Indien

Findig bei Essen und Trinken

Lieferservice für Selbstgekochtes: 200.000 Essen liefern die Dabba-Wallas in Mumbai täglich aus.
Lieferservice für Selbstgekochtes: 200.000 Essen liefern die Dabba-Wallas in Mumbai täglich aus © Deutschlandradio / Silke Diettrich
Von Silke Diettrich · 23.08.2016
Viele Menschen in Indien haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser oder kein Geld, um sich mittags etwas zu essen zu kaufen. Doch die Inder sind findig - und ihre Ideen landen dann auch schon mal im Guinness-Buch der Rekorde.
Jeden Tag kommt Kapil Sharma hierher. An die Wasserstation in einem Vorort von Mumbai. Er hält seine Plastikkarte an einen Sensor über einem Waschbecken und ganz automatisch laufen zwanzig Liter Trinkwasser in seinen Kanister:
"Letztes Jahr hatte ich Gelbsucht. Ich war 15 Tage lang richtig schwer krank", erzählt Sharma, der vor einem Monat ein eigenes Restaurant eröffnet hat. Seitdem trinkt er kein Leitungswasser mehr und bietet auch seinen Kunden nur reines Trinkwasser an. Die Filteranlage von Waterlife kommt ihm da gerade recht:
"Diese Anlage ist gleich bei mir um die Ecke und 20 Liter Trinkwasser kosten hier umgerechnet gerade einmal einen Cent. Das ist echt gut für mich."

"Waterlife" stellt für wenig Geld Trinkwasser zur Verfügung

Die Firma Waterlife hat sich auf darauf spezialisiert, Grundwasser zu reinigen und für wenig Geld Anwohnern zur Verfügung zu stellen. Indien hält einen traurigen Rekord in Sachen Wasserqualität: Von 123 Ländern rangiert Indien auf dem drittletzten Platz. 90 Prozent der Landbevölkerung und 30 Prozent der Menschen, die in Städten leben, haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Die Firma Waterlife will das ändern, erzählt Rajendra Vishwakarma, der für die Filteranlagen im Westen Indiens zuständig ist:
"Die Regierung schafft es nicht, genügend Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Wir haben das Knowhow und deshalb stellen sie uns ein Grundstück zur Verfügung, für das wir keine Miete zahlen müssen. Es entlastet ja auch die Regierung, allein hier in der Gegend haben mindestens 100.000 Menschen dadurch gutes Trinkwasser."
Patienten in dem indischen Edward-Memorial-Krankenhaus in Mumbai.
Patienten im Edward-Memorial-Krankenhaus in Mumbai.© picture alliance / dpa / EPA / DIVYAKANT SOLANKI
Gerade im Sommer wird das Wasser überall knapp in Indien. Flaschenwasser können sich viele nicht leisten. So wie Restaurantbesitzer Sharma müssen Millionen Menschen im Jahr ins Krankenhaus, weil sie sich gefährliche Bakterien durch verschmutztes Wasser eingefangen haben.
"Jeden Tag verlierst du Geld, wenn du im Krankenhaus liegst. Ich will weder mein Geld noch meine Gesundheit aufs Spiel setzen", erzählt Sharma.

Bis zu 2000 Liter Grundwasser filtert die Anlage pro Stunde

Die Filteranlagen von Waterlife können überall dort installiert werden, wo genügend Grundwasser vorhanden ist. Nach 15 Tagen steht die Anlage und kann bis zu 2000 Liter Wasser pro Stunde filtern. Egal ob Stadt oder Land, die Anlagen sind flexibel einsetzbar: Gibt es keinen Strom, baut Waterlife Solarpanels auf oder betreibt die Filteranlage mit Handpumpen. Das vollautomatische System wird von Menschen in der gleichen Umgebung betreut, die dafür nur kurz angelernt werden müssten, sagt Vishwakarma:
"Die Menschen sollen nicht das Gefühl haben, dass dies ein Laden ist, in dem sie Wasser kaufen. Es ist ihre eigene Anlage, die für die Gemeinschaft da ist."
Rund 800 Euro kostet die Instandhaltung im Monat. Viel Platz benötigt man nicht: Zwei große Wassertanks, eine Abfüllstation und die Filtermaschine passen auf 20 Quadratmeter Grundfläche. In der Maschine befinden sich Sand-, Carbon- und Umkehrosmosefilter. Ozongas, um Bakterien abzutöten. Membranen, die desinfizieren. Alles nach den Standards der Weltgesundheitsorganisation.
So entsteht innerhalb weniger Minuten aus verdrecktem Grundwasser reines Trinkwasser. 4000 solcher Anlagen stehen bereits in ganz Indien verteilt. Allerdings sei das System nur für die praktisch, die gleich nebenan wohnen, erzählt ein Slumbewohner:
"Man muss die 20-Liter-Behälter auf dem Rad oder auf der Schulter tragen. Wir wohnen über zwei Kilometer entfernt. Wenn sie liefern würden, würden noch mehr Menschen das gesunde Wasser trinken."

