In Polen starkes Interesse an Geheimdienst-Akten
In Polen steigt das Interesse an den Akten der einstigen kommunistischen Geheimdienste. Bislang konnten 100.000 Polen in ihren Akten lesen, was die frühere Staatssicherheit über sie zusammengetragen hat, erklärte Janusz Kurtyka, Präsident des polnischen Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN). Das Institut ist durch einen Kooperationsvertrag mit der Stasi-Unterlagenbehörde in Deutschland verbunden.
Das polnische Gegenstück zur Birthler-Behörde nennt sich Institut des Nationalen Gedenkens - kurz IPN - und ist nicht nur für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur, sondern auch für die Verbrechen am polnischen Volk während der deutschen Besetzung von 1939 bis 1945 zuständig. Für Polen, so sagt der Leiter dieser Institution, Janusz Kurtyka, endete der 2. Weltkrieg 1989.
Die kommunistische Vergangenheit und ihre Folgen bilden mittlerweile den Schwerpunkt der Arbeit dieser vergleichsweise jungen Einrichtung. Während der Deutsche Bundestag das Stasi-Unterlagengesetz 1991 verabschiedete, wurde in Polen erst 1997 das Lustrationsgesetz verabschiedet, das es möglich macht, die Täter von einst zur Verantwortung zu ziehen.
Das IPN wurde erst 1998 gegründet und ist seit Anfang 2003 arbeitsfähig. Dennoch sieht es Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen nicht als ihre Aufgabe an, den polnischen Kollegen Ratschläge zu erteilen, allenfalls gelte es, Erfahrungen weiterzugeben:
Birthler: "In beiden Institutionen geht es darum, die Unterlagen der Geheimpolizei nach rechtstaatlichen Prinzipien zu verwalten, dafür zu sorgen, dass sie nicht erneut Schaden anrichten. Und es geht in beiden Institutionen darum, dass wir das, was wir aus den Akten erfahren, nutzbar machen wollen, nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und Enkel, und dies nicht nur in nationalem Rahmen, sondern international."
Die Konsequenzen der Verzögerung der Stasi-Aufarbeitung in Polen beschreibt Janusz Kurtyka so:
"Das wirkt sich zwar nicht auf die Forschung und die Entdeckung der historischen Wahrheit aus, aber für den Prozess der Lustration, für den politischen Aspekt der Vergangenheitsbewältigung hat es natürlich schwerwiegende Folgen, dass wir die Archive der Staatssicherheit erst so spät übernehmen konnten."
Jeder polnische Bürger hat seit einem Spruch des Verfassungsgerichts von 2005 das Recht auf Akteneinsicht. 100.000 haben inzwischen davon Gebrauch gemacht, und das Interesse wächst. In den Akten sind die Namen der Täter geschwärzt, Opfer der Verfolgung - in Polen sind es etwa 25.000 - können aber verlangen, dass man sie ihnen offenbart, und es gibt einige Organisationen, die es als ihre Pflicht ansehen, sie auch zu veröffentlichen. Dass dies manche Widerstände hervorgerufen hat, ist wenig verwunderlich. Die Entlarvten reagieren auch in Polen nach dem aus Deutschland bekannten Muster.
Kurtyka: "Zuerst leugnen sie, dann, wenn die Dokumente gezeigt werden, beginnen sie einen Teil der Vorwürfe zuzugeben, erst wenn auch das nicht mehr geht, gestehen sie."
Manche Debatten in Polen heute erinnerten sie stark an die Anfänge ihrer Behörde vor jetzt 15. Jahren, sagt Marianne Birthler. Für die Zusammenarbeit beider Einrichtungen eröffnet sich jedenfalls ein weites Feld: Vor einem Jahr schlossen sie eine Vereinbarung über diese Kooperation. Schwerpunkte sind gemeinsame Forschungsprojekte, die Zusammenarbeit im Bereich der Archive, wie z. B. der Transfer von Know-how zum Schutz von Archivalien, sowie wissenschaftliche Veranstaltungen.
