In Zukunft ohne Gießkanne

Von Claudia van Laak |
Die öffentliche Debatte in Brandenburg dreht sich im Moment nur um ein Thema, um die Förderpolitik des Landes. Das neue Konzept von Ministerpräsident Matthias Platzeck birgt eine Menge Sprengstoff. Das Geld soll nicht mehr mit der Gießkanne über das Land verteilt, sondern konzentriert in so genannte Wachstumskerne investiert werden.
Wer auf der Autobahn von Berlin aus Richtung Warschau fährt, sieht kurz vor der deutsch-polnischen Grenze links ein graues, flaches Fabrikgebäude. Eine neue, breite Straße, von Ahornbäumen gesäumt, führt auf das Gelände. Vor der Fabrik steht ein Bauschild: Communicant Fab 1, Facility Complex.

Nicht nur mit dem Auto, auch mit der Straßenbahn ist die Fabrik gut zu erreichen - von der Haltestelle aus führt eine futuristische Fußgängerbrücke über die Autobahn. Sie endet allerdings im Nichts - besser gesagt an einem mit zwei Reihen Stacheldraht gesicherten mannshohen Zaun. Auf dem Gelände ist außer einem misstrauisch blickenden Wachmann niemand zu sehen.

Der leere graue Fabrikkomplex ist der Rest eines hochfliegenden Traums, der Rest der Chipfabrik Frankfurt/Oder. Nur eines von vielen Projekten, bei denen Brandenburgs Landesregierung vergeblich versucht hat, Staatswirtschaft zu betreiben und viel Lehrgeld gezahlt hat. Jetzt wird alles anders. Ministerpräsident Matthias Platzeck.

Platzeck. "Wir sind als Landesregierung im letzten Jahr nicht angetreten unter dem Motto "Weiter so". Die Zeiten haben sich geändert und wir müssen unsere Konzepte darauf einstellen, um nicht nur noch reagieren zu müssen, sondern um noch agieren zu können. "

So hat Matthias Platzeck zusammen mit seinen beiden Ministern Ulrich Junghans, Wirtschaft, und Frank Szimansky, Infrastruktur, vor kurzem ein Konzept präsentiert, das die bisherige Politik des Landes auf den Kopf stellt. Es bedeutet eine Abkehr von geliebten sozialdemokratischen Grundsätzen. Das frühere Ziel, das Land Brandenburg gleichmäßig zu entwickeln, wird aufgegeben.

Platzeck: "Wir haben einen Riesenglücksfall in der Mitte unseres Landes, eine europäische Metropole, wir verschweigen das schamhaft seit 15 Jahren, so als ob das peinlich wäre, dass da Berlin und sein Umland eine Menge Impulse und Wirtschaftskraft entwickelt. "

Der SPD-Politiker will künftig stärker mit dem Pfund Berlin wuchern. Und das Fördergeld, mit dem Investoren nach Brandenburg gelockt werden sollen, anders verteilen. Wer hat, dem wird noch mehr gegeben. Die Subventionen werden auf Gebiete konzentriert, in denen sich bereits Industrie entwickelt hat. Matthias Platzeck konstatiert,

Platzeck: "Dass wir im Moment in einer Situation sind, wo keinem geholfen ist, wenn man versucht, jedem gleich zu helfen, dann schafft man keine Entwicklung, und dann kann man bald niemandem mehr helfen. "

Die Abkehr von den bisherigen Leitlinien brandenburgischer Politik hat mehrere Ursachen. Da ist zum einen die langsam zurückgehende Förderung seitens des Bundes. Der Solidarpakt läuft noch bis 2020, dann müssen die neuen Länder auf eigenen Füßen stehen. Zum anderen erfasst die demographische Entwicklung Brandenburg stärker als andere Bundesländer. "Mehr Wölfe, weniger Frauen" - titelte eine Regionalzeitung und brachte damit die Entwicklung auf den Punkt. Erstens werden zu wenige Kinder geboren, zweitens leidet das Land unter dem Geburtenknick nach der Wende.

