Indiens NGOs unter Druck

Modi dreht den Geldhahn zu

24:07 Minuten
BJP-Anhänger feiern in den Straßen von Kalkutta 2019 die WiederwahlWahlsieg von Premierminister Narenda Modi.
BJP-Anhänger feiern den erneuten Wahlsieg Modis 2019 in Kalkutta: Seit 2014 lenkt der Rechtsnationalist das Land. © Sumit Sanyal/Zuma Wire/picture alliance
Von Toni Neumann · 30.08.2022
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Indiens Zivilgesellschaft wird durch die hindu-nationalistische Regierung von Premier Modi zunehmend gelähmt. Tausende NGOs werden drangsaliert: christliche, muslimische, Menschenrechts- und Umweltorganisationen würden dem "Ansehen" Indiens schaden.
Madurai, eine Stadt im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu: In einem kleinen Gebäude am Rande der Innenstadt hat Henri Tiphagne sein Büro. Der hochgewachsene ältere Herr sitzt hinter einem Schreibtisch, der mit Papierstapeln bedeckt ist. Er kramt ein abgegriffenes Dokument heraus. Eine gerichtliche Stellungnahme aus dem Jahr 2017. Das indische Innenministerium begründet, warum es Tiphagnes Hilfsorganisation People’s Watch verboten hat, weiter mit ausländischem Geld zu arbeiten:
"Henri Tiphagne, Direktor der Organisation People’s Watch, war Nutznießer ausländischer Finanzzuwendungen. Mithilfe dieser Zuwendungen hat Tiphagne Materialien erstellt, die Indiens Menschenrechtssituation gegenüber der UN-Sonderberichterstatterin sowie den Botschaften der USA und Großbritanniens in ein negatives Licht stellten. Auch sonst nutzte Henri Tiphagne aus dem Ausland stammendes Geld, um dem Ansehen Indiens weltweit zu schaden."
Die Hilfsorganisation People’s Watch verteidigt vor allem Menschenrechte der Dalit, der Kastenlosen in Indiens Gesellschaft, und der Adivasi, der indigenen Volksgruppen.
In einem Hinterhof sitzen etwa 20 Frauen in bunten Gewändern und Kinder. Die meisten auf dem Boden.
Dalit-Frauen in Tamil Nadu beraten bei einer Versammlung, wie sie ihnen zustehendes Land erstreiten. Einige NGOs helfen den "Kastenlosen" der indischen Gesellschaft.© Toni Neumann
Heute ist die Organisation nahezu gelähmt ohne ausländisches Geld. Wie Tausende andere Nichtregierungsorganisationen ist sie ins Visier der hindu-nationalistischen BJP-Regierung geraten, die die jahrzehntelange Kooperation mit der Zivilgesellschaft zunehmend aufkündigt.

