In Passau passiert was
Passau hat viele Namen: Tor zum Osten, Bischofssitz, Dreiflüssestadt. Vor 30 Jahren kam ein neuer hinzu. Denn seitdem darf sich Passau auch als Universitätsstadt bezeichnen. Und mit den Studenten kamen neue Impulse in die Stadt, die einst als verschlafen und ein wenig rückständig galt.
Die Reise nach Passau beginnt in einem gut gefüllten Saal. Vorne auf der Bühne steht Sigi Zimmerschied.
"Kinderlärm erfüllt die Gassen, und aus den noch nicht betonierten Kellern strömt ein kühler, dumpfer Geruch, komponiert aus Kohlen, vergessenen Polstermöbeln, verbotenen Doktorspielen und Katzendreck. Und ich lass es rinnen, oh ja. Ihr sollt mich wenigstens riechen müssen, wenn ihr mir schon nicht zuhören wollt. Eure Nasen waren schon immer größer als euer Verstand."
Pinkeln gegen das Vergessen. Sigi Zimmerschied ist in Passau geboren und aufgewachsen. Hier setzt er seine Duftmarken, seit mehr als 30 Jahren schon. Seine Auftritte als Kabarettist haben ihm zwei Ermittlungsverfahren beschert – eines wegen Gotteslästerung, ein anderes wegen Verunglimpfung des Staates. Natürlich hat sich Zimmerschied über diese Anerkennung seiner Arbeit gefreut. Er ist nicht aus Passau weggezogen. Ihm gefällt es hier. Na ja, ein bisschen jedenfalls.
"Die geografische Lage, die Landschaft, diese Nähe zu Österreich, zu Tschechien, dieses kulturelle Dreieck, diese Einflüsse, die dann Niederbayern und Passau schon vehement unterscheiden von Oberbayern oder von anderen Landstrichen in Bayern, eher dis, ansonsten ist die Globalisierung an Passau nicht vorbeigegangen, der Schwachsinn ist flächendeckend und ähnelt sich immer mehr überall."
Wer mit der Bahn nach Passau reist, weiß, wovon Zimmerschied redet. Auf dem kurzen Weg vom Bahnhof in die barocke Altstadt läuft der Besucher vorbei an gesichtslosen Kaufhäusern. Und seit das städtebauliche Großprojekt "Neue Mitte" umgesetzt wurde, ist auch Passaus zentraler Platz endlich fest in der Hand der aseptischen Ästhetik gut bedufteter Shopping-Center. Dann möchte man am liebsten umdrehen und wieder zurück in den Zug springen. Und vielleicht wäre das gar keine so schlechte Idee, um den ersten Eindruck etwas zu korrigieren. Denn vom Zug aus wirkt Passau ziemlich traumhaft, erzählt Student Stefan Metzger.
"Ich bin einmal durchgefahren auf dem Weg nach Wien und ich kann mich noch erinnern, ich fand das toll wie der, also der Zug geht ja hier über den Inn, man sieht so den Inn fließen, und das hat mich erinnert an diese Dokumentation, die es auch gibt von Russland oder so, also ich fand schon, dass Passau auch so ein bisschen das Tor in den Osten ist also auch in meiner Vorstellung."
Tor zum Osten, Bischofssitz, Dreiflüssestadt – Passau hat viele Namen. Vor gut 30 Jahren ist noch ein neuer hinzugekommen. Schließlich darf sich Passau seit 1978 auch Universitätsstadt nennen.
Aber der Reihe nach. Wer nicht den Überblick verlieren will zwischen "Neuer Mitte" und altem Stadtkern, zwischen Bischofssitz und Uni-Campus, der steigt am besten auf den kleinen Berg im Zentrum der Stadt hinauf zu Markus Schröder. Dann ordnet sich alles wieder wie von selbst.
"Da drüben ist die Uni, das ist die Neue Mitte, vorne sehen Sie den Dom, also wir sind direkt zentral gelegen, und Passau ist gewachsen, das war eigentlich, wie’s gebaut worden sind, also 1905 war das grüne Wiese, war der Hügel, rundherum war nix, war eigentlich nur die Brauerei auf dem grünen Hügel, und Passau ist jetzt eben rundherum gewachsen."
Braumeister Markus Schröder schaut hinunter auf die Stadt. Unten wächst ständig das Neue, doch hier oben regiert noch die Tradition. Schon seit 1895 wird hier in den historischen Produktionshallen der Löwenbrauerei Bier gebraut. Wie das funktioniert, kann Schröder ziemlich routiniert abspulen.
"Und der erste Schritt der Bierherstellung ist dann das Maischen, also Mischen von Malzschrot mit Wasser, und der Vorgang dauert circa zwei bis zweieinhalb Stunden, was dabei passiert, ist Folgendes: Dass die natürlichen Enzyme, die natürlich im Korn, also im Gersten- oder im Weizenkorn, je nach Biersorte, vorkommen, die Stärke, die auch natürlich vorkommt, abbauen in Malzzucker, also es ist ein ganz natürlicher Prozess, es wird nichts hinzu gegeben."
Vier Brauereien gibt es in der Stadt. Das passt ins Bild eines verschlafenen Ortes, der seine niederbayrische Lebensart pflegt. Lange Jahre gab es drei große Akteure, die die Geschicke der Stadt maßgeblich mitbestimmten: Die katholische Kirche, die CSU und die Passauer Neue Presse. Längst war die Macht-Trias im Volksmund zur "Passauer Dreifaltigkeit" geworden.