Platzeck: "Wir haben es drittens mit der Abwanderung zu tun und wir haben viertens ein brandenburgspezifisches Problem, wir haben eine Binnenwanderung, das heißt, dass durch die Lage Berlins die Wanderung von außen nach innen geht. "

Die Folge: die nördlichen Randregionen Brandenburgs entvölkern sich zusehends. Die Prignitz - ein Landkreis auf halber Strecke zwischen den Metropolen Berlin und Hamburg - zählt nur noch 90.000 Einwohner, genau so viele wie im Jahre 1870. 15 Schulen sind in den letzten Jahren im Kreis Prignitz geschlossen worden, ein Ende ist nicht abzusehen.

Pritzwalk, eine Kleinstadt in der Prignitz. Die gute Stube des Städtchens macht einen schmucken Eindruck. Kopfsteinpflaster, sanierte Ackerbürgerhäuser in Pastellfarben. Zwei junge Männer schlendern durch die Fußgängerzone und genießen die erste Frühlingssonne. Es hält sie nicht in der Prignitz. Ihrer Heimatstadt Pritzwalk wollen sie demnächst den Rücken kehren.

"Wir haben jetzt eine Lehrstelle, Ausbildung. Und da wird man nicht übernommen, und hier in der Nähe findet man sowieso nichts, ja, und deswegen wollen wir hier nicht bleiben. "

"Bei mir ist das genauso, nur dass ich eine Ausbildung als Koch machen, aber ich werde auch nicht übernommen, und darum denke ich, werde ich nach der Ausbildung abhauen, Hamburg, Pinneberg. "

Nur eine Straßenecke von der Fußgängerzone entfernt grüßt die Tristesse. Leerstehende Häuser, eingeschlagene Scheiben, Schilder mit der Aufschrift: "Zu verkaufen." In seinem Tabakladen wartet Jürgen Müller auf Kundschaft.

Müller: "Schlecht, man ist am Abgrund. 44 Hohe Arbeitslosigkeit, hohe fixe Kosten, die kaufen nur das Nötigste. "

Die Nachricht von der neuen Förderpolitik hat sich schnell herumgesprochen. Von 23 so genannten Wachstumskernen, die künftig stärker gefördert werden sollen, liegt kein einziger der Prignitz. Jürgen Müller ist frustriert und wütend.

Müller: "Dann gehen hier die Lichter aus, aber so kann es nicht gehen, hier leben Menschen, es geht um Existenzen, das kann man einfach nicht so machen, dass die den Speckgürtel rund um Berlin fördern, und die Randgebiete, die Prignitz, dass die die Schotten dicht machen, das geht nicht, da hab ich mich in dem Platzeck ganz schön getäuscht. "

In einem Schaufenster in der Fußgängerzone hängt ein Plakat. "Die Prignitz lässt sich nicht wegsparen, Herr Platzeck." Und ein weiteres mit der Aufschrift: "Schluss mit der Gießkannenverteilung von Südfrüchten, alle Vitamine in die Metropole."

Winkelmann: "Wir haben auch Apfelsinen verteilt an die Bürger hier in der Stadt, und zwar unter dem Motto "Zugreifen, es sind vielleicht die letzten, die für die Provinz vorgesehen sind". Die Bürger haben sehr gut verstanden, was wir damit gemeint haben. "

Hartmut Winkelmann ist Vorsitzender der PDS-Fraktion im Prignitzer Kreistag und Inhaber einer kleinen Werbeagentur. Drei große Kisten voller Apfelsinen hat er in der Pritzwalker Fußgängerzone verteilt und viel Lob für seine Aktion geerntet, quer durch alle Parteien. Der Kommunalpolitiker ärgert sich wie viele andere über die Vorgehensweise der Potsdamer Landesregierung.