Es ist das erste Abkommen, das die Birthler-Behörde mit einer vergleichbaren Einrichtung im Ausland geschlossen hat. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der deutsch-polnischen Lehrerfortbildung, ein Projekt, das schon 2003 auf den Weg gebracht wurde.
Die Birthler-Behörde und das Institut des Nationalen Gedenkens sind die größten Institutionen dieser Art in Europa. Der polnische Institutsleiter Kurtyka sieht sie als Modell für die gesamte Region. Marianne Birthler spricht zwar nicht von einem Modell, aber sie sieht eine spezielle Verantwortung für Bürger und Institutionen, die andernorts unter Schwierigkeiten Ähnliches versuchen.
Birthler: "In Ländern zum Beispiel wie Rumänien oder Bulgarien oder weiteren möglichen Beitrittsländern schaut man mit großem Interesse auf das, was wir tun, denn die Leute, die dort für die Aufarbeitung eintreten, haben häufig starke Gegner, und dann ist der Verweis auf Polen und Deutschland vielleicht sehr nützlich indem man sagt, wenn die das machen, dann ist das auch für uns sinnvoll."
Marianne Birthler blickt bei ihrer Arbeit über die unmittelbar betroffenen Länder Mittel- und Osteuropas hinaus in Richtung Westeuropa und auch hier erkennt sie eine Aufgabe, für die Deutschland und Polen dank ihrer Erfahrungen besondere Voraussetzungen mitbringen.
Birthler: "Wir haben auch so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung in Richtung Westeuropa. Westeuropäische Geschichte hat bisher meiner Ansicht nach nicht hinreichend zur Kenntnis genommen, dass kommunistische Geschichte ein wichtiger Teil europäischer Geschichte ist und dass das auch transportiert werden muss. Westeuropa muss akzeptieren oder sollte akzeptieren, dass die Geschichte der kommunistischen Länder ein wichtiger Bestandteil europäischer Geschichte ist und die Gesellschaften Mittel- und Osteuropas sich erst dann wirklich zugehörig fühlen werden, wenn die Geschichte des Kommunismus auch akzeptiert wird als wichtiger Teil europäischer Geschichte."
Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen möchte, dass die Schlussstrichmentalität keine Chance mehr hat, und zwar nicht nur in Deutschland. Sie setzt ihre große Hoffnung darauf, dass es eines Tages in Europa gelingen möge, sich auf gemeinsame Standards für den Umgang mit überwundenen Diktaturen zu einigen.
Die kommunistische Vergangenheit und ihre Folgen bilden mittlerweile den Schwerpunkt der Arbeit dieser vergleichsweise jungen Einrichtung. Während der Deutsche Bundestag das Stasi-Unterlagengesetz 1991 verabschiedete, wurde in Polen erst 1997 das Lustrationsgesetz verabschiedet, das es möglich macht, die Täter von einst zur Verantwortung zu ziehen.
Das IPN wurde erst 1998 gegründet und ist seit Anfang 2003 arbeitsfähig. Dennoch sieht es Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen nicht als ihre Aufgabe an, den polnischen Kollegen Ratschläge zu erteilen, allenfalls gelte es, Erfahrungen weiterzugeben:
Birthler: "In beiden Institutionen geht es darum, die Unterlagen der Geheimpolizei nach rechtstaatlichen Prinzipien zu verwalten, dafür zu sorgen, dass sie nicht erneut Schaden anrichten. Und es geht in beiden Institutionen darum, dass wir das, was wir aus den Akten erfahren, nutzbar machen wollen, nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und Enkel, und dies nicht nur in nationalem Rahmen, sondern international."
Die Konsequenzen der Verzögerung der Stasi-Aufarbeitung in Polen beschreibt Janusz Kurtyka so:
"Das wirkt sich zwar nicht auf die Forschung und die Entdeckung der historischen Wahrheit aus, aber für den Prozess der Lustration, für den politischen Aspekt der Vergangenheitsbewältigung hat es natürlich schwerwiegende Folgen, dass wir die Archive der Staatssicherheit erst so spät übernehmen konnten."
