In weiter Ferne, so nah

01.10.2010
Die Schauspielerin Franka Potente schreibt jetzt auch. Das literarische Zeug dazu hat sie. In ihren Kurzgeschichten erkundet sie Japan und die Konventionen einer uns fremdartigen Gesellschaft, in der Regeln und Tradition viel gelten.
Fremd erscheint es uns, dieses Japan - die Kultur, die Menschen, ihre Traditionen, sie faszinieren uns, am Ende aber bleibt die unüberwindbare Fremdheit. Und das, obwohl das Land doch in vielen Bereichen sogar moderner ist als Westeuropa - was die Wirtschaft angeht, die Wissenschaft. Um diese Widersprüchlichkeit unseres Verhältnisse zu dem fernen, nahen Land geht es nicht nur Filmregisseurinnen wie Sofia Coppola oder Doris Dörrie, die mit "Lost in Translation" oder "Kirschblüten" ihre Fremdheit produktiv gemacht haben, darum geht es auch der Erzählerin in den zehn Kurzgeschichten von Franka Potente. Die Schauspielerin war vor fünf Jahren für einen Dokumentarfilm im Land, seitdem immer öfter.

Wir erfahren viel in diesem Buch - etwa über die Bedeutung des Shinto-Glaubens für die Japaner, aber auch, warum sich viele in der Öffentlichkeit scheuen, Persönliches preiszugeben, warum sie ihre Tische beheizen, oder welche Rolle das Essen spielt, oder besser: jedes einzelne Reiskorn. "Man sagt in jedem Reiskorn wohnen viele Götter", schreibt die Erzählerin über einen jungen Mann, der kurz vor einem wichtigen Bewerbungsgespräch steht. Es droht zu scheitern, weil er ein Reiskorn vermisst, das gerade runtergefallen war. Jedes Reiskorn muss mit Respekt behandelt werden, alles andere wäre gegen die Tradition: "In seiner Familie war nie ein Reiskorn verloren gegangen oder achtlos auf die Erde gefallen."

So viel ist mit Bedeutung aufgeladen in diesem Land. Was man schenkt, wie man grüßt, wem man seine Gefühle zeigt. Man kann viel falsch machen, wenn man von Außen kommt.

In einer der Geschichten erzählt Franka Potente von einer Fächerverkäuferin, die versucht, ihrem europäischen Kunden gegenüber indifferent zu sein - denn dies ist die höchste Form der Höflichkeit, Gleichgültigkeit zeigen. Was schwer fällt gegenüber Westlern, die auch nerven können. Als ein "Europäer um die 50" in den Laden tritt, ist sie erstaunt, wie leise und höflich er ist, denn: "Oft waren die Ausländer sehr laut. Ständig lag Konfrontation in der Luft. Dabei verkaufte sie nur Fächer." Doch dieser Westler erweist sich als leise, respektvoll, interessiert. Man spürt Potentes Botschaft: Wenn du die Japaner nicht verstehst, dann sei einfach still, respektvoll und fange ganz langsam damit an, Verständnis aufzubauen. Langsam!

Franka Potente zeichnet in ihren Geschichten das Bild einer äußerst konservativen japanischen Gesellschaft, in der Traditionen und Regeln viel gelten - auch wenn man sie nach dem eigenen Geschmack auslegt. Man darf sie nur nicht brechen. Das ist wichtig. Ihr Japan ist bei all dem sehr still - und weit entfernt von der Schrillheit der Manga-Kultur. Und was macht Potentes Literatur aus, ihre Sprache? Sie weiß zu schreiben, sie findet ihren eigenen, nüchternen, schlichten Ton, jede Geschichte hat zudem eine schlüssige Dramaturgie, die Figuren sind genau gezeichnet - was nur spätestens nach Geschichte Nummer drei stört, ist die Bildungsbeflissenheit der Autorin. Etwas zu viel Landeskunde. Was wiederum bedeutet: Die Fremdheit und damit der Zauber weichen auf. Dennoch: ein beachtliches Debüt. Keine ganz große Literatur, wahrlich nicht, aber ein Buch, das hoffen lässt auf mehr. Der Anfang ist gemacht.

Besprochen von Vladimir Balzer

Franka Potente: Zehn. Stories
Piper Verlag, München 2010
176 Seiten, 16,95 Euro
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