In Deutschland fehlen Militärseelsorger

Von Josefine Janert · 10.03.2012
Immer weniger junge Männer lassen sich zu Priestern weihen. Dieser Personalnotstand zeigt sich auch in der Bundeswehr, wo katholische und evangelische Geistliche als Militärpfarrer tätig sind. Es fehlt deutschlandweit an Männern, die dieses Amt ausüben wollen.
Freitagmorgen in der Clausewitz-Kaserne in Burg: In den Räumen der Militärseelsorger haben die Vorbereitungen für das Bibelfrühstück begonnen. Eine Mitarbeiterin deckt den Tisch mit Brötchen, Kaffee und vielem mehr. Die ersten Teilnehmer sind schon eingetroffen. Andreas Ginzel:

"Ja, komm Sie gerne noch mit dazu, hier vorne ist noch 'n Plätzchen frei."

Andreas Ginzel gestaltet das Bibelfrühstück im Wechsel mit seinem evangelischen Kollegen. Ginzel ist Jahrgang 1967. Er stammt aus Wolmirstedt, einem Ort in der Nähe. Zur Nationalen Volksarmee, der NVA, wollte er als Jugendlicher in der DDR nicht. Er wollte sich zu den Bausoldaten melden. So hießen die wenigen Wehrdienstverweigerer, oft Männer aus christlichem Elternhaus, die vom DDR-Staat argwöhnisch beobachtet wurden. Doch dann kam die Wende, und Andreas Ginzel wurde gar nicht erst zum Militärdienst eingezogen. Nach einem Theologiestudium wurde er 1993 zum Priester geweiht. Zehn Jahre später ernannte ihn der Bischof von Magdeburg zum Militärseelsorger. Andreas Ginzel:

"Ich wäre von mir aus nicht auf diese Idee gekommen, weil ich eben keine Berührung mit Militär wirklich hatte. Im Grunde genommen muss man sagen: So lange man nichts damit zu tun hat, ändert man ja auch seine Klischees nicht. Dieses Klischee halt von NVA als einer, na ja, doch auch ideologisch bestimmten Armee, die sicher auch für die Landesverteidigung da ist, aber anders funktioniert als Bundeswehr so."

Zur Bundeswehr hat Andreas Ginzel eine andere Haltung: Sie ist eine Armee in einem demokratischen Staat. Der Bischof entsandte ihn also nach Burg. Dort sind heute mehr als 1.300 Soldaten stationiert, darunter zwanzig Rekruten. Einige Soldaten waren schon im Kosovo und in Afghanistan eingesetzt. Mit ihnen über ihre Erfahrungen zu reden, gehört zu Ginzels Aufgaben als Seelsorger. Jeder Soldat kann sich an ihn wenden, auch wenn er nicht an Gott glaubt. Neben der Seelsorge organisiert Andreas Ginzel das Bibelfrühstück, Gottesdienste sowie Rüstzeiten für die Soldaten und ihre Familien. Im Auftrag der Bundeswehr gestaltet der Priester auch den sogenannten lebenskundlichen Unterricht.

"Das ist im Grunde genommen Ethikunterricht für Soldaten. Wir wollen den Soldaten helfen, mit dem, was sie halt im Dienst zu tun haben oder was sie da ansonsten erwartet, also auch irgendwo umzugehen. Dass man die Frage bedenkt: Was ist, wenn ich verwundet werde? Getötet werde?"

Vielen Soldaten fällt es schwer, sich dieser Frage zu stellen.

"Das ist gar nicht so selbstverständlich, dass da jemand kommt und Angst hat. Als Soldat kann man sich schlecht im Kameradenkreis mit so ner Aussage outen. Und darin genau seh ich meinen Job dann auch, bei dieser Vorbereitung deutlich zu machen, dass das ganz normal ist, dass ich Angst habe. Und dass auch wenn ich das vielleicht als Soldat es nicht will, dass aber auf jeden Fall die Ehefrau oder die Kinder oder die Mütter und Väter sich da ihre Sorgen machen. Und dass die Sorgen dann nicht davon weg sind, dass ich darüber nicht spreche und nicht rede, sondern, im Gegenteil, dass die sich entwickeln mit den Phantasien, die ich dann habe."

Diese ethische Begleitung ihrer Soldaten ist von der Bundeswehr ausdrücklich erwünscht, weshalb auch sie es ist, die die Militärseelsorger bezahlt – und nicht etwa die Kirchen. Dass es überhaupt Militärseelsorger gibt, führt zu manchen Diskussionen.

"Also, grundsätzlich, sag ich mal, ist das eine Frage, die mir ganz oft gestellt wird, auch von Rekruten, die hier anfangen bei der Bundeswehr und sich fragen, was macht Kirche eigentlich hier."

