Indianerhäuptling-Debatte bei den Grünen

Soziales Ritual statt lebendiger Anti-Rassismus

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Der Schauspieler Erol Sander spielt bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg die Rolle des Winnetou.
Kindheitstraum "Indianerhäuptling" - darf man das noch so erzählen? © picture alliance / dpa | Angelika Warmuth
Ijoma Mangold im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 24.03.2021
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Sie habe als Kind Indianerhäuptling werden wollen, sagte die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch unlängst - womit sie viele Parteifreunde empörte. Jarasch entschuldigte sich dann. Der Autor Ijoma Mangold hält von solchen "Bußritualen" wenig.
Das ging nach hinten los. Auf einem Parteitreffen der Berliner Grünen erklärte sich Spitzenkandidatin Bettina Jarasch zu ihrer Kandidatur bereit mit den Worten, sie habe schon als Kind Indianerhäuptling werden wollen. Ein diskriminierendes Wort, übten viele Parteifreunde sogleich scharfe Kritik - woraufhin sich Jarasch schließlich für ihre "unreflektierten Kindheitserinnerungen" entschuldigte.
Zeit-Redakteur Ijoma Mangold findet das völlig übertrieben. "Mich stößt vor allem dieses Bußritual, das immer mehr um sich greift, ab", sagt er. Das Ganze erinnere ihn an die Selbstkritik in sozialistischen Staaten, wo man einräume, mit seinem Bewusstsein nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, aber die Bereitschaft bekunde, an sich zu arbeiten. Von unreflektierten Kindheitserinnerungen zu sprechen, hält er außerdem für eine "merkwürdige Selbstdistanzierung": "Wir wissen doch alle, dass der Begriff Indianer in unserer Kindheit positiv besetzt war."

Zu viel Geschrei um falsche Begriffe

Er persönlich würde einen Unterschied machen wollen zwischen dem Vokabular der Gegenwart und der Referenz auf eine Kindheitserinnerung. "Die jetzt rückwirkend auf den verbal neuesten Stand zu bringen, finde ich eine komische Verrenkung."
Sprachlich sensibel zu sein, könne zwar sicher nicht schaden: "Mir kommt das aber oft so mechanisch vor. Die Leute sitzen nur noch da und warten, ob auch alle auf dem neuesten Stand der Ausdrucksweise sind - und wenn nicht, dann bricht ein großes Geschrei los und der andere unterwirft sich."
"Wenn ich eine solche Szene sehe, habe ich nicht das Gefühl, dass ich hier an lebendig empfundenem Anti-Rassismus teilnehme, sondern an einem sozialen Ritual, das die Gruppen-Identität als progressive Partei der Diversität unterstützen und unterstreichen soll", betont der Journalist.
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