Dann kam die Bildungsoffensive der 60er- und 70er-Jahre. In der ganzen Bundesrepublik wurden neue Hochschulen gegründet. Auch in Passau sollte der Studentenalltag 1978 Einzug halten. Hier gab es zwar noch keine Uni, aber immerhin eine Hochschule für katholische Theologie mit langer Tradition. Doch anfangs wollte kaum jemand in die niederbayrische Provinz, erinnert sich Uni-Rektor Walter Schweitzer.
"Damals wurden ja die Studierenden für die beiden wichtigen Fächer Wirtschaft und Recht durch die zentrale Vergabestelle für Studienplätze unter anderem nach Passau verschickt. Und man muss sagen: Ohne diese Einrichtung hätten wir uns hier sicher schwer getan, Studierende zu bekommen, weil wir einfach nicht bekannt gewesen wären, das heißt also, viele wurden hierher geschickt, obwohl sie Passau vielleicht als fünfte oder sechste Priorität oder gar nicht angegeben hatten."
Auch mit der geografischen Verortung ihrer neuen Uni-Stadt hatten manche Studenten durchaus Schwierigkeiten.
"Da gab es also damals diese wunderbare Geschichte, dass sich vereinzelt Studierende bei der ZVS beschwert haben, dass sie doch sich gewünscht hätten, an einer deutschen Uni zu studieren und nicht an einer österreichischen, also die haben alle gemeint, Passau würde in Österreich liegen, war also damals nicht bekannt."
So wurde die Uni-Gründung zum Treffen zweier Unbekannter, die sich misstrauisch beäugten: Denn nicht nur die Studenten konnten mit Niederbayern oft wenig anfangen – auch die Passauer waren nicht ausnahmslos glücklich über den Zuzug der neuen Mitbürger.
"Die Studentenunruhen waren durch Fernsehen und Zeitungsberichte natürlich auch hier bekannt und man hat natürlich schon auch Befürchtungen gehabt, also damals war nicht überall die uneingeschränkte Zustimmung, aber man muss sagen: Die offiziellen Kulturträger, die Offiziellen aus der Stadt, die standen von Anfang an hinter der Gründung dieser Universität, die haben gesehen, welche Chance so eine Institution der Region bietet."
Das bestätigt Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper nur zu gerne. Für den SPD-Mann ist die Hochschule auch ein Stück nachhaltige Regionalentwicklung.
"Die Uni ist natürlich für uns ganz ein entscheidender Schritt gewesen: Früher musste jeder, der Ambitionen auf ein Studium hatte, von Passau weg und heutzutage ist es ein ganz exzellentes Angebot, um seine Qualifikation hier vor Ort zu machen und die jungen Leute können länger dableiben, vielleicht sogar auf Dauer da bleiben bei uns."
Dabei ist die Hochschule längst mehr als eine Regionaluniversität. Nur 17 Prozent der Studenten kommen heute aus Passau und Umgebung. Geplant war das nicht – schließlich sollte die Uni ursprünglich vor allem die Ausbildung niederbayrischer Lehramtsstudenten sichern. Doch die Wirklichkeit hatte die Planung schnell überholt: Ende der 70er-Jahre war die Lehrerknappheit längst Geschichte – und die Uni-Leitung reagierte prompt: Statt Lehramtsstudien wurden Wirtschaft und Jura als akademische Hauptpfeiler der Uni etabliert – Studienzweige, die den zukünftigen Absolventen auch ökonomischen Erfolg versprachen.
Für Kabarettist Sigi Zimmerschied greift diese Erklärung allerdings etwas zu kurz.
"Man hat sich damals für Fakultäten entschieden, die zumindest so ausgewählt waren, dass die Konfliktstoffe sehr gering waren, … man hat halt BWL / Jura, diese ganze angepasste Studentenschaft hergeholt, und die haben diese Stadt natürlich schon geprägt im Sinne einer Entpolitisierung und einer zeitgeistig-schicken Langeweile."
Natürlich: Ein Hort sozialrevolutionärer Umtriebe ist die Uni Passau nie gewesen. Nicht wenige sehen die Hochschule gar als Eliteschmiede, die zukünftige Führungskräfte für Politik, Wirtschaft und Verwaltung ausbildet. Tatsächlich schwärmen viele Studenten von der familiären Atmosphäre auf dem Campus, dem einfachen Kontakt zu den Professoren und den gut ausgestatteten Bibliotheken. Doch die Studienbedingungen waren auch schon mal anders, erinnert sich Hans Langmaier, der im Herbst 1987 zum Studieren nach Passau kam.
"Man hat dann festgestellt mit Studienbeginn, die Leute sitzen nach mittelalterlicher Sitte dem Professor zu Füßen, also die Hörsäle damals waren massiv überfüllt und es war halt doch nicht so unbedingt das Einfachste vom Drumherum her."
Weil die Studentenzahlen stark angestiegen waren, musste bei der Lehre improvisiert werden: Per Video wurden Vorlesungen in mehrere Hörsäle übertragen – in den 80ern, zu Beginn des multimedialen Zeitalters, durchaus kein einfaches Unterfangen.
Auch der Wohnungsmarkt war wie leergefegt, Wohnraum für Studenten wurde knapp.
"Deshalb wurden alte Gebäude, das sogenannte Ghetto, das heute auf dem Uni-Gelände liegen würde, das waren heruntergekommene Wohngebäude, die eigentlich frei gemacht worden sind, um die Universität hier zu bauen, die wurden dann kurzzeitig für Studierende verwendet."
