In vier Jahren zur Vollblutpolitikern

    Von Michael Brandt · 18.09.2013
    Sie ist die einzige Bundestagsabgeordnete mit Lippenpiercing und Nasenring: Agnieszka Brugger zog mit nur 24 Jahren in den Bundestag ein und hat sich in den vergangenen vier Jahren viel Anerkennung verdient - nicht nur im eigenen politischen Lager.
    Vor vier Jahren hatte Agnieszka Brugger mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sie in den Bundestag kommt:

    "…und dann war das grüne Wahlergebnis am 29. September 2009 so überraschend gut, dass ich um vier Uhr morgens erfahre habe, dass ich jetzt Bundestagsabgeordnete bin. Das hat meine Lebensplanung sehr durcheinander gewürfelt."

    In Polen geboren, im Ruhrgebiet aufgewachsen, in Tübingen studierend war sie von der Grünen Jugend auf Platz 11 der Landesliste Baden-Württemberg gesetzt worden. Der Platz galt als chancenlos, aber am Ende hat es doch gereicht und die damals 24-jährige Studentin vertrat von nun an für die Grünen den Bodenseekreis im Parlament - das Stadtkind kam ins ländliche Oberschwaben.

    "Also, ich liebe meinen Wahlkreis. Ich bin, auch wenn ich nur neigeschmeckt bin, mittlerweile überzeugte Oberschwäbin."

    Sie scheint in ihrer neuen Heimat Ravensburg angekommen zu sein. Anfang Juli war dort Wahlkampfauftakt und sie schaffte es sogar an einem Mittwochabend, die Ravensburger Zehntscheuer zu füllen:

    "Sicher doch, weil sie gute Politik macht und weil die die Abrüstungsfragen entscheiden vertritt."
    "Sie vertritt eine andere Art der Politik, sie ist jung."
    "Dynamisch, frisch."

    Inzwischen ist Agnieszka Brugger 28 Jahre alt, inzwischen ist sie verheiratet, aber was ihr Äußeres angeht, trägt sie nach wie vor die Insignien der Jugend: Die Haare leuchten an diesem Tag in einem satten Dunkelrot und ihr Kostümchen ist grasgrün, Sie ist die einzige Abgeordnete mit Lippenpiercing und Nasenring.

    Und die Frage, ob sie in den vergangenen vier Jahren daran gedacht hat, auf dezenteren Schmuck umzusteigen, beantwortet sie so:

    "Überhaupt nicht, im Gegenteil. Ich hatte jetzt eher die Befürchtung, wenn ich das Piercing rausnehme, weil es mir persönlich nicht mehr gefällt, dass dann alle denken, ich tue das nur, um mich anzupassen."

    Auch was die Sprache angeht will sie nicht an den üblichen Politikerslang anpassen, und so endet ihre Wahlkampfrede an diesem Abend so:

    "Ich freu mich auf den Wahlkampf, ich freu mich auf viele leidenschaftliche Debatten, ich freu mich aufs Diskutieren, lasst uns den Wahlkampf rocken."

    Die Zuhörer finden das gut, sie sind dabei, wenn der Wahlkampf gerockt wird. In der ersten Reihe sitzt Grünen-Chefin Claudia Roth und ist fast so bunt angezogen wie Agnieszka Brugger und outet sich sofort als Fan:

    "Also die ist ein echter Kracher, die hat den Einbruch in die Männerwelt geschafft, die wirbelt den Verteidigungsausschuss mit all diesen Sicherheitsmännern auf und ohne jede Zweifel ist Agnieszka eine der bestangezogensten Frauen im ganzen Bundestag."

    Sicherheitspolitik ist das Thema von Agnieszka Brugger im Bundestag und besonders für eine Grüne ist das nicht so einfach. Auf der einen Seite steht eine Parteibasis, die gerade in Oberschwaben noch immer tief im Pazifismus verwurzelt ist, auf der anderen Seite hat Brugger als Mitglied im Verteidigungsausschuss viel mit Soldaten zu tun, die es in der Regel nicht besonders toll finden, wenn ihr Gesprächspartner grundsätzlich nichts von Soldaten hält.

    "Es ist sicher eine Herausforderung und es gibt sicher Politikfelder, die für Grüne einfacher sind als Außen- und Sicherheitspolitik."
    Brugger gehört eher zum pazifistischen Flügel der Partei, ist nicht grundsätzlich gegen Militäreinsätze, den Afghanistaneinsatz aber lehnt sie ab. Mit den Soldaten in Afghanistan redet sie dennoch:

    "Warum können viele Soldaten, die ja das Parlament mit ihrer Mehrheit ins Ausland geschickt hat, nicht nach Hause skypen - und dann habe ich einen Antrag gemacht."

    Das Ergebnis ist: Jetzt können sie skypen.

    Und das ist zumindest deutlich mehr, als manch anderer Hinterbänkler im Bundestag in einer Legislaturperiode erreicht hat. 30 Mal hat die junge Angeordnete in den vergangenen vier Jahren im Parlament gesprochen und sich damit Anerkennung verdient, nicht nur im eigenen politischen Lager. Und das hat es ihr gedankt, indem sie bei dieser Wahl nicht mehr auf Platz 11 sondern auf Platz 5 der Landesliste platziert. Auch wenn der Start überraschend kam, Agnieszka Brugger ist schnell zu Vollblutpolitikern geworden:

    "Für mich gibt es zwei entscheidende Fragen. Die eine ist: Macht mir das Spaß, macht mir das wirklich Spaß 60 bis 80 Stunden pro Woche Politik zu machen und da ist die Antwort ein eindeutiges JA. Und die andere Frage ist: Kann man im Bundestag etwas bewegen?""

    Und auch hier ist die Antwort trotz einiger Rückschläge ein klares Ja. Und so spricht vieles dafür, dass Agnieszka Brugger auch im nächsten Bundestag sitzen wird, vermutlich nicht mehr als jüngste Abgeordnete, aber wahrscheinlich noch immer als die einzige mit leuchtend roten Haaren und Lippenpiercing.

    Links:
    Homepage von Agnieszka Brugger
    Agnieszka Brugger auf Facebook und auf Twitter
    Überssichtsseite: Abgeordnet nach Berlin - unsere Hinterbänkler