"In Südafrika blieb sie weitgehend unbekannt"

Frank Räther im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 10.11.2008
Die in der Nacht zu Montag in Italien verstorbene Sängerin Miriam Makeba blieb in ihrer Heimat Südafrika relativ unbekannt, sagt der Journalist Frank Räther. Während Makebas 30-jährigen Exils waren ihre Platten in Südafrika verboten, ihre Lieder wurden nicht im Rundfunk gespielt. Überall sonst in der Welt galt sie als Stimme Afrikas.
Matthias Hanselmann: "Mama Afrika" wurde sie liebevoll genannt. Und sie war ein Weltstar, auch wenn die meisten Menschen nicht viel mehr von ihr kennen als ihren Hit "Pata Pata", der heute noch von unzähligen Radiostationen auf der Welt gespielt wird. Miriam Makeba ist tot. Gestern war sie noch bei einem Anti-Mafia-Konzert in Italien aufgetreten, hatte dort 2000 Fans begeistert, die sich mit dem Schriftsteller Roberto Saviano solidarisierten, der von der Mafia bedroht wird wegen seines Bestsellers "Gomorrha". Miriam Makeba soll bei dem Konzert schlecht geworden sein, sie ist dann ins Krankenhaus eingeliefert worden und in der Nacht zu heute verstorben.

Wir sind jetzt mit Johannesburg verbunden, Miriam Makebas Geburtsstadt. Mein Kollege Frank Räther ist Südafrikaexperte seit vielen Jahren. Guten Tag, Herr Räther!

Frank Räther: Einen schönen guten Tag, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Wie wurde bzw. wird denn die Nachricht von Miriam Makebas Tod in Südafrika aufgenommen?

Räther: Nun, wie man sich vorstellen kann, natürlich mit großer Trauer. Die südafrikanische Außenministerin hat das heute hier bekanntgegeben nach einer Mitteilung der Botschaft in Rom, die das Ableben von Miriam Makeba bestätigte. Kurz darauf gab es dann bereits ein Schreiben von Nelson Mandela, das ist ja die politische Ikone Südafrikas, und er sagte: Ihre Melodien, dem Schmerz im Exil der Entwurzelung, die sie 31 Jahre lang fühlte, hat sie eine Stimme gegeben, und ihre Musik habe ihn damals und seinen Gefährten im Apartheidkerker ein machtvolles Gefühl der Hoffnung gegeben. Sie hat uns stolz gemacht, sagte Mandela, wie sie ihren Weltruhm nutzte, um die internationale Aufmerksamkeit auf die Scheußlichkeit der Apartheid zu richten.

Hanselmann: Miriam Makeba wurde 1932 in Prospect Town, einem Stadtteil von Johannesburg, geboren. Vom Jahr 1960 an durfte sie nicht mehr in ihrer Heimat leben wegen ihres Engagements für die Anti-Apartheid-Bewegung. Wie bekannt war sie eigentlich in jüngerer Zeit wirklich in Afrika? Welche Rolle hat sie gespielt in ihrer Heimat?

Räther: Nun, in Afrika war sie sehr bekannt, denn dort ist sie ja dann umhergetourt. Sie hatte 19 Jahre in Guinea gelebt. Denn nachdem das südafrikanische Konsulat in New York ihr 1960 mitteilte, dass sie ausgebürgert sei und ihr Pass nicht verlängert sei und damit ungültig, hatte Guinea, damals der zweite unabhängige Staat Afrikas, 1958 unabhängig geworden, ihr sofort die Staatsbürgerschaft und einen Pass gegeben.

Und sie hat dann 19 Jahre dort in diesem Lande gelebt, ist dann auf dem Kontinent umhergereist und hat viele Lieder vom Kontinent international bekannt gemacht: Den berühmten "Click Song" in Xhosa, der Sprache ihres Vaters aus Südafrika, mit "Malaikha", das ist ein Lied in Suaheli aus Kenia. Sie hatte damals auch den kenianischen Präsidenten Jomo Kenyatta im Lied "Bulimisi" besungen und hatte eben auch Lieder natürlich aus Guinea, aus Kongo in ihrem Repertoire, übrigens meistens in der Originalsprache, die sie überhaupt nicht kannte, aber dennoch sagte, es sind die Sprachen Afrikas und ich werde sie singen.