Das Ghetto machte seinem Namen alle Ehre: Schnell entwickelten sich die improvisierten Studentenwohnheime zur Heimstätte von Kulturveranstaltungen, die anderswo kaum einen Platz gefunden hätten.
Doch bald schon nahm das Eldorado ein jähes Ende. Die Uni wollte weiterbauen, statt des Ghettos war ein neuer Sportplatz vorgesehen. Hans Langmaier hat bis zum Schluss ausgeharrt. Am Ende musste aber auch er die Segel streichen.
"Man hat natürlich erst einmal ein bisschen mit dem juristischen Hammer gedroht, einer Räumungsklage und was für Unkosten auf einen Studenten zukommen könnten und hin und her, das hat natürlich schon manche Leute ein bisschen abgeschreckt. Es ging dann in der Endphase dann dahin, dass ich kein Wasser mehr bekommen habe, dass ab Februar 95 bei Minus 20 Grad kein Öl mehr geliefert wurde trotz Warmmiete, also das war richtig Abenteuer pur."
Ein Hauch von Rebellion muss damals durch Passau geweht haben, auch wenn es nur ein laues Lüftchen war. Doch das Ghetto ist Geschichte, der Vorfall längst vergessen.
"Es ist ja überhaupt so: Das Erstaunliche an einer Universität, ich sage das oft: Die Universität ist eine Institution ohne Gedächtnis. Man muss sich klar drüber sein – der Name unseres früheren Präsidenten, obwohl er der erste war und ich glaube 23 Jahre Präsident war, der ist den jetzigen Studenten schon nicht mehr geläufig."
Die Uni als Ort ohne Gedächtnis. Statt die Vergangenheit zu beschwören, schaut man lieber auf die Herausforderungen der Zukunft.
Oben in der Löwenbrauerei kann Markus Schröder mit Geschichtsvergessenheit nur wenig anfangen. Seit 1516, erzählt der Passauer Braumeister, gelte in Deutschland das Reinheitsgebot. Das heißt: Ins Bier kommen Malz, Wasser und Hopfen. Mehr nicht. So einfach ist das.
"Sind wir jetzt im Gärkeller … es wird mit Hefe versetzt … und dann wird das Bier geschlaucht und gelangt in den Lagerkeller. Und im Lagerkeller vergärt dann der letzte Rest, da haben wir tiefere Temperaturen, dann sind wir bei maximal ein Grad, und die Schlauchgärung dauert dann noch mal vier Wochen, das ist die Reifung und die Nachgärung, dann nach vier Wochen ist das Bier dann fertig, es geht bei weitem schneller, aber wir gehen den traditionellen Weg und geben dem Bier auch noch ein bisschen Zeit."
Die Entdeckung der Langsamkeit. Das ist eine Tugend, die im heutigen Hochschulbetrieb seltsam anachronistisch klingt. Vorgesehen ist sie jedenfalls nicht, auch nicht an der Uni Passau. Wer sich hier einschreibt, dem verheißt die Uni ein schnelles, Ziel orientiertes und internationales Studium.
Damit ist die Hochschule ganz nah am Puls der Zeit: Schon in den Anfangsjahren hat sie sich mit einer fachspezifischen Fremdsprachenausbildung profiliert. Als interdisziplinäres Studieren für die meisten noch ein Fremdwort war, hat die Uni den Kulturwirt eingeführt - einen Studiengang, der Sprachen, Wirtschaft und Geisteswissenschaften miteinander verbindet. Heute gilt er als Aushängeschild der Uni. Er sorgt dafür, dass die Atmosphäre an der Hochschule alles andere ist als niederbayrisch.
Zum Beispiel beim Brasilientag des Lehrstuhls für Romanistik. Einen Tag lang wird das südamerikanische Land den Studenten vorgestellt – mit Vorträgen, Theaterstücken und natürlich mit Musik. So sollen die Studenten für das Land und einen Austausch mit einer brasilianischen Partner-Uni begeistert werden.
Doch für die meisten Kommilitonen sei der Gang ins Ausland ohnehin eine Selbstverständlichkeit, erzählt Jura-Studentin Maria Anneser.
"Wenn man sich hier unterhält auf dem Flur mit Leuten, ist es der Regelfall, dass die schon mindestens ein Jahr im Ausland irgendwo exotisches waren oder mindestens zwei Fremdsprachen sprechen, wir haben wahnsinnig viele Studenten aus dem Ausland, die hier sind und gerade dieses Internationale und das Angebot der Sprachen, das hat mich eigentlich angezogen, so wie die meisten Studenten, die hier studieren."
Maria Anneser ist eigentlich die perfekte Studentin. Sie hat ein Jahr lang in Spanien studiert, jetzt will sie nicht nur ihren deutschen Abschluss, sondern auch das spanische Diplom machen. Neben ihrem Studium engagiert sie sich politisch – in der Grünen Hochschulgruppe. In manchen Kreisen der Passauer Studentenschaft gilt das durchaus noch als subversiv.
"Wenn man hier rumläuft in der Uni, denkt man schon: Oh Gott, das sind lauter so eher elitäre Schnösel könnte man sagen, und man fühlt sich da als eher Linker ein bisschen eingeschränkt."
Dass in Passau Barbour-Jacken bei den Männern und weiße Perlenohrringe bei den Frauen nicht zur Ausnahme gehören, sondern zum Standard zählen – Maria Anneser nimmt es sportlich.
"Es ist ja auch nichts Schlimmes daran, wenn ich jetzt sage ich mal die einzige Linke in meiner Gruppe bin, von Freunden, von lauter Juristen, weil dafür habe ich jeden Tag diese Auseinandersetzungen, wenn ich das möchte, und das ist ja auch vielleicht ganz schön."