Winkelmann: "Das ist so an die Front gehauen worden, ohne dass bedacht wurde, welche Folgen das für die Leute hat. Gerade auch für die Leute, die hier was unternehmen, die klein- und mittelständischen Unternehmen, da wird einfach wie mit der Axt im Wald gearbeitet, da wird den Leuten was vor den Kopf gehauen. "

Noch ist das neue Konzept keine beschlossene Sache, es soll erst 2007 in Kraft treten. Korrekturen sind möglich. Trotzdem fallen die Reaktionen heftig aus. Matthias Platzeck muss sich des Vorwurfs erwehren, die Randregionen abzuhängen.

Platzeck: "Wir machen das Ganze nicht, um Verlierer zu erzeugen. Verlieren tun wir im Moment. Wir verlieren 20.000 Menschen jedes Jahr, die ihre Zukunft nicht in Brandenburg sehen. Wir machen das alles, damit das Land und seine Menschen Gewinner sind am Ende, aber dazu braucht es Umsteuerung, dazu braucht es auch vermeintliche Verlierer. "

Lob und Unterstützung für sein neues Konzept bekommt Matthias Platzeck von Regionalforschern und Unternehmerverbänden. Die Diskussion wird spät, aber nicht zu spät geführt, sagt Christian Amsinck. Der Geschäftsführer der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg weist daraufhin, dass sein Verband bereits vor vier Jahren mit ähnlichen Forderungen an die Öffentlichkeit gegangen ist.

Amsinck: "Das Land insgesamt muss stärker werden, das Land muss leistungsfähiger werden, eine gleichmäßige Entwicklung eines Landes ist zwar eine schöne Vorstellung, aber völlig unrealistisch. Und die Förderung, dass muss man sagen, die Förderung hat nicht die Ergebnisse gebracht, die man sich erhofft hat. "

Während die Gewerbegebiete im Speckgürtel rund um Berlin gut ausgelastet sind, finden sich in den Randregionen die berühmten beleuchteten Schafweiden. Wo nach der Wende eine leistungsfähige Industrie entstanden ist - zum Beispiel die Fahrzeugproduktion in Ludwigsfelde - da siedeln sich weitere Zulieferer an. Die Landkreise rund um Berlin sind die einzigen im Osten, die wachsen. Der Teufel macht immer auf den größten Haufen.

Amsinck: "Wir müssen beim Einsatz von Fördermitteln immer darauf achten, dass der bestmögliche Effekt entsteht. Und dieser Effekt ist im engeren Verflechtungsraum höher, weil sie eben eine gewisse Struktur schon haben. Und Wirtschaftsentwicklung findet nun mal so statt, von innen nach außen, und Unternehmen siedeln sich gerne dort an, wo schon was ist. "

Parallel mit der Wirtschaftsförderung wird das so genannte System der Zentralen Orte überarbeitet - es ist entscheidend für die Zuweisungen des Landes an die Kommunen. Die Zahl der Zentralen Orte wird mehr als halbiert, viele Kommunen herabgestuft. So trifft es auch die 3000- Einwohner-Gemeinde Putlitz in der Prignitz. Bislang war die Kommune ein Grundzentrum. Dieser Status spülte Putlitz zusätzlich 170.000 Euro im Jahr in die Kassen. Im Konzept von Infrastrukturminister Frank Szimanski taucht Putlitz nicht mehr auf. Das bedeutet für Bürgermeister Bernd Dannemann: die 170.000 Euro werden künftig im Stadtsäckel fehlen. Der frühere Mathematiklehrer hat nachgerechnet.

Dannemann: "Wo können wir noch sparen, Bibliothekarin entlassen, Bibliothek zumachen, Badeanstalt nicht befüllen, sondern meinetwegen zur Müllkippe machen und hinterher betonieren. Jugendclub, meinetwegen einer Verkaufseinrichtung anbieten, aber das ist ja nicht das, was im Sinne der Bürger ist. "

Sollte dieser Fall eintreten, wird die Lebensqualität in Putlitz sinken. Der Bürgermeister befürchtet, dass dann nur noch die Alten bleiben, dass die wenigen jungen Familien seine Gemeinde verlassen könnten. Eine Spirale abwärts. Die Logik der Landespolitik will Bürgermeister Dannemann nicht einleuchten. Stellen Sie sich vor, sagt er, ich hätte zwei Söhne, der eine gesund, der andere krank.