Die Dabba-Wallas haben es ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft

Einen Lieferservice, der es bis ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat, gibt es in der Innenstadt von Mumbai. Das System beruht auf Effizienz und Pünktlichkeit. Jeder in Mumbai kennt sie, die so genannten Dabba-Wallas, Menschen, die Essen ausliefern. Das Besondere: Mütter oder Hausfrauen kochen für ihre Ehemänner oder Kinder, die außer Haus arbeiten. Über 200.000 Menschen bekommen pünktlich zur Mittagszeit hausgemachtes Essen zum Büro geliefert, auch der Sohn von Shilpa Parikh:
"Ich mache das Essen selbst und es ist gesund. Ich packe ihm auch immer noch ein wenig Obst dazu. Für ihn wäre es zu schwer zu tragen. Und meine Liebe zu ihm geht in sein Essen über!"
5000 Dabba-Wallas, die meisten können kaum lesen oder schreiben, arbeiten unter enormen Zeitdruck. In sämtlichen Stadtteilen sammeln sie am Morgen Essensboxen an Haustüren ein, laufen Stockwerke hoch und wieder runter.
Ein buntes Gewirr von Essensboxen sortieren und stellen die Dabba-Wallas jeden Tag zu.
Ein buntes Gewirr von Essensboxen sortieren und stellen die Dabba-Wallas jeden Tag zu.© Deutschlandradio / Silke Diettrich
Die Übergabe muss in wenigen Minuten stattfinden, kurze Verspätungen holen die Männer mit schnellem Fahrradfahren wieder auf. Bis zu 40 Kilometer ist das Essen quer durch die Stadt unterwegs: Auf Fahrrädern, Motorrädern, auf langen Bahren, die die Männer auf dem Kopf jonglieren und in den Zügen. Dashrath Kedari hat die Schule bis zur fünften Klasse besucht und macht den Job, seit dem er 15 Jahre alt ist:
"Ich mag meine Arbeit. Ich bin den ganzen Tag unterwegs. Da ist man ständig auf Trab und hat gar keine Zeit, müde zu werden. Sobald wir im Zug sitzen, können wir ein wenig entspannen, aber dann geht es ja auch schon wieder weiter."

Effektiver und zuverlässiger Service

Die Pausen im Zug und die Touren mit dem Rad mag Dashrath Kedari am liebsten. Obwohl er mit dem Fahrrad bis zu 70 Kilo Essen transportieren muss. Ein einzelner Lieferant bringt nie das Essen ans Ziel, das er am Morgen abgeholt hat. Die Thermobehälter gehen durch mehrere Hände. Ein Code aus Zahlen und Buchstaben steht auf jeder Box. Er verrät den Lieferanten, aus welchem Stadtteil die Box kommt, wer für die Ware zuständig ist und an welchen Ort und welchen Stockwerk sie gebracht werden muss. Pünktlich zur Mittagszeit landet das Essen direkt auf dem Schreibtisch der Büroangestellten. Für Dinesh Nando jeden Werktag seit 25 Jahren:
"Sie bringen mein Essen immer um die gleiche Zeit. Und auch beim Abholen bei mir zu Hause sind sie immer zuverlässig am Morgen da. Und auch, wenn sie die Dosen wieder zurück bringen. In 25 Jahren haben sie noch nicht einmal mein Essen vertauscht."

Fehlerquote: eine von sechs Millionen Lieferungen

Nach der Mittagszeit müssen die Dabba-Wallas die gleichen Wege wieder zurücklegen wie am Morgen. Nur andersrum und mit leeren Essendosen. Seit über einem Jahrhundert läuft das Geschäft, Angst um die Zukunft des Familienunternehmens macht sich Subash Talekar nicht, er ist der Enkel des Gründers:
"Viele Menschen hier leiden ab dem 40. Lebensjahr unter Bluthochdruck, Diabetes oder anderen Krankheiten. Die wollen sich lieber darauf verlassen, was sie essen und was gut für sie ist. Und die Krankheiten werden noch zunehmen. Noch mehr Leute werden nur hausgemachtes Essen zu sich nehmen wollen. Unser Geschäft wird also noch expandieren."
Weltweit ist Subash Talekar unterwegs, um sein System an renommierten Wirtschaftsinstituten vor zu stellen. Die Fehlerquote liegt bei einer von sechs Millionen Lieferungen.
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