"In mehreren Jahrhunderten entstandenes riesiges technologisches System"

Helmuth Albrecht im Gespräch mit Andreas Müller · 20.06.2011
Der Industriearchäologe Helmuth Albrecht von der Technischen Universität Bergakademie Freiberg will die über Jahrhunderte entstandene Montanregion Erzgebirge in herausragenden Einzelbeispielen für die künftigen Generationen und für die Menschheit insgesamt erhalten.
Andreas Müller: Der Boom des Bergbaus in Sachsen begann im 12. Jahrhundert. Dort wurde nicht nur Erz, sondern auch Silber abgebaut. Die Menschen kamen zu Tausenden, und aus dem ärmlichen südwestlichen Zipfel Sachsens wurde eine Region mit dreistelligen Wachstumsraten. Die 800-jährige Bergbautradition hat Landschaft und Kultur entscheidend geprägt, und jetzt gibt es sogar ein neues Berggeschrei, wie es so schön heißt, denn man hat in der Region seltene Erden entdeckt, die sind wichtig für die Herstellung von Elektroprodukten.

Professor Helmuth Albrecht von der Technischen Universität Bergakademie Freiberg sieht darin eine großartige Chance: Er will Wirtschaftsförderung und Denkmalpflege gleichermaßen zu einem gemeinsamen Zukunftskonzept für die Region zusammenführen. Zunächst aber sollen die Zeugnisse des Bergbaus im Erzgebirge zum Weltkulturerbe erklärt werden. Schönen guten Tag, Herr Albrecht!

Helmuth Albrecht: Ja, schönen guten Tag!

Müller: Gehen wir vielleicht zunächst mal ein paar Jahrhunderte zurück: Wie kam es im 11. Jahrhundert zum Boom des Bergbaus im Erzgebirge?

Albrecht: Ja, 1168 hat man auf der damaligen Christiansdorfer Flur – das ist der Ort, wo heute Freiberg sich befindet – Silbererz entdeckt. Und zwar der Legende nach waren es Hallenser Kaufleute, Fuhrleute, die Salz nach Böhmen gebracht haben.

Damals war die Gegend des Erzgebirges urwaldartig, und nur wenige Straßen oder Wege führten von Deutschland rüber ins Böhmische, und im böhmischen Bereich gab es kein Salz zur Konservierung von Lebensmitteln und als Gewürz. Und da hat man aus Halle das Salz übers Erzgebirge transportiert, und diese Hallenser Kaufleute haben angeblich, so die Legende, dieses silberne, schimmernde Erz entdeckt, haben es zu Hause prüfen lassen, und man hat entdeckt, dass sehr hohe Silbergehalte drin sind. Und das hat diesen Boom ausgelöst.

Müller: Wie muss man sich das vorstellen: War das so etwas wie ein Goldrausch, um mal ein anderes Edelmetall zu nennen? So was kennen wir ja aus Alaska und Kalifornien des 19. Jahrhunderts.

Albrecht: Ja, ich glaube, es ist genau vergleichbar. Damals hat sich der Ruf dieses Silberfundes – Silber ist ja Münzmetall in der Zeit gewesen, bedeutete Reichtum – sehr schnell verbreitet, und dann sind Leute aus allen Gegenden Deutschlands ins Erzgebirge geströmt, insbesondere aus dem Goslarer Raum vermutlicherweise, wo der Bergbau ja schon älter ist.

Und da kommt dann auch die Bezeichnung Sächsstadt, das ist heute noch ein Stadtteil von Freiberg, denn damals hieß die Gegend, wo Freiberg heute liegt, ja nicht Sachsen, sondern das war die Markgrafschaft Meißen. Und die Leute sind sozusagen aus dem sächsischen Raum nördlich im Harz in die Region gekommen und haben dort nach Erz schürfen können. Und das hat innerhalb von wenigen Jahrzehnten dazu geführt, dass aus dem kleinen Bauernsiedlungsdorf die größte Stadt Sachsens geworden ist.

Müller: Eine arme Region wurde sehr schnell reich, es entstand eine große Stadt, haben Sie schon genannt. Welche Konsequenzen gab es noch?

Albrecht: Ja, im Laufe der Jahrhunderte ist der Bergbau natürlich immer weiter fortgeschritten. Es hat begonnen im Freiberger Raum, also im niederen Teil des Erzgebirges, das war der erste große Goldrausch. Dann ist man in größere Tiefen vorgedrungen, hat Probleme bekommen, Wasserhaltungsprobleme, das Wasser strömt zu. Dazu brauchte man Technologien, und diese kleinen Bergwerke der Anfangszeit, die konnten das nicht leisten, der Bergbau kam in seine erste Krise.

