In der Trauer nicht allein
Alter, Krankheit und vor allem der Tod werden in der heutigen Gesellschaft oft verdrängt. Hinterbliebene bleiben in ihrer Trauer allein. Verständnis und Hilfe finden sie am ehesten untereinander. Im Institut für Trauerarbeit in Hamburg treffen sie sich und werden von ausgebildetem Personal betreut.
"Mein Mann ist im Februar ganz plötzlich verstorben, an Herzversagen. Das kam wirklich aus heiterem Himmel. Ich bin völlig aus der Bahn geworfen worden, wusste im Moment überhaupt nicht, was ich tun sollte. Ich habe nur bemerkt: Ich brauche irgendwo Hilfe."
"Also mein Mann ist nach zweijähriger Krankheit - er hatte Krebs - gestorben. Man sitzt da mit seinen Gefühlen, kann die nicht mehr abgeben und, ja, es ist einfach unerträglich manchmal."
Verlust gehört zu den existenziellen Erfahrungen im Leben. Wenn ein nahestehender Menschen plötzlich fort ist, im schlimmsten Fall durch den Tod aus dem Leben gerissen - dem eigenen und dem des Zurückbleibenden - dann ist das ein Totalverlust, der sich auf allen Ebenen ausdrückt. Die Leidtragenden, wie diese beiden Witwen, haben keinen Halt mehr, nicht in sich selbst und auch nicht in der Außenwelt.
"Wenn man darüber sprechen will, dann wird abgeblockt oder es wird gesagt, du könntest ja das oder dies oder jenes tun, such dir eine Aufgabe. Dann hat man mir auch empfohlen, ich könnte mir ja einen Hund anschaffen."
"Je länger die Zeit vergangen war, umso mehr hieß es dann auch: Du bist noch jung, du lernst bestimmt noch mal wieder was kennen und das sind Sachen, die wollte ich eigentlich nicht hören. Ich wollte mit der Trauer fertig werden und nicht irgendwie einen neuen Partner suchen. Es gab Sachen wie: Du musst die neue Freunde suchen, dein ganzes Leben musst du neu gestalten - das war mir klar, vom ersten Tag des Todes an. Aber ich wollte es nicht hören, und ich wollte meinen Rhythmus alleine finden, wie das Leben weitergeht."
"Ich komme mir vor wie ein halber Mensch. Also, mein halbes Leben ist weg und jetzt muss ich mit diesem Rest ja irgendwo sehen, wie ich damit klarkomme, wie ich das wieder irgendwo zusammenfügen kann."
Mit dem geliebten Menschen verliert man auch ein Stück seiner selbst. Gleichzeitig schafft der Tod Distanz - zur Außenwelt, zu den anderen, auch zu den Freunden.
"Ich denke, dass kann auch ein Freundeskreis nicht immer leisten, weil diese tiefe Erfahrung des Todes, des Endes eines Lebens, das haben die nicht vorher gemacht. Ich habe selber nie so tiefe Emotionen und Gefühle empfunden, wie in diesen zwei Jahren Krankheit und dem Tod danach und in der Trauer. Und deswegen habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, wo ich hingehen kann und all diese Dinge so ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob ich meinen nächsten Angehörigen oder Freunden wehtue, aussprechen kann, und das habe ich halt dann gefunden in dieser Initiative für Trauerarbeit."
Das Hamburger Institut für Trauerarbeit entstand 1997 unter dem Dach der Evangelischen Akademie Nordelbien. Dort hatte sich seit den achtziger Jahren die Trauerarbeit zunächst mit trauernden Eltern entwickelt. Den Verein "Verwaiste Eltern" gibt es heute bundesweit in dreihundert Einzelinitiativen. Das Institut für Trauerarbeit begleitet als gemeinnütziger Verein ganz verschiedene Gruppen: trauernde Geschwister, Frauen und Männer nach Partnerverlust, Kinder und Erwachsene nach dem Tod der Eltern.
"Das Entscheidende für uns ist, dass wir keine Vorgaben machen und nicht sagen, so und so muss Trauer sein, sondern dass wir Hilfestellungen geben, den eigenen Weg zu finden."
