"In Tasmanien"

Vorgestellt von Lutz Bunk · 15.06.2005
Der britische Autor Nicholas Shakespeare ist tatsächlich ein Nachfahre von William Shakespeare, und dazu auch noch einer von Aldous Huxley. Der Diplomatensohn schrieb drei Romane, darunter eine Geschichte der Insel Tasmanien, jener Insel südlich Australiens.
"Tasmanien, 4. Mai 1817, an Mister William Potter. Mein lieber Potter, warum habe ich erst letzten Monaten von Ihnen gehört ? Eine Sau von Virginia ist sehr krank, ein echter Verlust. Ich gehe davon aus, dass Sie all meine Schulden weiter zahlen. Mir geht es wirtschaftlich gut, werde demnächst Weizen exportieren. Grüßen Sie bitte aufs Herzlichste meine Familie und vertrauen Sie mir einfach, immer der Ihre, Anthony van Kemp."

Nicholas Shakespeare faltet den gelb-braun vergilbten Originalbrief zusammen und steckt ihn wieder in die Plastikhülle. Vor sechs Jahren fand der britische Schriftsteller, heute 48, diesen Brief im Keller seiner Großmutter. Den Namen seines Verwandten Anthony van Kemp allerdings hatte Nicholas Shakespeare noch nie gehört. In seiner Familie galt der Gernegroß und Betrüger van Kemp als schwarzes Schaf.

"Blacker than pitch!"

Zu diesem Zeitpunkt hatte Nicholas Shakespeare gerade seine Biografie des britischen Reise-Schriftstellers Bruce Chatwin abgeschlossen, eine Arbeit, die ihn sieben Jahre gekostet und an den Rand der Verzweiflung gebracht hatte. Und da Tasmanien einer der wenigen Plätze auf der Erde war, wohin Chatwin nicht gereist war, beschloss Nicholas Shakespeare, Urlaub in Tasmanien zu machen.

"Ich ging dort zu einer Bibliothekarin und fragte: Haben Sie von einem Mann namens Anthony van Kemp gehört? Oh ja!, sagte sie, er gilt als der Vater Tasmaniens. Als ich erzählte, ich sei ein Verwandter, sagte sie: mh, das würde ich hier besser niemandem erzählen, niemand mag ihn."

Shakespeare fand weitere Spuren von Verwandten, die eines weiteren schwarzen Schafes seiner Familie, eines Lords, der aber im deutsch-feindlichen Tasmanien keine Freunde machte, weil er erzählte, er habe als junger Mann mit dem Kaiser Tennis gespielt und weil er sein Zuchtschwein Kaiser Wilhelm nannte, und Shakespeare fand zwei Nachfahren dieses Lords, zwei 80-jährige jungfräuliche Schwestern. Und - er fand das Traumhaus seines Lebens. Als er seinem Vater davon
erzählte, er wolle nach Tasmanien ziehen, hielt der ihn für verrückt, als er aber das Haus sah, überwältigt von der Schönheit des Platzes, in Tränen ausbrach.

"Es ist wie auf der Brücke eines Schiffes, jeden Moment klingt der Wind anders, Heerscharen gelb-schwarzer Kakadus schreien, dann das Mahlen der Wellen, die rauschende Brandung, Teil der Ewigkeit, manchmal weit entfernt, manchmal ganz nah wie heranreitende Kavallerie, - es beruhigt so, 's ist wie ein Anker."

120 000 Euro kostete der Traum aus Zedernholz und Glas, inklusive 17 km Strand, dem saubersten der Welt. Dort lebt der fast zwei Meter große, erst 48-jährige, aber schon weißhaarige Autor, -dessen Gesicht mit den großen blauen Augen wie das eines britischen Schuljungen strahlt-, während des englischen Winters zusammen mit der Frau seines Lebens, mit der er vor sechs Jahren seine erste Tasmanienreise unternahm und von der er zwei kleine Söhne hat, - jeden Abend
geht Shakespeare mit ihnen Austern sammeln. Obwohl ein erfolgreicher Autor muss er aber im Sommer in England seine Brötchen verdienen, als Chefredakteur für Literatur beim Daily und Sunday Telegraph. Das Problem der deutschen Kritiker, Sachbücher als hochliterarisches Genre zu betrachten, kennt man in England nicht.

"Das ist das Tolle in England, wir haben keine übertriebene Erwartungshaltung, wir sind eher Philister, und das lockert auf. Niemand packt dich in eine Schublade, aha, Romancier oder aber Sachbuchautor, solange das Buch wirklich authentisch ist. Mir tun die deutschen Schriftsteller leid, wie Tauben, die vor den Löchern ihrer Züchter sitzen, es gibt nur ein Loch für Lyriker, ein anderes ausschließlich für Kritiker, ein drittes für den Romancier. Das karikiert jede Kreativität. Nennen Sie mir ein deutsches Buch der letzten 20 Jahre, das außerhalb Deutschlands Erfolg hatte und das, sagen wir, die Welt wie Gabriel Garcia Marquez beschreibt, es gibt keins. Das ist Euer deutsches Problem, Eure Schubladen blockieren Euch wie ein Sprachfehler, schreibt einfach Storys, wie alle anderen."
Mit "In Tasmanien" ist dem Romancier, Biografen und Journalisten Nicholas Shakespeare ein so verzauberndes Buch gelungen, dass es den Genre-Begriff "Sachbuch" sprengt, der
marebuchverlag nennt es einen Roman. "In Tasmanien" ist ein literarisches Ereignis, eine skurrile Sammlung der Biographien einer Insel am Ende der Welt, sehr persönlich, brillant authentisch und mit viel Liebe für die Charaktere, die darin beschrieben werden. Ein Buch, das in diesem Sommer in keinem Urlaubs-Koffer fehlen sollte, denn die oft so verpönte Welt-Flucht ist in Tasmanien gelebte Philosophie.

"Ein alter Angler sprach mich an und fragte nach meinem Namen. Oh, sagte er aufgeregt, Shakespeare! Sind Sie mit dem Angelruten-Hersteller Shakespeare verwandt ? Und ich dachte: wow, endlich zu Hause! Ich mag eine Kultur, in der man nicht hysterisch Jagd auf Superlative oder Erfolg macht. Erfolg ist für mich: Ehrlich zu leben und niemandem wehzutun. Und womit wächst die heutige Generation auf? Mit Reality-TV und Dschungelcamp, mit absolutem Geschwafel."

Nicholas Shakespeare : "In Tasmanien"
Übersetzt von Hans M. Herzog
Marebuchverlag 2005,
498 Seiten, 24,90 Euro