Jeder polnische Bürger hat seit einem Spruch des Verfassungsgerichts von 2005 das Recht auf Akteneinsicht. 100.000 haben inzwischen davon Gebrauch gemacht, und das Interesse wächst. In den Akten sind die Namen der Täter geschwärzt, Opfer der Verfolgung - in Polen sind es etwa 25.000 - können aber verlangen, dass man sie ihnen offenbart, und es gibt einige Organisationen, die es als ihre Pflicht ansehen, sie auch zu veröffentlichen. Dass dies manche Widerstände hervorgerufen hat, ist wenig verwunderlich. Die Entlarvten reagieren auch in Polen nach dem aus Deutschland bekannten Muster.
Kurtyka: "Zuerst leugnen sie, dann, wenn die Dokumente gezeigt werden, beginnen sie einen Teil der Vorwürfe zuzugeben, erst wenn auch das nicht mehr geht, gestehen sie."
Manche Debatten in Polen heute erinnerten sie stark an die Anfänge ihrer Behörde vor jetzt 15. Jahren, sagt Marianne Birthler. Für die Zusammenarbeit beider Einrichtungen eröffnet sich jedenfalls ein weites Feld: Vor einem Jahr schlossen sie eine Vereinbarung über diese Kooperation. Schwerpunkte sind gemeinsame Forschungsprojekte, die Zusammenarbeit im Bereich der Archive, wie z. B. der Transfer von Know-how zum Schutz von Archivalien, sowie wissenschaftliche Veranstaltungen.
Es ist das erste Abkommen, das die Birthler-Behörde mit einer vergleichbaren Einrichtung im Ausland geschlossen hat. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der deutsch-polnischen Lehrerfortbildung, ein Projekt, das schon 2003 auf den Weg gebracht wurde.
Die Birthler-Behörde und das Institut des Nationalen Gedenkens sind die größten Institutionen dieser Art in Europa. Der polnische Institutsleiter Kurtyka sieht sie als Modell für die gesamte Region. Marianne Birthler spricht zwar nicht von einem Modell, aber sie sieht eine spezielle Verantwortung für Bürger und Institutionen, die andernorts unter Schwierigkeiten Ähnliches versuchen.
Birthler: "In Ländern zum Beispiel wie Rumänien oder Bulgarien oder weiteren möglichen Beitrittsländern schaut man mit großem Interesse auf das, was wir tun, denn die Leute, die dort für die Aufarbeitung eintreten, haben häufig starke Gegner, und dann ist der Verweis auf Polen und Deutschland vielleicht sehr nützlich indem man sagt, wenn die das machen, dann ist das auch für uns sinnvoll."
Marianne Birthler blickt bei ihrer Arbeit über die unmittelbar betroffenen Länder Mittel- und Osteuropas hinaus in Richtung Westeuropa und auch hier erkennt sie eine Aufgabe, für die Deutschland und Polen dank ihrer Erfahrungen besondere Voraussetzungen mitbringen.
Birthler: "Wir haben auch so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung in Richtung Westeuropa. Westeuropäische Geschichte hat bisher meiner Ansicht nach nicht hinreichend zur Kenntnis genommen, dass kommunistische Geschichte ein wichtiger Teil europäischer Geschichte ist und dass das auch transportiert werden muss. Westeuropa muss akzeptieren oder sollte akzeptieren, dass die Geschichte der kommunistischen Länder ein wichtiger Bestandteil europäischer Geschichte ist und die Gesellschaften Mittel- und Osteuropas sich erst dann wirklich zugehörig fühlen werden, wenn die Geschichte des Kommunismus auch akzeptiert wird als wichtiger Teil europäischer Geschichte."
Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen möchte, dass die Schlussstrichmentalität keine Chance mehr hat, und zwar nicht nur in Deutschland. Sie setzt ihre große Hoffnung darauf, dass es eines Tages in Europa gelingen möge, sich auf gemeinsame Standards für den Umgang mit überwundenen Diktaturen zu einigen.