Josef Lugeder sieht das ganz ähnlich. Der Diplom-Theologe, der in der Katholischen Studentengemeinde mitarbeitet, sitzt ins seinem Büro, kneift die Augen zusammen und lächelt. Er freut sich über den neuen Meinungspluralismus, den die Studenten nach Passau mitgebracht haben.
"Und da kommen Leute her, die haben was zu sagen, die haben ein Profil, sie studieren hier in Passau und wollen das auch artikulieren. Und sie sagen: Wir leben hier, wir sind nicht einfach bloß Durchlaufpersonen und nach drei Jahren sind wir eh wieder weg, sondern in der Zeit, wo sie hier sind, wollen sie auch mitgestalten, und das wird schneller registriert und auch dann ins politische Leben umgesetzt."
Nicht bloß Durchlaufpersonen sein, sondern das politische Leben der Stadt auch mitgestalten: Es gibt auch in Passau Studenten, die das wollen. Und trotzdem sind sich die Niederbayern und ihre Studenten in all den Jahren immer etwas fremd geblieben. Auswärtigen galt es als Zeichen Passauer Provinzialität, dass jahrelang eine Bürgerinitiative gegen studentischen Lärm ankämpfte. Und bei Abschlussfeiern an der Uni wird gerne die Anekdote kolportiert, dass nicht das Auslandsstudium in Russland, Brasilien oder China die Studenten vor die größten interkulturellen Herausforderungen gestellt hat, sondern der Umgang mit den Einheimischen in Passau. Natürlich ist die Anekdote als Witz gemeint. Ganz falsch ist sie trotzdem nicht.
Oberbürgermeister Jürgen Dupper sieht das Zusammenleben eher pragmatisch.
"Der Austausch ist so gut, wie sich jeder darauf einlässt. Ich denke, dass es hier sehr gute Verflechtungsbereiche gibt im ganzen Verein- und Gesellschaftsleben, da kenne ich sehr viele positive Beispiele, es gibt aber eben auch die ganz legitime Art und Weise, Passau als einen Studienort zu betrachten und danach war es das wieder, da finde ich nichts Schlechtes dran."
Dabei ist das Nebeneinander von Uni und Stadt durchaus kein neues Phänomen. Schon vor 500 Jahren gehörte ein großer Teil des heutigen Unigeländes nicht zum damaligen Hochstift Passau, sondern zu Bayern – und dort dachte man nicht daran, die Gewinne aus dem damals florierenden Salzhandel mit Passau zu teilen, erzählt Volkskundlerin Petra Gruber.
"Wo jetzt die Uni liegt mit dem Nikolakloster, war zum Beispiel schon die bayrische Grenze, also Nikola gehörte nicht zu Passau, sondern zu Bayern. Das war ein Standortvorteil, der im 16. Jahrhundert ganz entscheidend wurde, und zwar sicherte sich Maximilian das Salz von Hallein. Er verschiffte das Salz wieder über den Inn bis an das Nikolakloster, ließ es dort ausladen und über Land, was alles zum Nikolakloster gehörte, an die Donau transportieren. Das heißt, er hat Passau außen vor gelassen."
Den Trick kann man sich nun sparen. Heute geht man einfach so getrennte Wege. Dabei seien die Studenten und die Einheimischen gar nicht so verschieden, meint Kabarettist Sigi Zimmerschied.
"Ich glaube, dass beide Gruppen etwas Verbindendes haben, nämlich das Inzestiöse, also sie interessieren sich zunächst einmal für sich selbst, und was dann von außen an Berührung heran kommt, das ist manchmal ärgerlich, das duldet man manchmal, und solange man davon profitiert, nimmt man’s hin. Der Passauer war noch nie ein großer Kulturgänger, den interessiert die regionale Kultur schon nicht besonders, und dann irgendwie asiatischer Ausdruckstanz oder spanische Stierkampfrituale, das juckt ihn nicht – und einen Studenten juckt nicht, was diese Stadt ausmacht, was diese Geschichte der Stadt ausgemacht hat, die wollen halt eine zeitgeistige Unterhaltung, es berührt sich wenig, es ist auch ein Schmarrn."
Da steht man nun. Die Uni Passau feiert Geburtstag, vor 30 Jahren wurden hier die ersten Prüfungen geschrieben, Grund zum Feiern also. Man will das Hohelied auf den Wandel singen und die Passauer Dreifaltigkeit – bestehend aus Kirche, CSU und Passauer Neue Presse – endlich zu Grabe tragen. Und dann fährt einem wieder Sigi Zimmerschied in die Parade, der von all dem Liberalitätsgesäusel gar nichts hören will. Dreifaltigkeit bleibt Dreifaltigkeit, meint Zimmerschied – auch wenn sie die Kleider wechselt.
"Viele dieser ehemaligen eindeutigen Machtinstitutionen haben sich natürlich nur geteilt, haben sich verlagert, so ist der Einfluss der Passauer Neuen Presse natürlich nicht mehr dieser alles verhindernde wie früher, nur diese Form von Energie hat sich halt dann nach außen verlagert, sie haben dann Zeitungen aufgekauft, bis in die Ukraine – man hat sich in Passau einen bisschen moderateren, Uni-gemäßeren Anstrich gegeben, aber die Lust an der Macht, und die Ambition, die Macht nicht zu verlieren, die tobt sich dann halt woanders aus. Also es hat sich mental wenig geändert, an der Oberfläche einiges."