Im 15. und 16. Jahrhundert war man dann in der Lage, mithilfe von modernster Maschinentechnologie der damaligen Zeit mit Wasserkraft Wasser zu heben, aus den Bergwerken zu pumpen, die Maschinen anzutreiben, die Hüttenbetriebe damit in Gang zu halten. Und da ist ein zweiter Boom ausgebrochen, in diesem Zuge hat man im oberen Erzgebirge, dort, wo heute Marienberg, Annaberg, Schneeberg liegen, dann sehr reiche Silbervorkommen und andere Erzvorkommen entdeckt, und das hat dann diesen Boom ausgeweitet.

Im oberen Erzgebirge sind sehr viele Bergsiedlungen und Bergstädte gegründet worden, in weltweit einmaligem Umfang, und das hat die zweite große Bergbauphase des 15., 16. Jahrhunderts ausgelöst.

Müller: Wie veränderte sich die Landschaft, wie stark wurde sie verändert und beziehungsweise vielleicht auch zerstört durch diese Aktivitäten?

Albrecht: Ja, also zunächst mal ist natürlich die Abholzung der Wälder weiter vorangeschritten. Die hatten schon mit der bäuerlichen Siedlungstätigkeit begonnen, aber der Bergbau brauchte sehr viel Holz. Einerseits, um die Bergwerke auszubauen, andererseits aber, um das Silbererz zu verhütten, die Hüttenbetriebe haben in großen Mengen Holzbedarf gehabt. Also insofern hat sich die Vegetation erheblich verändert.

Dann, im Laufe der Jahrhunderte, mit dem fortschreitenden Bergbau und vor allen Dingen mit den immer größeren Dimensionen dann im Zeitalter der Industrialisierung hat sich natürlich auch die Landschaft verändert. Es hat dazu geführt, dass man in der Landschaft auch heute noch erkennen kann, wo die Bergwerke lagen, überall Halden, die markieren, wo die Erzgänge früher abgebaut worden sind. Hinzu kommt, dass da das ganze technologische System auf der Wasserkraft beruhte, dass man große Wasserkraftanlagen gebaut hat. Das heißt, man hat Kunstteiche angelegt, Gräben, die die Teiche miteinander verbunden haben, Tunnel gebaut, um dieses Wasser von den Bergen, wo man es gesammelt hat, zu den Bergwerken, zu den Hüttenanlagen zu transportieren.

Das sind riesige Wasserversorgungssysteme, die heute die Landschaft auch noch entscheidend prägen, die heute Naturschutzreservate sind, zu Freizeitzwecken als Badeteiche genutzt werden und – das Besondere daran ist – die heute noch der Trink- und Brauchwasserversorgung der Bevölkerung der Region dienen. Es ist ein seit dem 15. Jahrhundert in mehreren Jahrhunderten entstandenes riesiges technologisches System, das heute noch voll funktionsfähig ist.

Müller: Aus dem Ruhrgebiet kennen wir beeindruckende Industriedenkmäler aus der großen Zeit der Montanindustrie. Findet sich so etwas auch im Erzgebirge?

Albrecht: Also von der Größenordnung, von der Dimension ist das Industriezeitalter, was wir im Ruhrgebiet haben, 19., 20. Jahrhundert. Im Erzgebirge gibt es auch größere Anlagen, aber nur vereinzelt. Die Hüttenkomplexe, Muldenhütten zum Beispiel des 19. Jahrhunderts ist ein größerer Komplex, aber in der Regel handelt es sich um kleinere Anlagen, die über die ganze Region verstreut sind. Großanlagen hat im Prinzip erst der Uranbergbau des 20. Jahrhunderts hinterlassen, die aber inzwischen weitgehend durch den Sanierungsbergbau zurückgebaut sind.

Müller: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit Helmuth Albrecht von der Bergakademie Freiberg. Er kämpft dafür, dass die Bergbauregion im Erzgebirge zum Weltkulturerbe erklärt wird. 55 Objekte wurden ausgewählt, welche darunter sind besonders eindrucksvoll?

Albrecht: Ja, man muss vielleicht sagen, diese 55 Objekte sind sowohl auf deutscher wie auf tschechischer Seite, es ist ja ein grenzüberschreitendes Projekt. Auf deutscher Seite befinden sich etwa 34 bis 38, das ist noch nicht ganz genau geklärt, und auf der tschechischen Seite ungefähr 17 Objekte. Diese insgesamt bilden ein Netzwerk, und sie repräsentieren sozusagen die gesamte 800-jährige Geschichte vom Mittelalter – 12. Jahrhundert – bis zum 20. Jahrhundert, vom Silberbergbau über den Eisenbergbau, über Zinn, Kupfer und andere Erze bis hin zum Uranbergbau.