Nationalistische Ideologie der BJP

2000 Kilometer nördlich von Madurai, in Delhi, leitet der Bürgerrechtler Biraj Patnaik die National Foundation for India. Die Stiftung wurde vor 30 Jahren gegründet und fördert kleine NGOs. Ihr Budget von mehreren Millionen Euro jährlich stammt zum Teil aus dem Ausland. Das macht sie für die Regierung Modi gefährlich.
Eine Haltung, die sich aus der Ideologie der Regierungspartei erkläre, meint Patnaik. "Die BJP hat ihre ideologischen Wurzeln in der hindu-nationalistischen Bewegung RSS. Nach deren Ideologie wird Indiens Hindu-Mehrheit seit Jahrtausenden von ausländischen Mächten unterdrückt. Der ihr eigentlich vorbestimmte Aufstieg zu religiöser und politischer Herrschaft in Indien werde ihr bis heute verwehrt. Insoweit sei auch die Teilung Indiens im 20. Jahrhundert noch unvollendet: Es seien zwar – mit Pakistan und Bangladesch – zwei islamische Staaten entstanden. Der Staat Indien jedoch sei noch weltlich-demokratisch verfasst – und nicht als Hindu-Nation."
Hindutva wird diese Ideologie genannt, die Kritiker als faschistisch bezeichnen. Ihr Ziel ist eine von Hindus beherrschte Großmacht Indien, frei auch von ausländischen kulturellen und religiösen Einflüssen.
Die Hindu-Nationalisten brachten Narendra Modi 2014 ins Amt des Regierungschefs, und Modi setzt ihren Kurs nach einem klaren Schema durch: Als Freunde gelten diejenigen, die den Aufbau der mächtigen Hindu-Nation unterstützen. Dazu zählen Unternehmen, die wirtschaftliches Wachstum fördern, aber auch NGOs, die Entwicklungsarbeit leisten. Entwicklungsarbeit allerdings in einem sehr engen Sinn: Bau von Toiletten und Schulen, Ausbildung von Kleinbauern, Sanierung von Slums.
Unter einer Autobrücke stehen Holzverschlage mit Planen. Wäscheleinen sind gespannt. Darüber hängen Tücher. Eine Frau mit Kleinkind im Arm steht in einem staubigen Gang.
Die Wohlhabenden Delhis lassen ihr Reservoir an Hausangestellten und Arbeitern unter den Brücken der Stadt hausen. Einer von vielen Menschenrechtsverstößen in Indien, die NGOs kritisieren.© Toni Neumann
Als Störenfriede oder gar Feinde der Hindu-Nation gelten dagegen Organisationen, die die Rechte religiöser und sozialer Minderheiten einfordern oder Umwelt und Klima verteidigen. Die meisten dieser rund 20.000 NGOs finanzieren ihre Arbeit vorwiegend mit ausländischem Geld und treten der BJP-Regierung vielfältig auf die Füße, meint Bürgerrechtler Biraj Patnaik. "Erstens ist die BJP-Regierung besorgt, dass ausländisches Geld für religiöse Bekehrung verwendet wird – ein rotes Tuch für die Regierung." Denn die strebe eine Nation an, in der allein Hindus das Sagen haben.
"Zweitens befürchtet die Regierung, dass ausländische Geldgeber Indiens öffentliche Meinung in Klima-Fragen beeinflusse", so Patnaik. "Das könne das Land wirtschaftlich schwächen und die Position Indiens bei Klimaverhandlungen untergraben." Drittens störe es die Regierung, dass NGOs über Menschenrechtsverletzungen am Arbeitsplatz berichten – über Dumpinglöhne oder sexuelle Ausbeutung in der Textilindustrie. "Als Konsequenz befürchtet man Sanktionen westlicher Industrieländer – sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse."

Mit Geldwäsche- und Terrorgesetz gegen NGOs

Kein Wunder, dass regierungsnahe Medien kritische NGOs als unpatriotisch diffamieren. Hilfreich dabei ist, dass die meisten Medien Indiens regierungsnahen Unternehmen gehören. Im Index für Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen ist Indien 2022 auf Platz 150 von 179 abgesackt. Zum Arsenal der Regierung gegen kritische Organisationen zählen auch Anti-Terror- und Geldwäsche-Gesetze.
"Das Geldwäschegesetz haben frühere Regierungen fast nie gegen NGOs eingesetzt, sondern nur gegen Drogen-, Menschen- und Schwarzhändler. In jüngster Zeit jedoch sind etliche prominente NGOs der Geldwäsche beschuldigt worden. Auch die Anti-Terror-Gesetze werden in großem Stil gegen Aktivisten und Demonstranten eingesetzt. Vertreter von Minderheiten, Journalisten und Menschenrechtler werden plötzlich als Verbrecher etikettiert."
Zwei Beispiele aus dem Monat Juni 2022: Der Journalist Mohammed Zubair, Mitbegründer der indischen Fact-checking-Website „Alt News“, wurde unter dem Vorwurf verhaftet, Muslime zum Hass aufgestachelt zu haben. Und Teesta Setalvad, Trägerin des Nürnberger Menschenrechtspreises, wurde verhaftet, weil sich ihre NGO „Bürger für Gerechtigkeit und Frieden“ mit hohen Polizeioffizieren verschworen haben soll. Dabei geht es um Anschuldigungen gegen Premier Modi aus seiner Zeit als Regierungschef des Bundesstaates Gujarat: 2002 kam es dort zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Muslimen und Hindus bei denen bis zu 2000 Menschen getötet wurden, zwei Drittel davon Muslime.
Keine Schlagzeilen macht derweil das Schicksal zahlloser unbekannter Menschenrechtler: 10.000 lokale Aktivisten und Demonstranten sitzen in Indien teils seit Jahren in U-Haft, schätzen mehrere Gesprächspartner.