"Eine säkulare Uni in einer katholischen Provinzstadt,
internationales Flair und niederbayrische Lebensart,
enges Zusammenleben und gegenseitiges Desinteresse
– die Wahrheit ist nicht leicht zu finden in Passau."
"Kinderlärm erfüllt die Gassen, und aus den noch nicht betonierten Kellern strömt ein kühler, dumpfer Geruch, komponiert aus Kohlen, vergessenen Polstermöbeln, verbotenen Doktorspielen und Katzendreck. Und ich lass es rinnen, oh ja. Ihr sollt mich wenigstens riechen müssen, wenn ihr mir schon nicht zuhören wollt. Eure Nasen waren schon immer größer als euer Verstand."
Pinkeln gegen das Vergessen. Sigi Zimmerschied ist in Passau geboren und aufgewachsen. Hier setzt er seine Duftmarken, seit mehr als 30 Jahren schon. Seine Auftritte als Kabarettist haben ihm zwei Ermittlungsverfahren beschert – eines wegen Gotteslästerung, ein anderes wegen Verunglimpfung des Staates. Natürlich hat sich Zimmerschied über diese Anerkennung seiner Arbeit gefreut. Er ist nicht aus Passau weggezogen. Ihm gefällt es hier. Na ja, ein bisschen jedenfalls.
"Die geografische Lage, die Landschaft, diese Nähe zu Österreich, zu Tschechien, dieses kulturelle Dreieck, diese Einflüsse, die dann Niederbayern und Passau schon vehement unterscheiden von Oberbayern oder von anderen Landstrichen in Bayern, eher dis, ansonsten ist die Globalisierung an Passau nicht vorbeigegangen, der Schwachsinn ist flächendeckend und ähnelt sich immer mehr überall."
Wer mit der Bahn nach Passau reist, weiß, wovon Zimmerschied redet. Auf dem kurzen Weg vom Bahnhof in die barocke Altstadt läuft der Besucher vorbei an gesichtslosen Kaufhäusern. Und seit das städtebauliche Großprojekt "Neue Mitte" umgesetzt wurde, ist auch Passaus zentraler Platz endlich fest in der Hand der aseptischen Ästhetik gut bedufteter Shopping-Center. Dann möchte man am liebsten umdrehen und wieder zurück in den Zug springen. Und vielleicht wäre das gar keine so schlechte Idee, um den ersten Eindruck etwas zu korrigieren. Denn vom Zug aus wirkt Passau ziemlich traumhaft, erzählt Student Stefan Metzger.
"Ich bin einmal durchgefahren auf dem Weg nach Wien und ich kann mich noch erinnern, ich fand das toll wie der, also der Zug geht ja hier über den Inn, man sieht so den Inn fließen, und das hat mich erinnert an diese Dokumentation, die es auch gibt von Russland oder so, also ich fand schon, dass Passau auch so ein bisschen das Tor in den Osten ist also auch in meiner Vorstellung."
Tor zum Osten, Bischofssitz, Dreiflüssestadt – Passau hat viele Namen. Vor gut 30 Jahren ist noch ein neuer hinzugekommen. Schließlich darf sich Passau seit 1978 auch Universitätsstadt nennen.
Aber der Reihe nach. Wer nicht den Überblick verlieren will zwischen "Neuer Mitte" und altem Stadtkern, zwischen Bischofssitz und Uni-Campus, der steigt am besten auf den kleinen Berg im Zentrum der Stadt hinauf zu Markus Schröder. Dann ordnet sich alles wieder wie von selbst.
"Da drüben ist die Uni, das ist die Neue Mitte, vorne sehen Sie den Dom, also wir sind direkt zentral gelegen, und Passau ist gewachsen, das war eigentlich, wie’s gebaut worden sind, also 1905 war das grüne Wiese, war der Hügel, rundherum war nix, war eigentlich nur die Brauerei auf dem grünen Hügel, und Passau ist jetzt eben rundherum gewachsen."
Braumeister Markus Schröder schaut hinunter auf die Stadt. Unten wächst ständig das Neue, doch hier oben regiert noch die Tradition. Schon seit 1895 wird hier in den historischen Produktionshallen der Löwenbrauerei Bier gebraut. Wie das funktioniert, kann Schröder ziemlich routiniert abspulen.
"Und der erste Schritt der Bierherstellung ist dann das Maischen, also Mischen von Malzschrot mit Wasser, und der Vorgang dauert circa zwei bis zweieinhalb Stunden, was dabei passiert, ist Folgendes: Dass die natürlichen Enzyme, die natürlich im Korn, also im Gersten- oder im Weizenkorn, je nach Biersorte, vorkommen, die Stärke, die auch natürlich vorkommt, abbauen in Malzzucker, also es ist ein ganz natürlicher Prozess, es wird nichts hinzu gegeben."
Vier Brauereien gibt es in der Stadt. Das passt ins Bild eines verschlafenen Ortes, der seine niederbayrische Lebensart pflegt. Lange Jahre gab es drei große Akteure, die die Geschicke der Stadt maßgeblich mitbestimmten: Die katholische Kirche, die CSU und die Passauer Neue Presse. Längst war die Macht-Trias im Volksmund zur "Passauer Dreifaltigkeit" geworden.
Dann kam die Bildungsoffensive der 60er- und 70er-Jahre. In der ganzen Bundesrepublik wurden neue Hochschulen gegründet. Auch in Passau sollte der Studentenalltag 1978 Einzug halten. Hier gab es zwar noch keine Uni, aber immerhin eine Hochschule für katholische Theologie mit langer Tradition. Doch anfangs wollte kaum jemand in die niederbayrische Provinz, erinnert sich Uni-Rektor Walter Schweitzer.