Besondere Anlagen sind natürlich in diesem Kontext die Bergstädte, die in dieser Zeit entstanden sind, die heute in ihren Stadtgrundrissen und mit ihren Gebäuden und Bauwerken auf einmalige Weise erhalten sind, dazu gehören natürlich die Montananlagen selbst, Bergwerke über und unter Tage, fantastisch erhaltene Untertagebaue, Maschinenanlangen, die dazugehören aus diesen verschiedenen Epochen, und natürlich aber auch die Landschaft und die Fauna und die Flora, die entscheidend durch diesen jahrhundertealten Bergbau geprägt worden sind.

Müller: Sind die Objekte alle in sehr gutem Zustand, oder muss man dort auch restaurativ tätig werden?

Albrecht: Die meisten Objekte befinden sich in einem ausgezeichneten Zustand. Nach der Wiedervereinigung ist ja hier im Osten Deutschlands sehr viel saniert worden, also da sind wir eigentlich sehr zufrieden. Es gibt einzelne Objekte, die durchaus in einem nicht so guten Zustand sich befinden, als Beispiel würde ich hier den Hüttenstandort Muldenhütten, der ein sehr alter ist, nennen, da muss sicherlich Sanierungsarbeit, Restaurierung geleistet werden. Aber im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass etwa 90 Prozent der Objekte, die bei uns in die Liste aufgenommen werden, in einem hervorragenden bis guten Zustand sich befinden.

Müller: Wie haben denn die Menschen in der Region auf Ihre Pläne reagiert? Es gibt ja manche, die den Dresden-Effekt fürchten, sprich, wenn man so ein großes Gebiet unter Weltkulturerbe-Schutz, wenn man so will, stellt, dann darf nichts Neues mehr gebaut werden, damit der historische Gesamteindruck erhalten bleiben soll. Sind diese Sorgen berechtigt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es ein, wie es so schön heißt, neues Berggeschrei gibt? Man hat ja diese wertvollen, seltenen Erden gefunden, die abgebaut werden könnten?

Albrecht: Also um es gleich festzuhalten, die Sorgen sind nicht berechtigt. Wir nehmen sie aber trotzdem sehr ernst, wir haben dazu ein spezielles Konzept entwickelt, wie wir sozusagen Wirtschafts- und Infrastrukturentwicklung und Denkmalschutz, wie Sie in Ihrer Einleitung schon gesagt haben, hier sozusagen miteinander harmonisieren. Wir wollen mit diesem Projekt einen Beitrag zur Entwicklung, weiteren Entwicklung der Region leisten, und es ist auch im Sinne des UNESCO-Welterbes eine sich weiterentwickelnde Kulturlandschaft.

Das heißt, hier soll Entwicklung nicht aufgehalten werden, sondern hier soll nur das, was bereits unter Denkmalschutz oder Landschaftsschutz oder Naturschutz steht, in herausragenden Einzelbeispielen für die künftigen Generationen und für die Menschheit insgesamt erhalten werden.

Müller: Nächstes Jahr wird dann entschieden, im Februar 2013 – nein, das ist in zwei Jahren, Entschuldigung! Wie ist denn das, als letzte Frage noch mal gestellt, vor Ort? Sind die Menschen vielleicht inzwischen auch ein bisschen begeistert von dieser ganzen Geschichte, oder wie hält sich das die Waage, die Begeisterung und Ablehnung?

Albrecht: Also die Bergbautradition wird im Erzgebirge ja sehr hoch gehalten, und wir stoßen hier auf breite Zustimmung und auch auf sehr viel Begeisterung. Kennzeichnen dafür ist, dass sich der Großteil der Kommunen, die von dem Projekt betroffen sind, und die beiden Landkreise Erzgebirge und Mittelsachsen entschlossen haben, dieses Projekt in Trägerschaft zu übernehmen. Wir gehen auch sehr viel an die Bevölkerung heran, für uns ist es ganz entscheidend, dass dieses sozusagen ein Graswurzelprojekt in dem Sinne ist, dass wir die Region mitnehmen, dass wir die Bevölkerung mitnehmen, dass wir die Politik der Region mitnehmen und sie in dieses Projekt einbinden. Und da ist die Zustimmung enorm.

Müller: Die Montanregion Erzgebirge soll Weltkulturerbe werden. Das war der Mann, der dafür kämpfte und kämpft, Helmuth Albrecht, Professor für Technikgeschichte und Industriearchäologie an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Vielen Dank!

Albrecht: Bitte sehr!
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