"In einem Jahr sind wir nicht mehr da"

Moderation: Jörg Degenhardt |
Der neue Leiter der UN-Verwaltung im Kosovo (UNMIK), Joachim Rücker, rechnet mit einer Lösung der Status-Frage des Kosovo bis Ende des Jahres. Die Grundlagen für eine funktionstüchtige Marktwirtschaft seien geschaffen worden.
Jörg Degenhardt: Wie soll sie aussehen, die Zukunft der südserbischen Provinz Kosovo - lange Zeit als Unruheregion apostrophiert? Die Gespräche darüber werden heute in Wien fortgesetzt. Pristina und Belgrad wollen dabei die Dezentralisierung der Provinz, den Schutz des religiösen und kulturellen Erbes sowie Minderheitenrechte besprechen. In der alles entscheidenden Frage sind die beteiligten Seiten aber weiter voneinander entfernt denn je. Pristina strebt die Unabhängigkeit des Kosovo an, Belgrad ist lediglich bereit, der Provinz eine weitgehende Autonomie einzuräumen. An der Spitze der zivilen UN-Verwaltung im Kosovo, kurz UNMIK, steht seit Anfang des Monats der frühere Sindelfinger Oberbürgermeister Joachim Rücker. Ihn begrüße ich jetzt in Pristina am Telefon. Herr Rücker, die Einsatzdauer hängt maßgeblich vom Verlauf der Gespräche in Wien ab. Auf welchen Zeitraum haben Sie sich denn eingestellt?

Joachim Rücker: Ja, ich habe mich persönlich auf den Zeitraum eingerichtet, der auch als die Ziellinie gilt für den Sondergesandten Marti Ahtisaari, der in Wien die Verhandlungen führt, nämlich dass wir hoffentlich bis Ende des Jahres eine Lösung der Statusfrage haben. Dann wird es sicherlich noch einige Monate Übergangszeit geben, aber ich denke, dass wir heute in einem Jahr in dieser Form als UNMIK nicht mehr da sind.

Degenhardt: Die Kosovo-Albaner fordern die vollständige Unabhängigkeit von Belgrad. Mit der Bereitschaft zu Kompromissen ist es da also nicht weit her. Sehen Sie so etwas wie einen goldenen Mittelweg?

Rücker: Nun, es gibt ganz klare Vorgabe der internationalen Gemeinschaft, der Kontaktgruppe. Das heißt vor allem: Es darf keine Teilung des Kosovo geben für die Zukunft, es darf keinen Anschluss an Nachbarländer geben und es darf auch kein Zurück geben zu der Zeit vor 1999. Andrerseits ist auch gesagt worden, dass der Wille der Mehrheit sich im Status wieder finden muss, und wenn man das alles zusammenzählt, dann kann man sich ausrechnen, wie der künftige Status sein wird, und ich denke, da muss man sich noch ein bisschen bewegen auf beiden Seiten, und dann eines Tages wird der Sicherheitsrat eine Entscheidung treffen.

Degenhardt: Wie wird denn der künftige Status sein, habe ich Sie richtig verstanden, also weitgehende Autonomie?

Rücker: Nein, ich spekuliere nicht über den künftigen Status, das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sind hier für die Zukunft zuständig. Natürlich auch dann für die Übergangszeit zu einer neuen Statuslösung. Aber ich sage eben: Sie können sich das ausrechnen, wie das aussieht, wenn man sich die Vorgaben vor Augen hält.

Degenhardt: Sie haben den Finnen Ahtisaari erwähnt, den UN-Sonderbeauftragten, der hat wiederholt den Serben als Volk die Schuld zugewiesen für die Lage im Kosovo. Sind solche Urteile nicht kontraproduktiv in der derzeitigen Phase?

Rücker: Also wenn Sie lesen, was er gesagt hat, dann hat er genau das nicht gesagt. Er hat überhaupt nicht von irgend so was wie einer Kollektivschuld gesprochen, sondern er hat von den historischen Lasten gesprochen, und das in einem Zusammenhang, der mir nicht anstößig erscheint.