"Damals wurden ja die Studierenden für die beiden wichtigen Fächer Wirtschaft und Recht durch die zentrale Vergabestelle für Studienplätze unter anderem nach Passau verschickt. Und man muss sagen: Ohne diese Einrichtung hätten wir uns hier sicher schwer getan, Studierende zu bekommen, weil wir einfach nicht bekannt gewesen wären, das heißt also, viele wurden hierher geschickt, obwohl sie Passau vielleicht als fünfte oder sechste Priorität oder gar nicht angegeben hatten."
Auch mit der geografischen Verortung ihrer neuen Uni-Stadt hatten manche Studenten durchaus Schwierigkeiten.
"Da gab es also damals diese wunderbare Geschichte, dass sich vereinzelt Studierende bei der ZVS beschwert haben, dass sie doch sich gewünscht hätten, an einer deutschen Uni zu studieren und nicht an einer österreichischen, also die haben alle gemeint, Passau würde in Österreich liegen, war also damals nicht bekannt."
So wurde die Uni-Gründung zum Treffen zweier Unbekannter, die sich misstrauisch beäugten: Denn nicht nur die Studenten konnten mit Niederbayern oft wenig anfangen – auch die Passauer waren nicht ausnahmslos glücklich über den Zuzug der neuen Mitbürger.
"Die Studentenunruhen waren durch Fernsehen und Zeitungsberichte natürlich auch hier bekannt und man hat natürlich schon auch Befürchtungen gehabt, also damals war nicht überall die uneingeschränkte Zustimmung, aber man muss sagen: Die offiziellen Kulturträger, die Offiziellen aus der Stadt, die standen von Anfang an hinter der Gründung dieser Universität, die haben gesehen, welche Chance so eine Institution der Region bietet."
Das bestätigt Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper nur zu gerne. Für den SPD-Mann ist die Hochschule auch ein Stück nachhaltige Regionalentwicklung.
"Die Uni ist natürlich für uns ganz ein entscheidender Schritt gewesen: Früher musste jeder, der Ambitionen auf ein Studium hatte, von Passau weg und heutzutage ist es ein ganz exzellentes Angebot, um seine Qualifikation hier vor Ort zu machen und die jungen Leute können länger dableiben, vielleicht sogar auf Dauer da bleiben bei uns."
Dabei ist die Hochschule längst mehr als eine Regionaluniversität. Nur 17 Prozent der Studenten kommen heute aus Passau und Umgebung. Geplant war das nicht – schließlich sollte die Uni ursprünglich vor allem die Ausbildung niederbayrischer Lehramtsstudenten sichern. Doch die Wirklichkeit hatte die Planung schnell überholt: Ende der 70er-Jahre war die Lehrerknappheit längst Geschichte – und die Uni-Leitung reagierte prompt: Statt Lehramtsstudien wurden Wirtschaft und Jura als akademische Hauptpfeiler der Uni etabliert – Studienzweige, die den zukünftigen Absolventen auch ökonomischen Erfolg versprachen.
Für Kabarettist Sigi Zimmerschied greift diese Erklärung allerdings etwas zu kurz.
"Man hat sich damals für Fakultäten entschieden, die zumindest so ausgewählt waren, dass die Konfliktstoffe sehr gering waren, … man hat halt BWL / Jura, diese ganze angepasste Studentenschaft hergeholt, und die haben diese Stadt natürlich schon geprägt im Sinne einer Entpolitisierung und einer zeitgeistig-schicken Langeweile."
Natürlich: Ein Hort sozialrevolutionärer Umtriebe ist die Uni Passau nie gewesen. Nicht wenige sehen die Hochschule gar als Eliteschmiede, die zukünftige Führungskräfte für Politik, Wirtschaft und Verwaltung ausbildet. Tatsächlich schwärmen viele Studenten von der familiären Atmosphäre auf dem Campus, dem einfachen Kontakt zu den Professoren und den gut ausgestatteten Bibliotheken. Doch die Studienbedingungen waren auch schon mal anders, erinnert sich Hans Langmaier, der im Herbst 1987 zum Studieren nach Passau kam.
"Man hat dann festgestellt mit Studienbeginn, die Leute sitzen nach mittelalterlicher Sitte dem Professor zu Füßen, also die Hörsäle damals waren massiv überfüllt und es war halt doch nicht so unbedingt das Einfachste vom Drumherum her."
Weil die Studentenzahlen stark angestiegen waren, musste bei der Lehre improvisiert werden: Per Video wurden Vorlesungen in mehrere Hörsäle übertragen – in den 80ern, zu Beginn des multimedialen Zeitalters, durchaus kein einfaches Unterfangen.
Auch der Wohnungsmarkt war wie leergefegt, Wohnraum für Studenten wurde knapp.
"Deshalb wurden alte Gebäude, das sogenannte Ghetto, das heute auf dem Uni-Gelände liegen würde, das waren heruntergekommene Wohngebäude, die eigentlich frei gemacht worden sind, um die Universität hier zu bauen, die wurden dann kurzzeitig für Studierende verwendet."
Das Ghetto machte seinem Namen alle Ehre: Schnell entwickelten sich die improvisierten Studentenwohnheime zur Heimstätte von Kulturveranstaltungen, die anderswo kaum einen Platz gefunden hätten.
