Indianische Familiensaga

15.02.2007
Sie ist die bekannteste Schriftstellerin indianischer Herkunft in den USA. Noch dazu hat Louise Erdrich deutsche Wurzeln. Eine Trommel gilt in der indianischen Kultur als ein eigenständiges Lebewesen, das zur Familie gehört wie ein Verwandter. Davon erzählt ihr Roman "Der Klang der Trommel". Er ist Weltliteratur zwischen Faulkner und Proust.
Sie trägt den deutschen Familiennamen Erdrich, ihr Großvater väterlicherseits war ein deutscher Metzger, der in die USA auswanderte. Ihr Großvater mütterlicherseits hingegen war ein Indianer-Häuptling des Chippewa-Stammes. Louise Erdrich ist die produktivste und mittlerweile bekannteste Schriftstellerin indianischer Herkunft in den USA. Sie wurde mit verschiedenen Kritiker-Preisen ausgezeichnet.

Neben Kinderbüchern und Lyrikbänden sind 11 Romane von ihr erschienen, acht auch auf Deutsch. In ihrem letzten "Der Gesang des Fidelis Waldvogel" beschäftigte sie sich ausgiebig mit ihren deutschen Wurzeln. In ihrem neuen Roman "Der Klang der Trommel" geht Louise Erdrich wieder den Spuren ihrer indianischen Vorfahren nach und das - wie meistens bei Louise Erdrich - in Form einer großen indianischen Familiensaga, die sich über die letzten 100 Jahre erstreckt.

Der Leser wirft einerseits einen Blick in die moderne Welt der Indianer zwischen bürgerlicher Existenz und Sozialhilfe, und er erlebt andererseits das traditionelle Leben von Indianern, wie es Anfang des 20. Jahrhunderts stellenweise noch existierte.

Die Hauptfigur, das Bindeglied der verschiedenen Episoden des Romans, ist eine spezielle Trommel. Dazu muss man sagen: eine Trommel gilt in der indianischen Kultur als ein eigenständiges übernatürliches Lebewesen, das ein Eigenleben führt, das zur Familie gehört wie ein Verwandter und das, je nach Charakter, tatsächlich töten oder auch heilen kann.

Trotzdem wird mit dieser Trommel keine Klischee-Erwartung beim Leser bedient. Die Autorin bedient sich ihrer als Stilmittel des "Phantastischen Realismus`", jenem Genre, das zu einer Domäne süd- und nordamerikanischer Autoren geworden ist, ob bei Jorge Louis Borges oder bei T.C. Boyle, das allerdings auch in Deutschland durch E.T.A. Hoffmann und Theodor Storm bekannt wurde. Der "Phantastische Realismus" versucht, den Leser zu irritieren, ihn zu verunsichern, in sein Unterbewusstsein einzudringen, um ihm zu zeigen, dass Traum und Wirklichkeit nicht sehr weit voneinander entfernt sind und dass es vielleicht doch Übernatürliches gibt; dem Leser bleibt die Option, das zu glauben oder auch nicht.

Wie fast immer in Louise Erdrichs Romanen steht am Anfang des Plots jene "Ursünde", die oft Kultur und Zivilisation aus den Angeln hebt, und zwar die Sexualität. Die Vorgeschichte der Trommel beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts; sie entwickelt sich aus einer Liebestragödie. Ein verheirateter Mann mit Kindern verspricht einer anderen Frau die Ehe. Jene Frau verlässt ihren Mann, auf der Flucht wird ihre älteste Tochter von Wölfen getötet. Bei ihrem Liebhaber angekommen, erfährt sie, dass der verheiratet ist. Es beginnt ein Psychodrama auf Leben und Tod. In einem anderen Erzählstrang erleben wir, wie der verlassene Mann sich dem Alkohol ergibt, bis er die Stimme seiner von den Wölfen getöteten Tochter hört, die ihm den Auftrag gibt, die Trommel zu bauen.

"Der Klang der Trommel" ist ein höchst verschachtelter und fesselnder Roman. Der Leser verliert phasenweise den Überblick, aber das ist als Stilmittel so gewollt; er stürzt in einen Strudel aus Bildern, Episoden, Schicksalen und Gefühlen: hoch spannend, atemlos erzählt, subtil durchkomponiert, enorm abwechslungsreich, mal poetisch, mal umgangssprachlich, mal im Präsens, mal im Imperfekt.

Und "Der Klang der Trommel" bietet das, was wir von großer Literatur erhoffen: Antworten auf die großen Lebensfragen zu erhalten, warum Menschen scheitern oder auch Glück haben. "Der Klang der Trommel" ist Weltliteratur zwischen Faulkner und Proust. Die "New York Times" nannte es "das bemerkenswerteste Buch des Jahres 2005".

Rezensiert von Lutz Bunk

Louise Erdrich: "Der Klang der Trommel".
Eichborn Verlag 2007, 277 Seiten, 19.90 €.
Übersetzt von Renate Orth-Guttmann.