Anwältin spricht von "Bürokratie-Terror"

Eine weitere Waffe der Regierung sei Bürokratie-Terror, berichtet Amrita Patel eine Anwältin aus dem südindischen Chennai. "Vor allem auch kleine Organisationen werden von der Polizei und Geheimdiensten tyrannisiert. Alle ihre Aktivitäten werden überwacht. Ständig werden die Finanzen geprüft. Öffentliche Veranstaltungen werden verboten und Vermietern Steuerprüfungen oder andere Unannehmlichkeiten angedroht, sollten sie an die Organisation vermieten."
Amrita Patel heißt eigentlich anders, aber sie will anonym bleiben – aus Angst vor Repressionen. Ihre kleine Organisation führt Prozesse gegen große Bergbau- und Staudammprojekte, die Ureinwohner ihres Landes berauben oder Umwelt und Klima schädigen.
"Wenn es um milliardenschwere Infrastrukturprojekte geht, tanzt die Regierung oft nach der Pfeife indischer und internationaler Konzerne", sagt sie. "Denn die Regierung will ja Investitionen – was eigentlich auch okay ist. Das Problem ist nur, dass bisweilen einfache Bürger die Rechnung bezahlen – wehrlose Minderheiten wie die Adivasi insbesondere, Indiens Ureinwohner. Bei zahllosen Bergbau-, Staudamm-und Straßenprojekten nimmt die Regierung den Adivasi ihr Land einfach weg und gibt es den Konzernen."

Kein Geld mehr aus dem Ausland

Als besonders effiziente Waffe der Regierung gegen NGOs gilt es, ihnen einfach den Geldhahn zuzudrehen – mithilfe des schon lange existierenden Gesetzes über ausländische Finanzzuwendungen (FCRA). Das führte die Kongresspartei mit Regierungschefin Indira Gandhi 1976 ein, um die Geldflüsse von politischen Konkurrenten zu kontrollieren. Demnach müssen Organisationen, die Geld aus dem Ausland annehmen wollen, eine Lizenz beantragen, die für fünf Jahre gilt. Eine Routine-Angelegenheit früher. Lizenzen wurden nur selten verweigert.
So kannte es Henri Tiphagne, Leiter der Hilfsorganisation People‘s Watch. Bis er 2011 Indiens Menschenrechtspolitik international scharf kritisierte und dann sogar der vergleichsweise liberalen Regierung der Kongresspartei der Kragen platzte. "Diese Bloßstellung gegenüber der Weltöffentlichkeit irritierte die damalige Regierung derart, dass sie beschloss, uns eine Lektion zu erteilen", sagt Tiphagne. "Die einzige Möglichkeit dazu bot das Gesetz über ausländische Finanzzuwendungen, und folgerichtig wurden unsere entsprechenden Konten am 23. Juli 2012 eingefroren."
2014 bekam People’s Watch seine Lizenz, ausländisches Geld anzunehmen, zurück, nur um sie unter der BJP-Regierung schnell wieder zu verlieren. Seit 2016 ist die Organisation, die vor allem Indigenen und Kastenlosen – also den Ärmsten – hilft, von ausländischem Geld völlig abgeschnitten.
Sie musste fast alle Mitarbeiter entlassen und wird nun auch noch von der indischen Bundespolizei CBI, einer Art indischem FBI, drangsaliert. "Am 8. Januar 2022 stand bei uns ein Agent des CBI vor der Tür und präsentierte einen Hausdurchsuchungsbefehl. Er wolle unsere Buchhaltung für Geld aus dem Ausland von 2008 bis 2013 prüfen, sagte er. Ich meinte: Da kommen sie eigentlich zehn Jahre zu spät. Nach indischem Recht muss ich meine Finanzunterlagen nur sieben Jahre lang aufbewahren.“

