in unsere Gebiete."
Die Munduruku sind einer von rund 300 indigenen Stämmen, die es in Brasilien gibt. Dass sie ihr Schutzgebiet Goldgräbern zur Verfügung stellen, ist illegal und dürfte manche Umweltschützer schockieren. Aber die wirtschaftliche Not ist groß und selbst die bescheidene medizinische Versorgung, die den indigenen Dorfgemeinschaften eigentlich zusteht, funktioniert nicht mehr. Bolsonaro hat die kubanischen Ärzte, die viele der Gesundheitsposten in den abgelegenen Gebieten betrieben haben, nach Hause geschickt. Die Goldschürfer sind jetzt eine Notlösung. José Dino weiß, dass sie den Indigenen langfristig ihre Lebensgrundlage nehmen.
Goldgräber waschen die Erde aus.
Schmutziges Geschäft - die Goldgräber waschen die Erde aus.© Ellen Häring
"Das Gefährlichste, was die Goldsucher bringen, ist das Quecksilber. Das verbreitet sich in den Flüssen und die Fische sind dadurch kontaminiert. So ist das."

Die Indigenen leben vom Fluss und vom Wald

Der Fluss und der Wald - davon leben die Indigenen im Amazonas. Sie sind darauf angewiesen, dass das Gleichgewicht stimmt. Die Versuche, alternative Überlebensformen zu etablieren, sind oft genug gescheitert. Auf dem Weg durch das Dorf der Munduruku steht einsam ein Rind auf der Wiese. Ein übriggebliebenes.
"Es wurden von amerikanischen Priestern Rinder eingeführt, also jedes Dorf bekam eine bestimmte Anzahl Rinder, je nach Größe des Dorfes. Aber Rinder gehören gar nicht zu deren Kultur. Sie haben die Rinder einfach nach und nach geschlachtet und aufgegessen."
Bischof Wilmár Santín hält nicht viel von dieser Art vermeintlicher Unterstützung. Er hält auch keine Reden gegen die Goldgräber. Er vertraut auf andere Formen der Konfliktlösung.
Seit inzwischen vier Jahren gibt es das Netzwerk REPAM, das kirchliche Akteure aus dem Amazonasgebiet zusammenführt und ihre Kräfte bündelt. Papst Franziskus war der Wegbereiter dieses Netzwerkes, dem auch die Organisation CIMI angehört. Da Jair Bolonsaro die staatliche Behörde FUNAI zum Schutz der indigenen Völker Brasiliens in ihren Funktionen beschnitten und auch die Umweltbehörde entmachtet hat, ist CIMI ein bedeutender Akteur, einer, der ohne Wenn und Aber die Rechte der Indigenen verteidigt. Edina Pitarelli ist seit sechs Jahren dabei und betreut Flußufergemeinden am Río Madeirinha.
"Um das Vertrauen der Indigenen zu gewinnen, muss man hartnäckig sein. In den 300 Jahren, in denen sie Kontakt zur Außenwelt hatten, wurden sie immer massakriert. Sie sind misstrauisch und prüfen uns, ob wir ein kohärentes Leben leben und ihnen wirklich helfen können. Sie vertrauen nur Personen, die wirklich etwas beitragen können, aber nicht solchen, die sagen, dass sie helfen wollen, aber es nicht tun. Insofern war der Anfang sehr schwierig."

Stammesführer wenden sich an die Kirche um Hilfe

Heute wenden sich die Caziques, die Stammesführer, an Edina, wenn es Konflikte gibt, die sie nicht alleine lösen können. Francisco vom Volk der Mura kämpft seit einigen Jahren gegen die Invasion von Wasserbüffeln im Siedlungsgebiet seines Stammes – ein Gebiet, das nicht als Schutzgebiet ausgewiesen ist und in das Viehzüchter und Holzfäller straflos eindringen.
"Unsere Population nimmt ab, weil der Wald abgeholzt wird und das hat mit den Büffeln zu tun. Wir leben von der Landwirtschaft und wir haben jetzt existenzielle Probleme. Wir können nichts mehr anbauen, denn die Büffel kommen und fressen alles auf. Die Viehzüchter sind Invasoren, sie sind einfach gekommen. Wir wurden nie gefragt und selbst wenn wir gefragt worden wären, dann hätten wir doch gar nicht gewusst, was das bedeutet und was auf uns zukommt. Wir waren viel zu naiv."
Francisco Oliveira da Silva vom Volk der Mura vor einer Viehherde
Francisco Oliveira da Silva vom Volk der Mura kämpft gegen die Viehzüchter, die sein Jagdgebiet okkupiert haben.© Ellen Häring
Francisco wirkt jungenhaft, seine 43 Jahre sieht man ihm nicht an. Sein Blick ist wütend und entschlossen. Das Zuhause seiner großen Familie ist einfach und wirkt friedlich. Vier Boote liegen am Ufer, bunte Wäsche baumelt auf der Leine im Holzhaus. Ein kleines Feuer lodert unter einem riesigen Keramikkrug. Das Wasser im Krug kommt aus dem Fluss. Aber seit Wasserbüffel den ganzen Tag im Fluss stehen und koten und urinieren, werden die Kinder krank oder bekommen Pusteln, wenn sie baden. Edina von CIMI unterstützt Francisco und die Mura im Kampf gegen die Viehzüchter, und sie hat Verbündete. CIMI bekommt Gelder der katholischen Kirche, auch aus dem Ausland. Das gefällt nicht allen.
"Wir werden beschuldigt für ausländische Interessen zu arbeiten und uns wird unterstellt, dass wir den Amazonas internationalisieren wollen. Also dass wir dunkle Absichten verfolgen. Wir bieten Workshops an, die aufklären darüber, wie unser Staat organisiert ist, welche Rechte die Indigenen haben und wo sie die einklagen können. Das hilft dabei, dass sie ihre Ansprüche selbst durchsetzen."