In Südafrika hingegen waren ihren Platten verboten, sie durften hier nicht erscheinen, sie durften nicht verkauft werden. Der Rundfunk durfte damals die Lieder von Miriam Makeba nicht spielen, denn 1963 war sie ja in der UNO aufgetreten und hatte dort vehement die Apartheid beklagt in ihrem Lande, die die Rassen teilt und die Menschen zerstört. Und deshalb war sie hier in Südafrika dann eigentlich weitgehend unbekannt. Man durfte sie nicht hören, man konnte sie nicht hören. Und lediglich die Leute aus dem Exil, die dann zurückkamen, brachten auch ihre Musik und die Kenntnis von ihr mit zurück.

Hanselmann: Dennoch, die Apartheid gibt es ja schon länger nicht mehr. Ist es wirklich so, dass jüngere Afrikaner Miriam Makeba, dass sie ihnen gar kein Begriff mehr ist?

Räther: Für die wenigsten, das ist korrekt. Sie hat ja vor acht Jahren, im Jahr 2000, ihr neues Album "Homeland" herausgebracht, in dem es vor allem um Versöhnung, ein Zusammenleben aller Rassen geht. Aber hier im Lande, sie ist zwar in die verschiedensten Städte gefahren - sie sagte, "ich will in allen Provinzen meines Landes singen" - da kamen kaum Zuschauer. Und sie beklagte, dass die jungen Leute eben vor allem die gerade modernen, amerikanischen Songs mögen, egal ob Rap oder HipHop oder was auch immer, und dass sie eigentlich ihre eigene Kultur verloren haben.

Auch das schiebt sie etwas auf die Apartheid dabei und sagt, für die Leute war eben dann das Ausland die Rettung oder das, was man gut fand, was man nachahmte. Und da hatte dann auch hier natürlich durch das entsprechende Musik-Fernsehen, also wie MTV oder O Channel, mit afroamerikanischer Musik ja einen beträchtlichen Einfluss. Diese Leute waren dann wesentlich bekannter, auch nach 1990, als sie auf Bitte von Nelson Mandela, der damals gerade freigelassen wurde, in die Heimat zurückkehrte. Und sie beklagte es und sagte: "Aber wir verlieren doch damit unsere Wurzeln."

Hanselmann: Schauen wir wieder ein wenig weg von ihrem Heimatland Südafrika. Wie würden Sie Miriam Makebas Rolle im weltweiten Kampf gegen die Apartheid, im Kampf für die Befreiung Nelson Mandelas einschätzen? Sie war ja sogar auch vorübergehend UN-Botschafterin gegen die Rassendiskriminierung in Südafrika.

Räther: Nun, sie war ja diejenige, die im Ausland nicht nur frei umherreisen konnte, was den meisten Anti-Apartheid-Kämpfern Südafrikas ja nicht möglich war, die befanden sich wie Nelson Mandela, wie Walter Sisulu, Govin Mbeki und andere inhaftiert. Und die Musik ist natürlich auch eine internationale Stimme, die man hört. Wir wissen es ja auch gegenwärtig. Es sind aus vielen Ländern viel mehr die Musiker als die Politiker von dort bekannt. Wenn man fragt, wer ist denn der Präsident dieses Landes, dann sagen die Leute, das weiß ich nicht, aber ich kann dir sofort sagen, wer dort gerade in den Charts ist. Und das war natürlich mit Miriam Makeba.

Ich meine, ihr berühmtes Lied "Pata Pata", Sie nannten es ja am Anfang, gehörte zu den Top Ten in der internationalen Hitparade damals. Und sie trat auf nicht nur im Londoner Nachtclub, damals 1960, sondern auch in anderen Orten der USA mit Leuten wie Harry Belafonte. Dafür bekam sie dann auch einige Zeit später, als erste Afrikanerin übrigens, den Grammy Award. Sie trat auf dort mit anderen Großen des afrikanischen Jazz oder afroamerikanischen Jazz, und das machte sie natürlich dann dort bekannt. Und damit hatte sie eine Stimme in der Welt.