Degenhardt: Um gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern, sind bekanntlich derzeit 16.500 Soldaten aus 35 Nationen im Kosovo stationiert. Wie stabil oder instabil erleben Sie denn gegenwärtig die innenpolitische Lage?

Rücker: Nun, wir haben eine relative Stabilität. Es gibt natürlich immer Risiken, darauf haben wir ein Auge, aber insgesamt funktioniert der demokratische Prozess, insgesamt haben wir auch die Grundlagen geschaffen zum Beispiel für eine funktionierende Marktwirtschaft. Also, wenn man sich jetzt die vergangenen sieben Jahre - seitdem die internationale Gemeinschaft hier aktiv ist - vor Augen hält, dann gibt es Fortschritt in Richtung auf eine Stabilisierung der Verhältnisse, und das hat ja auch letztes Jahr der Sondergesandte festgestellt, der damals dafür verantwortlich war, die Voraussetzungen zu prüfen, ob man denn überhaupt in die Statusverhandlungen eintreten kann.

Degenhardt: Sie sagen Herr Rücker, Sie haben die Grundlagen für eine Marktwirtschaft geschaffen. Würde die denn auch weiter bestehen können, wenn zum Beispiel die UN-Verwaltung ihre Koffer packte dann im nächsten Jahr?

Rücker: Ja, auf jeden Fall. Das ist natürlich wird es bestimmte Wachstumsverluste geben, wenn die internationale Gemeinschaft sich etwas weiter zurückzieht, aber das wird auch kompensiert oder möglicherweise überkompensiert in den nächsten Jahren - nach meiner Auffassung jedenfalls - durch dynamische Effekte.

Degenhardt: Deutschland stellt seit letzten Freitag mit Ihrer Person, Herr Rücker, nicht nur den UN-Verwalter, sondern auch den Kommandeur der internationalen Schutztruppe, der KFOR. Wird es eigentlich von den Menschen im Kosovo, von den Serben wie von den Kosovo-Albanern in irgendeiner Form registriert?

Rücker: Das wird schon registriert. Und allgemein empfindet man es nicht als hinderlich, dass der Kommandeur KFOR und der SRSG, der Sondergesandte hier aus demselben Land kommen. Aber es ist ein historischer Zufall. Es ist nicht ein Entwurf, der hier umgesetzt wird. Ich war ja der Kandidat von UN New York. Aber wir arbeiten bereits sehr eng zusammen.

Degenhardt: Was glauben Sie denn: Wie lange wird die Anwesenheit der KFOR noch erforderlich sein?

Rücker: Nun, die internationale Gemeinschaft hat klargemacht, dass es auch im neuen Status eine internationale zivile Präsenz - kleiner als UNMIK natürlich - aber auch eine internationale militärische Präsenz geben wird. Und es gibt dazu zwar noch keine Beschlüsse der NATO, aber man kann davon ausgehen, dass diese militärische Präsenz durchaus robust genug sein wird für einen bestimmten Zeitraum, um hier eventuelle Risiken abzufangen.

Degenhardt: Was meinen Sie mit Risiken, zum Beispiel auch die Frage, die ja noch gar nicht geklärt ist, um den künftigen Status einer Stadt wie Kosovska Mitrovica?

Rücker: Ja, Sie spielen jetzt darauf an, dass im Norden des Kosovo die Risiken vielleicht etwas größer gesehen werden als woanders. Es ist völlig klar - der Norden ist ein integraler Bestandteil von Kosovo, und darauf wird nicht nur die internationale Gemeinschaft Wert legen, wenn die Statusregelung dann beschlossen wird, sondern darauf legt übrigens auch Belgrad Wert und sagt: Jawohl, der Kosovo ist ein integrales Ganzes. Aber Mitrovica ist noch ein besonderer Fall. Ich denke, es wird sehr wichtig sein, dass Mitrovica-Süd und Mitrovica-Nord von einem überwellenden Schirm in irgendeiner Form zusammengehalten werden.