16.000 NGOs verloren Lizenz für Auslandsgelder

Tatsächlich bewahre er – aus Respekt vor seinen ausländischen Geldgebern – alle Unterlagen unbegrenzt auf, sagt Henri Tiphagne, und so wälzt der Agent der Bundespolizei seit Monaten Aktenordner im People’s Watch-Büro. Auch an diesem Samstagnachmittag – als ich Stunden dezent vor der Tür warten muss – bis der Agent Feierabend macht und ich mein Interview starten kann.
16.000 indische NGOs, die früher mit ausländischem Geld arbeiteten, hätten ihre Lizenz dazu verloren, berichtet in Delhi ein Anwalt, der NGOs vor dem Obersten Gerichtshof vertritt und ebenfalls nicht mit Namen genannt werden will. Die Lizenzen seien ausgelaufen, würden aber nicht erneuert, sondern jetzt immer nur für drei Monate verlängert. Einigen hundert Organisationen sei – wie People’s Watch – die Lizenz ganz entzogen worden. Als Begründung nenne die Regierung meist „unpatriotisches Verhalten, das nationalen Interessen schade“.
"Wer Umweltschäden durch Kohlebergbau thematisiert, handelt für die Regierung schon unpatriotisch", nennt der Anwalt aus Delhi nennt ein Beispiel. "Sie handeln im Auftrag fremder Mächte, die an Kohle verdienen, heißt es dann. Oder: Sie sabotierten Indiens Industrie, indem Sie gegen die Nutzung von Kohle protestieren. All das finanzierten Sie mit ausländischem Geld – also als Agenten ausländischer Regierungen, die Indiens wirtschaftlichen Fortschritt bremsen wollen.
Zu den von ausländischem Geld abgeschnittenen Organisationen zählen längst auch die Großen wie Greenpeace India und Amnesty International India. Gegen Amnesty hat das Innenministerium zudem Geldbußen von 7,5 Millionen Euro verhängt – wegen angeblicher Umgehung gesetzlicher Bestimmungen. Auf einer schwarzen Liste ausländischer Organisationen, die Geld nur noch mit Einzelgenehmigung jeder Zahlung nach Indien schicken dürfen, stehen zum Beispiel die niederländische Nothilfe-Organisation Cord Aid, die amerikanische Ford Foundation, das christliche Kinderhilfswerk Compassion International und die milliardenschwere Open Society Foundation des US-Amerikaners George Soros.

Gesetz gegen Menschenrechts-NGOs

Und so wüssten Tausende NGOs nicht, was der nächste Tag bringe, berichtet Bürgerrechtler Biraj Patnaik. "Bei all diesen Organisationen herrscht große Sorge, ob ihre Lizenz tatsächlich erneuert wird. Mit provisorischen Verlängerungen, die es jetzt gibt, alle drei Monate kannst du ja überhaupt nicht planen. Du kannst keine Mitarbeiter einstellen. Du kannst kein neues Programm beginnen. In den 25 Jahren, die ich jetzt im NGO-Bereich arbeite, habe ich noch nie eine derart bedrückte Stimmung bei den Organisationen erlebt wie im Moment."
In einen wahren Alptraum stürzte Indiens Regierung die NGOs, als sie 2020 das Gesetz über ausländische Zuwendungen noch drastisch verschärfte. NGOs, die mit ausländischem Geld arbeiten, dürfen nun nicht mehr 50, sondern nur noch 20 Prozent ihres Budgets für Verwaltungskosten ausgeben. Und als Verwaltungskosten zählen jetzt sämtliche Personal- und Betriebskosten, die nicht der Erbringung von Dienst- und Sachleistungen dienen.
Eine perfide und zielgenaue Vorschrift, erklärt Biraj Patnaik. "Organisationen, die vor allem Sachleistungen erbringen – zum Beispiel Essen austeilen, können mit dieser Regel leben. Ganz anders NGOs, wo viele Mitarbeiter zu sozialen Fragen forschen, kritische Berichte veröffentlichen und Kampagnen organisieren. Die Kosten für solche Aktivitäten stufen die Behörden als Verwaltungskosten ein. Genau das ist der Zweck der 20 Prozent-Regel. Sie stellt sicher, dass nur karitative Organisationen, die Dienst- und Sachleistungen erbringen, ausländisches Geld wirklich nutzen können. Betreibt eine Organisation Wasser- oder Landwirtschaftsprojekte, dann hat sie ja hohe Sach- und niedrige Verwaltungskosten." Menschenrechtsorganisationen aber würden durch die 20-Prozent-Regel lahmgelegt.