Der Druck der Bolsonaro-Regierung stößt auf Widerstand

Francisco hat bereits mehrfach an solchen Workshops teilgenommen und will sich weiter fortbilden. Der Druck von außen durch die Bolsonaro-Regierung schweißt das Volk der Mura zusammen, meint er. Und die Mura wollen sich wehren.
Kinder baden im Fluss
Die Flussufergemeinden leben von und mit dem Fluss.© Ellen Häring
"Wir wussten ja früher nichts. Alles war willkürlich. Wir haben nur gelitten. Aber jetzt machen wir Fortschritte, seit wir die Workshops bei CIMI machen. Wir lernen, was unsere Rechte sind und auch, wie wir sie wahrnehmen können."
Wie lange CIMI diese Arbeit noch ungeschützt machen kann, ist offen. Manche Amazonas-Bischöfe haben nach der Ankündigung der Amazonas-Synode Besuch von der Geheimpolizei bekommen. CIMI wird schon seit Längerem eingeschüchtert.
"Schon vor zwei Jahren, also vor der jetzigen Regierung, gab es eine Strafanzeige gegen CIMI. Wir wurden beschuldigt, mit der organisierten Kriminalität zusammenzuarbeiten. Das Bankgeheimnis wurde aufgehoben, aber es gab keine Beweise. Die CIMI-Leute wurden dann nicht weiter verfolgt, aber gegängelt. Und die jetzige Regierung sagt, dass CIMI eine verfaulte Bande der katholischen Kirche ist."

"Wenn ich Dich noch mal erwische, gibt's einen Kopfschuss"

Auch Francisco steht mächtig unter Druck.
"Das erste Mal als ich bedroht wurde, da war das ein Großgrundbesitzer aus Pará. Der hat gesagt, wenn er mich nochmal erwischt, wie ich mit CIMI zusammenarbeite, dann gibt’s einen Kopfschuss. Das zweite Mal war es schlimmer. Es war ein anderer Farmer. Der hat meinen Bruder zu sich nach Hause bestellt und hat mir mitteilen lassen, dass er nun eine Truppe aus der Stadt schicken wird, um mich umzubringen. Das wäre die einzige Möglichkeit, mich aus unserem Dorf zu holen, weil sie denken, dass ich der Anführer bin."
Luftbildaufnahme von einem zerstörten Waldgebiet am Amazonas in Brasilien.
Brandrodungen zerstören immer größere Flächen im Amazonas-Regenwald. © LULA SAMPAIO / AFP
Der Konflikt im Amazonasgebiet spitzt sich zu und betrifft nicht nur Indigene wie Francisco. Durch die Waldbrände im September ist die internationale Gemeinschaft alarmiert und die Frage steht im Raum: Wem gehört der Amazonas eigentlich: Brasilien und den anderen acht Anrainern? Den Ureinwohnern? Oder uns allen? Die Amazonas-Synode von Kapitalismuskritiker Papst Franziskus dürfte viel weltliche Aufmerksamkeit erfahren und der angeschlagenen katholischen Kirche - besonders in Lateinamerika - Auftrieb geben. "Das Geld soll dienen, nicht regieren", so das Credo des Papstes. Es klingt in diesen Zeiten wie ein frommer Wunsch.

Diese Recherche wurde im Rahmen einer Reise mit Adveniat, dem Lateinamerika-Hilfswerk der Katholischen Kirche in Deutschland, realisiert.

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