Überall, wo sie kam, sang sie und berichtete, wie es in ihrer Heimat aussieht, egal ob das in Deutschland war oder in Schweden, in England, in Italien oder auch in Ländern der Dritten Welt, denn sie sah sich auch zugleich nicht nur als Sängerin Afrikas, sondern auch als Sängerin der Dritten Welt.

Hanselmann: Sie hat ein sehr ereignisreiches Leben gehabt. 30 Jahre lang zog sie durch die Welt, bis sie 1990 erstmals wieder nach Südafrika reisen durfte, Sie haben es gesagt. Und sie hat das mal ihr Jojo-Leben genannt, ein Leben mit vielen Auf und Abs also, und vor allem zu Männern hatte sie ein, sagen wir mal, recht wechselhaftes Verhältnis. Harry Belafonte, Sie haben ihn angesprochen, den nannte sie "Big Brother". Mit anderen, ich glaube mit fünf Männern war sie verheiratet. Hugh Masekela, der große Trompeter, war dabei, oder auch Stokely Carmichael von den Black Panthers, wofür sie dann in den USA plötzlich alle Plattenverträge verloren hat. Wie wird denn ihr Leben beurteilt, ihr Leben vor dem Hintergrund der zahlreichen Männer?

Räther: Nun natürlich sehr unterschiedlich. Also zum Beispiel ein Journalist hatte sie ja interviewt, als die Autobiografie von Hugh Masekela herauskam, und den hat sie fast aus dem Tempel gejagt. Darauf wollte sie überhaupt nicht angesprochen werden. Sie konnte schon sehr, sehr bissig werden.

Auf der anderen Seite natürlich, als europäischer Journalist, hatte man es bei ihr etwas besser, denn das waren ja die Zeiten, an die sie sich sehr gerne erinnerte, wo sie auch gute Erinnerungen hatte. Als ich sie einmal fragte, jetzt, auch wo sie nach Südafrika zurückgekehrt ist, ob sie es denn mag, jetzt immer noch in der Welt umherzuziehen, wo sie ja 31 Jahre im Exil war, sagte sie: "Ach, wissen Sie, ich bin eine Zigeunerin. Ich bin am glücklichsten, wenn ich auf Tournee bin, aus dem Koffer leben kann." Und das hat sie ja dann auch gemacht, war überall zu finden. Und sie fand das natürlich auch bedauerlich und legte dann immer wieder Videos ein von ihren Konzerten in Rom oder in Stockholm und sagte: "Hier in Südafrika ist es nicht ausgestrahlt worden."

Aber sie ist jetzt mit 76 Jahren gestorben, das heißt, die letzten Jahre waren natürlich, was Männer betraf, dann doch etwas ruhiger. Aber ich muss gestehen, sie strahlte schon einen Charme aus und ihre Augen strahlten, wenn sie in der Umgebung von Männern war, und sie hatte schon beträchtlichen Einfluss darauf.

Andererseits aber war sie natürlich, wahrscheinlich wie viele Künstlerinnen, dann auch sehr abhängig von Stimmungen. Es gab Zeiten, wo es sogar so war, dass sie von der Bühne regelrecht torkelte aufgrund von Alkohol und dann hinterher gesagt wurde, ihr ging es gerade nicht besonders und sie hat ja Diabetes und Sie müssen das verstehen. Was natürlich logisch ist, dass man das versucht, etwas zu vertuschen. Aber sie war ein Mensch wie andere auch, sie war keine Ikone.

Hanselmann: Vielen Dank, Herr Räther. Frank Räther, langjähriger Südafrikaexperte über die heute Nacht verstorbene "Mama Afrika", die Kaiserin des afrikanischen Liedes, Miriam Makeba. Danke schön nach Johannesburg!