Doch bald schon nahm das Eldorado ein jähes Ende. Die Uni wollte weiterbauen, statt des Ghettos war ein neuer Sportplatz vorgesehen. Hans Langmaier hat bis zum Schluss ausgeharrt. Am Ende musste aber auch er die Segel streichen.
"Man hat natürlich erst einmal ein bisschen mit dem juristischen Hammer gedroht, einer Räumungsklage und was für Unkosten auf einen Studenten zukommen könnten und hin und her, das hat natürlich schon manche Leute ein bisschen abgeschreckt. Es ging dann in der Endphase dann dahin, dass ich kein Wasser mehr bekommen habe, dass ab Februar 95 bei Minus 20 Grad kein Öl mehr geliefert wurde trotz Warmmiete, also das war richtig Abenteuer pur."
Ein Hauch von Rebellion muss damals durch Passau geweht haben, auch wenn es nur ein laues Lüftchen war. Doch das Ghetto ist Geschichte, der Vorfall längst vergessen.
"Es ist ja überhaupt so: Das Erstaunliche an einer Universität, ich sage das oft: Die Universität ist eine Institution ohne Gedächtnis. Man muss sich klar drüber sein – der Name unseres früheren Präsidenten, obwohl er der erste war und ich glaube 23 Jahre Präsident war, der ist den jetzigen Studenten schon nicht mehr geläufig."
Die Uni als Ort ohne Gedächtnis. Statt die Vergangenheit zu beschwören, schaut man lieber auf die Herausforderungen der Zukunft.
Oben in der Löwenbrauerei kann Markus Schröder mit Geschichtsvergessenheit nur wenig anfangen. Seit 1516, erzählt der Passauer Braumeister, gelte in Deutschland das Reinheitsgebot. Das heißt: Ins Bier kommen Malz, Wasser und Hopfen. Mehr nicht. So einfach ist das.
"Sind wir jetzt im Gärkeller … es wird mit Hefe versetzt … und dann wird das Bier geschlaucht und gelangt in den Lagerkeller. Und im Lagerkeller vergärt dann der letzte Rest, da haben wir tiefere Temperaturen, dann sind wir bei maximal ein Grad, und die Schlauchgärung dauert dann noch mal vier Wochen, das ist die Reifung und die Nachgärung, dann nach vier Wochen ist das Bier dann fertig, es geht bei weitem schneller, aber wir gehen den traditionellen Weg und geben dem Bier auch noch ein bisschen Zeit."
Die Entdeckung der Langsamkeit. Das ist eine Tugend, die im heutigen Hochschulbetrieb seltsam anachronistisch klingt. Vorgesehen ist sie jedenfalls nicht, auch nicht an der Uni Passau. Wer sich hier einschreibt, dem verheißt die Uni ein schnelles, Ziel orientiertes und internationales Studium.
Damit ist die Hochschule ganz nah am Puls der Zeit: Schon in den Anfangsjahren hat sie sich mit einer fachspezifischen Fremdsprachenausbildung profiliert. Als interdisziplinäres Studieren für die meisten noch ein Fremdwort war, hat die Uni den Kulturwirt eingeführt - einen Studiengang, der Sprachen, Wirtschaft und Geisteswissenschaften miteinander verbindet. Heute gilt er als Aushängeschild der Uni. Er sorgt dafür, dass die Atmosphäre an der Hochschule alles andere ist als niederbayrisch.
Zum Beispiel beim Brasilientag des Lehrstuhls für Romanistik. Einen Tag lang wird das südamerikanische Land den Studenten vorgestellt – mit Vorträgen, Theaterstücken und natürlich mit Musik. So sollen die Studenten für das Land und einen Austausch mit einer brasilianischen Partner-Uni begeistert werden.
Doch für die meisten Kommilitonen sei der Gang ins Ausland ohnehin eine Selbstverständlichkeit, erzählt Jura-Studentin Maria Anneser.
"Wenn man sich hier unterhält auf dem Flur mit Leuten, ist es der Regelfall, dass die schon mindestens ein Jahr im Ausland irgendwo exotisches waren oder mindestens zwei Fremdsprachen sprechen, wir haben wahnsinnig viele Studenten aus dem Ausland, die hier sind und gerade dieses Internationale und das Angebot der Sprachen, das hat mich eigentlich angezogen, so wie die meisten Studenten, die hier studieren."
Maria Anneser ist eigentlich die perfekte Studentin. Sie hat ein Jahr lang in Spanien studiert, jetzt will sie nicht nur ihren deutschen Abschluss, sondern auch das spanische Diplom machen. Neben ihrem Studium engagiert sie sich politisch – in der Grünen Hochschulgruppe. In manchen Kreisen der Passauer Studentenschaft gilt das durchaus noch als subversiv.
"Wenn man hier rumläuft in der Uni, denkt man schon: Oh Gott, das sind lauter so eher elitäre Schnösel könnte man sagen, und man fühlt sich da als eher Linker ein bisschen eingeschränkt."
Dass in Passau Barbour-Jacken bei den Männern und weiße Perlenohrringe bei den Frauen nicht zur Ausnahme gehören, sondern zum Standard zählen – Maria Anneser nimmt es sportlich.
"Es ist ja auch nichts Schlimmes daran, wenn ich jetzt sage ich mal die einzige Linke in meiner Gruppe bin, von Freunden, von lauter Juristen, weil dafür habe ich jeden Tag diese Auseinandersetzungen, wenn ich das möchte, und das ist ja auch vielleicht ganz schön."