Bisweilen geht es in diesen Gesprächen auch um das fünfte Gebot aus dem Alten Testament: Du sollst nicht töten.

"Also grundsätzlich gilt dieses Gebot. Ich sag dann immer: Wenn sich alle daran hielten, dann müssten wir darüber auch nicht diskutieren. Die Frage ist: Wie begegnet man dieser tödlichen Gewalt? Und das ist halt so in unserer Kultur inzwischen die Regel, dass wir 'nen Staat haben, der das Gewaltmonopol für sich beansprucht, ja auch, um Gewalt möglichst zu minimieren. Das heißt, er braucht Menschen, die sich dieser Aufgabe stellen, ob bei Polizei oder bei einer Armee oder in welchen Bereichen auch immer. Diese Leute, die müssen dann eben sich konkret der Gewalt entgegenstellen. Und das heißt dann, im Extremfall, auch selber zu töten."

In der Wohnküche haben sich inzwischen zehn Männer und zwei Frauen eingefunden. Zum Bibelfrühstück kommen vor allem die höheren Offiziere, Männer um die Vierzig. An diesem Morgen geht es um einen Text aus dem Lukas-Evangelium: Maria und Josef bringen das Jesus-Kind nach Jerusalem, um es dem Herrn zu weihen. Dort lebt ein weiser und frommer Mann namens Simeon. Ein Teilnehmer liest:

"Jetzt wurde er vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern Jesus hereinbrachten, um zu erfüllen, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten: Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden."

Sofort entspinnt sich eine Diskussion. Ein Teilnehmer sagt:

"Der alte Mann ist einer, der ein erfülltes Leben hatte, denk ich einfach mal so, und einfach auf die Erfüllung wartet. Und erkennt, dass das die Erfüllung seines Lebens ist in dem Sinne oder die Erfüllung eines Traumes, was auch immer."

Viele Teilnehmer sind das Reden über die Bibel offenbar gewohnt. Es macht ihnen Spaß. Immer wieder werden Scherze gemacht. Ein 53-jähriger Hauptmann nimmt oft am Bibelfrühstück teil:

"Wir haben alle möglichen Sachen probiert, junge Leute hier mit an den Tisch zu holen oder auch an gemeinsamen Veranstaltungen teilnehmen zu lassen, mit wirklich viel Elan und Schwung und guten Ideen, aber – nicht so die Frucht."

Eine der wenigen jüngeren Teilnehmerinnen ist eine 26-jährige Offizierin auf Zeit. Die Frau aus Bernburg hat sich für zwölf Jahre zur Bundeswehr gemeldet. Die Hälfte der Zeit ist um. An den Diskussionen hat sich die Frau kaum beteiligt. Aber sie hat aufmerksam zugehört.

"Es bringt einem selber ja etwas. Man kann sich, glaube ich, besser mit dem Alltag auch identifizieren, wenn man sich auch dieser religiösen Seite n bisschen öffnet."

Nächstes Jahr werde sie voraussichtlich in Afghanistan eingesetzt. Andreas Ginzel war schon drei Mal dort. Er weiß, wie wichtig die seelsorgerische Betreuung der Soldaten im Ausland ist.

"Mein Eindruck ist, dass Militärseelsorge im Einsatz einfach so n Stückchen Heimat in der Fremde bietet. Und dann haben wir dort Leute, die auch einfach über dieses oder jenes einfach nur reden wollen oder die mal ausbrechen wollen aus dem normalen Dienstalltag, der ja dann sieben Tage, 24 Stunden andauert."

Das Bibelfrühstück ist vorbei. Es war Andreas Ginzels letztes in Burg. Der Bischof von Magdeburg hat ihn in eine Gemeinde in Bitterfeld versetzt. Dort beginnt er dieser Tage seinen Dienst. In Burg ist ein Nachfolger noch nicht in Sicht. Ginzels evangelischer Kollege wird zumindest einen Teil der Arbeit allein schaffen müssen. Überall in Deutschland fehlen Militärpfarrer. Dass sich immer weniger junge Männer zum Priester weihen lassen, hat auch hier seine Auswirkungen. Von den 90 Stellen für katholische Militärseelsorger sind zehn derzeit nicht besetzt. Etwas eingedämmt wird dieser Personalnotstand dadurch, dass einige Ämter von Pastoralreferenten ausgeübt werden. Das sind Männer mit abgeschlossenem Theologiestudium, die aber nicht zum Priester geweiht wurden. Andreas Ginzel bedauert den Personalnotstand:

"So 'ne Militärseelsorgestelle hat ihre ganz eigene Chancen, sag ich mal, an Leute auch ranzukommen, die von sich nicht als Erste den Weg in die Kirche finden würden."