Kein Geld mehr an Graswurzel-NGOs

Eine weitere neue Regel sagt: Vom Ausland finanzierte Organisationen dürfen kein Geld mehr weitergeben an Graswurzel-NGOs, die Programme in Dörfern und Slums praktisch umsetzen. Die meisten Menschenrechtsorganisationen aber arbeiten traditionell mit lokalen Partnern. Denn die kennen ihre Klientel und operieren deshalb besonders effizient.
Partner wie der Lehrer und nebenberufliche Aktivist Ramesh, dessen kleine Organisation diskriminierte Dalit, also „Kastenlose“, betreut. Hier in dem entlegenen Dorf im Bundesstat Tamil Nadu müsse man oft schnell reagieren, was eine in der Stadt ansässige NGO-Zentrale gar nicht könne, erklärt Ramesh, neben dem eine ältere Frau steht, die kürzlich Opfer eines Hassverbrechens wurde: "Abends um elf tauchten sechs Männer bei uns auf. Sie suchten unseren Sohn, sagten sie. Der habe einem Angehörigen der Brahmanen-Kaste die Hand geschüttelt. Ein Verbrechen, für das er bestraft werden müsse. Als wir sagten, unser Sohn sei nicht da, schlugen die Männer mit Knüppeln auf uns ein. Überall am Körper hatten wir Blutergüsse und Platzwunden, mein Mann sogar eine Gehirnerschütterung."
Ramesh half noch am selben Abend: "Eine Nachbarin, die meine Organisation kennt, holte mich aus dem Bett. Ich rief dann den Krankenwagen. Und am nächsten Tag erstattete ich Anzeige bei der Polizei. Aber der wachhabende Polizist sagte: Behelligen Sie uns nicht mit einer Schlägerei. Die Leute sollen sich einfach vertragen. Trotzdem bestand ich darauf, dass die Polizei ein Hassverbrechen gegen Kastenlose registrierte. Darauf steht nämlich Gefängnis, und die Opfer können Schmerzensgeld verlangen."
Der Aktivist Ramesh bekommt seit Kurzem keinen Lohn mehr. Seine Graswurzel-Organisation musste schließen – so wie Tausende Organisationen, denen ausländisch finanzierte NGOs kein Geld mehr geben dürfen. Zehntausende teuer ausgebildete NGO-Mitarbeiter verdingen sich jetzt auf dem Bau oder in der Landwirtschaft, und zahllose Opfer von Menschenrechtsverletzungen haben keine Ansprechpartner mehr.

Personalreduzierung und Mammutprozesse

Unter dem steten Druck der Regierung haben auch die meisten größeren NGOs ihr Personal reduzieren müssen – um meist 50 bis 70 Prozent. Und rund 6000 Organisationen haben, nach dem Auslaufen ihrer Erlaubnis, ausländisches Geld zu nutzen, keinen Neuantrag mehr gestellt. Sie sehen sich mit der Bürokratie, die einen Großteil ihrer Arbeitskapazität absorbiert, überfordert.
Andere NGOs strengen Gerichtsprozesse gegen das Innenministerium an. Eine wenig aussichtsreiche Übung – meint die Menschenrechtsanwältin Amrita Patel in Chennai. "Häufig verlieren Aktivisten und NGOs solche Verfahren schon deshalb, weil sie sich jahre- oder gar jahrzehntelang hinziehen. Das Gerichtsverfahren ist einfach schon die Strafe: Du wirst grundlos eines Verbrechens beschuldigt oder dir werden wichtige Genehmigungen verweigert. Du wehrst dich. Und schon bist du, solange das Verfahren läuft, gelähmt in deinen Aktivitäten. Deine Organisation zerfällt, weil sie kaum mehr arbeiten kann, und du musst deine ganze Energie und Zeit auf den Papierkrieg eines unendlichen Gerichtsverfahrens konzentrieren. Das ist die eigentliche Bedrohung, der NGOs in Indien ausgesetzt sind."
Eine Anfrage von Deutschlandfunk Kultur an das indische Innenministerium, hierzu Stellung zu beziehen, wurde nicht beantwortet.

Ausländische Regierungen schauen weg

Große Teile der Menschenrechts- und Umweltschutzarbeit in Indien seien inzwischen lahmgelegt – erklärt, mit Tränen in den Augen, der Leiter einer Organisation im Bundesstaat Tamil Nadu, die Schulkinder und Landarbeiter über Menschenrechte aufklärt – in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden.
Dass das Ausland schweigt zur Vernichtung eines großen Teils der indischen Zivilgesellschaft, mache ihn fassungslos, sagt der Menschenrechtler. Regierungen schwiegen um geostrategischer und wirtschaftlicher Interessen willen. Große internationale Hilfsorganisationen hätten Angst, dass Modi sie aus dem Land werfe. So halten fast alle den Mund. Auch dieser Menschenrechtler, dessen Organisation noch ausländisches Geld annehmen darf:
"Die aktuelle Situation beraubt mich all meiner Freiheit als kritischer Staatsbürger. Eigentlich will ich den Mund aufmachen, wenn Menschenrechte verletzt werden. Ich wollte lautstark protestieren, zum Beispiel, gegen die Verhaftung des Journalisten Mohammed Zubair vor Kurzem. Aber dann habe ich mir gedacht: Halt, du musst vorsichtig sein. Du postest besser nichts zu diesem Thema in den sozialen Medien und organisierst keine Demonstration. Diese Vorsicht, diese Schere im Kopf, ist ein Teil von mir geworden, seit der Staat damit droht, meine Organisation von ausländischem Geld abzuschneiden. Dieses Geld ist ja die Lebensader meiner Organisation, ob ich es will oder nicht."

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