Josef Lugeder sieht das ganz ähnlich. Der Diplom-Theologe, der in der Katholischen Studentengemeinde mitarbeitet, sitzt ins seinem Büro, kneift die Augen zusammen und lächelt. Er freut sich über den neuen Meinungspluralismus, den die Studenten nach Passau mitgebracht haben.
"Und da kommen Leute her, die haben was zu sagen, die haben ein Profil, sie studieren hier in Passau und wollen das auch artikulieren. Und sie sagen: Wir leben hier, wir sind nicht einfach bloß Durchlaufpersonen und nach drei Jahren sind wir eh wieder weg, sondern in der Zeit, wo sie hier sind, wollen sie auch mitgestalten, und das wird schneller registriert und auch dann ins politische Leben umgesetzt."
Nicht bloß Durchlaufpersonen sein, sondern das politische Leben der Stadt auch mitgestalten: Es gibt auch in Passau Studenten, die das wollen. Und trotzdem sind sich die Niederbayern und ihre Studenten in all den Jahren immer etwas fremd geblieben. Auswärtigen galt es als Zeichen Passauer Provinzialität, dass jahrelang eine Bürgerinitiative gegen studentischen Lärm ankämpfte. Und bei Abschlussfeiern an der Uni wird gerne die Anekdote kolportiert, dass nicht das Auslandsstudium in Russland, Brasilien oder China die Studenten vor die größten interkulturellen Herausforderungen gestellt hat, sondern der Umgang mit den Einheimischen in Passau. Natürlich ist die Anekdote als Witz gemeint. Ganz falsch ist sie trotzdem nicht.
Oberbürgermeister Jürgen Dupper sieht das Zusammenleben eher pragmatisch.
"Der Austausch ist so gut, wie sich jeder darauf einlässt. Ich denke, dass es hier sehr gute Verflechtungsbereiche gibt im ganzen Verein- und Gesellschaftsleben, da kenne ich sehr viele positive Beispiele, es gibt aber eben auch die ganz legitime Art und Weise, Passau als einen Studienort zu betrachten und danach war es das wieder, da finde ich nichts Schlechtes dran."
Dabei ist das Nebeneinander von Uni und Stadt durchaus kein neues Phänomen. Schon vor 500 Jahren gehörte ein großer Teil des heutigen Unigeländes nicht zum damaligen Hochstift Passau, sondern zu Bayern – und dort dachte man nicht daran, die Gewinne aus dem damals florierenden Salzhandel mit Passau zu teilen, erzählt Volkskundlerin Petra Gruber.
"Wo jetzt die Uni liegt mit dem Nikolakloster, war zum Beispiel schon die bayrische Grenze, also Nikola gehörte nicht zu Passau, sondern zu Bayern. Das war ein Standortvorteil, der im 16. Jahrhundert ganz entscheidend wurde, und zwar sicherte sich Maximilian das Salz von Hallein. Er verschiffte das Salz wieder über den Inn bis an das Nikolakloster, ließ es dort ausladen und über Land, was alles zum Nikolakloster gehörte, an die Donau transportieren. Das heißt, er hat Passau außen vor gelassen."
Den Trick kann man sich nun sparen. Heute geht man einfach so getrennte Wege. Dabei seien die Studenten und die Einheimischen gar nicht so verschieden, meint Kabarettist Sigi Zimmerschied.
"Ich glaube, dass beide Gruppen etwas Verbindendes haben, nämlich das Inzestiöse, also sie interessieren sich zunächst einmal für sich selbst, und was dann von außen an Berührung heran kommt, das ist manchmal ärgerlich, das duldet man manchmal, und solange man davon profitiert, nimmt man’s hin. Der Passauer war noch nie ein großer Kulturgänger, den interessiert die regionale Kultur schon nicht besonders, und dann irgendwie asiatischer Ausdruckstanz oder spanische Stierkampfrituale, das juckt ihn nicht – und einen Studenten juckt nicht, was diese Stadt ausmacht, was diese Geschichte der Stadt ausgemacht hat, die wollen halt eine zeitgeistige Unterhaltung, es berührt sich wenig, es ist auch ein Schmarrn."
Da steht man nun. Die Uni Passau feiert Geburtstag, vor 30 Jahren wurden hier die ersten Prüfungen geschrieben, Grund zum Feiern also. Man will das Hohelied auf den Wandel singen und die Passauer Dreifaltigkeit – bestehend aus Kirche, CSU und Passauer Neue Presse – endlich zu Grabe tragen. Und dann fährt einem wieder Sigi Zimmerschied in die Parade, der von all dem Liberalitätsgesäusel gar nichts hören will. Dreifaltigkeit bleibt Dreifaltigkeit, meint Zimmerschied – auch wenn sie die Kleider wechselt.
"Viele dieser ehemaligen eindeutigen Machtinstitutionen haben sich natürlich nur geteilt, haben sich verlagert, so ist der Einfluss der Passauer Neuen Presse natürlich nicht mehr dieser alles verhindernde wie früher, nur diese Form von Energie hat sich halt dann nach außen verlagert, sie haben dann Zeitungen aufgekauft, bis in die Ukraine – man hat sich in Passau einen bisschen moderateren, Uni-gemäßeren Anstrich gegeben, aber die Lust an der Macht, und die Ambition, die Macht nicht zu verlieren, die tobt sich dann halt woanders aus. Also es hat sich mental wenig geändert, an der Oberfläche einiges."
"Eine säkulare Uni in einer katholischen Provinzstadt,
internationales Flair und niederbayrische Lebensart,
enges Zusammenleben und gegenseitiges Desinteresse
– die Wahrheit ist nicht leicht zu finden in Passau."