Dannemann: "Und ich würde dem keine Medikamente kaufen, damit der Gesunde noch mehr Vitamine und zu essen bekommt, so in etwa sehe ich die Situation, und dafür finde ich keine nachvollziehbaren Argumente. "

Der Gesunde muss so gestärkt werden, damit er später dem Kranken helfen kann - so in etwa könnte das Argument der Landesregierung lauten. Aus kleinen Wachstumskernen sollen große Wachstumszentren werden, die dann auf ihr Umland ausstrahlen.

Dannemann: "Das ist doch Pfeifen im Wald, weil jeder genau weiß, so weit schwappen die Wellen nicht raus aus einer Region, die wirtschaftlich ja jetzt schon fast abgeschrieben ist. "

Das Gefühl, Brandenburger zweiter Klasse zu sein, ist überall in der Prignitz zu spüren. Auch in Wittenberge an der Elbe. Die Kommune soll künftig kein Mittelzentrum mehr sein. Wittenberger Unternehmer befürchten einen Imageschaden und den weiteren Verlust von Arbeitsplätzen. Warum sollte jetzt noch jemand hier investieren, fragt Horst Jaruschewski, Geschäftsführer einer Haustechnikfirma.

Jaruschewski: "Was in den letzten zehn, 15 Jahren versucht wurde aufzubauen durch Leute, die hier Zeichen gesetzt haben, die investiert haben, die Arbeitsplätze geschaffen haben, das ist wahnsinnig, das ist fast mit einem Schlag kaputt gemacht worden. "

Dien: "Wenn ich denn als Randbürger von Brandenburg unter Umständen nicht mal meiner Regierung was wert bin, dann kann ich auch woanders hingehen. "

Horst Jaruschewski und Torsten Dien von der Westprignitzer Wirtschaftsinitiative haben seit Wochen kein anderes Gesprächsthema als die Förderpolitik des Landes Brandenburg. Mittlerweile geben sie zu: der vermeintliche oder tatsächliche Angriff von außen schweißt nach innen zusammen. Unternehmer und Bürgermeister reden wieder miteinander, man versucht gemeinsam, das Unheil abzuwehren und ein positives Zukunftskonzept für die Prignitz zu entwickeln.

Jaruschewski: "Es ist zumindest ein Zusammenrücken der regionalen Akteure hier zu spüren, dass Verwaltungen und Unternehmer zusammenrücken und nach neuen Wegen suchen. Der Sack ist noch nicht zu, und wir sind in der Region gefragt, dass wir die Kräfte bündeln und dass wir unsere Forderung formulieren und den Vorschlagsentwurf zu unseren Gunsten beeinflussen. "

Für Mitte April hat Matthias Platzeck seinen Besuch in der Region angekündigt, um sein neues Förderkonzept zu verteidigen. Die Prignitzer bereiten auf einen gebührenden Empfang vor. Der Schock setzt kreative Kräfte frei. Der Putlitzer Bürgermeister Bernd Dannemann wartet gleich mit zwei Vorschlägen auf. Zum einen sollten an der Kreisgrenze Schilder aufgestellt werden mit der Aufschrift: EDV, "Ende der Versorgung". Außerdem könnten auf den Parkplätzen entlang der Autobahn Aussichtstürme mit Fernrohren aufgestellt werden, um, wie er sagt, die die letzten freilaufenden Prignitzer zu beobachten.
In Wittenberge hat jemand auf einem verwaisten Denkmalsockel einen leeren Stuhl, einen Koffer und ein Schild platziert. Die Aufschrift: Tschüs, Prignitz.