Jutta Rust-Kensa, Erste Vorsitzende des Vereins.
"Da kann ich als Beispiel bringen, dass eine Mutter im Seminar war, die sehr unglücklich war - der Anlass war, dass ihre Tochter im Kindergarten bei einem Brand ums Leben gekommen war, und sie war das einzige Kind. Und die Mutter war sehr gequält dadurch, weil sie sich vorstellte, wie das ist, zu verbrennen, und sie dachte, dieser Schmerz muss unendlich sein. Und ihr tat das Kind so leid und sie wurde damit nicht fertig. Und dann habe ich sie aufgefordert, einen Dialog mit ihrer Tochter zu schreiben. Und dieser Dialog sieht so aus, dass sie mit der rechten Hand alles geschrieben hat, was sie ihre Tochter fragen will, und quasi die Tochter hat antworten lassen, und das hat sie mit der linken Hand geschrieben. Und sie hat diesen Dialog geschrieben und hat sehr viel dabei geweint und hat aber hinterher gesagt, das war sehr gut. Meine Tochter hat mir gesagt, dass es schrecklich war, und es war genauso schrecklich, wie ich es mir immer vorgestellt habe, aber jetzt geht es meiner Tochter gut. Und das hat die Mutter sehr erleichtert und viele Blockaden weggenommen. Und das ist so ein Beispiel, wie wir arbeiten: Dass wir nicht sagen, Sie müssen das machen, sondern wie man Zugang kriegt zu den eigenen inneren Bildern und Vorstellungen."
Für diese Vorgehensweise machen die Mitarbeiter des Instituts eine zweijährige Ausbildung, die ständig weiterentwickelt wird. Die elf Einheiten der Ausbildung werden von unterschiedlichen Referenten aus dem In- und Ausland vermittelt, die sich in der Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod und Trauer besonders qualifiziert haben. Weil das Institut regelmäßig an den internationalen Fachkongressen in London und Ontario in Kanada teilnimmt, fließen auch die Ergebnisse der internationalen Trauerforschung in die Ausbildung mit ein.
Auch Anja Wiese vom Verein "Verwaiste Eltern" und Jutta Rust-Kensa sind ausgebildete Trauerbegleiterinnen.
"Einmal finde ich wichtig, dass nicht wir die Experten sind, sondern wir erleben die trauernden Menschen als Experten, und dass wir sozusagen das nur 'rahmen' und dem Raum geben - das hat aber damit zu tun, dass wir lange, lange in der Trauerbegleitungs-Ausbildung an dieser Haltung dazu arbeiten: ganz offen zu sein, keine festen Wege und Bilder in uns zu haben, die wir dann projizieren auf Trauernde."
"In unserer Ausbildung versuchen wir, viele Fachleute zusammenzuholen, die Ideen einbringen, die anregend sind, die unterschiedliche Ausbildungen auch haben, ob es Theologen sind oder Schreibwerkstätten, die aber immer eins gemeinsam haben: da anzusetzen, wo ein Mensch ist und quasi der eigenen Seele Raum zu geben."
Die Schulung, die Ausbildung beinhaltet wirklich eine ganz tiefe Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, mit eigenen Verlustgeschichten, und ist eine persönlichkeitsbildende Ausbildung, so würde ich das mal nennen, damit man sich wirklich so in einen offenen und weiten Raum stellen kann, um die Trauernden zu begleiten.
Einen guten Umgang mit Trauer und Trauernden kann man auch von Kindern lernen, wie die beiden Frauen immer wieder beobachten.
"Kinder haben eine große Spontaneität und weniger Scheu. Scheu ist eigentlich erst da, wenn sie erwachsener werden oder merken, meine Umgebung erwartet von mir, dass ich mich zurücknehme. Kinder trauern, Kindern sind sehr bewegt, helfen sich gegenseitig, weinen, trösten sich. Aber Kinder sind auch gleichzeitig, danach, ganz spontan und fröhlich und spielen Fußball; oder die Jugendlichen brauchen eine Disco. Viele Eltern denken dann: Mein Kind trauert nicht. Aber das brauchen die einfach zur Spannungsabfuhr.
Das ist gerade in der Trauer sehr wichtig, dass man sich bewegen und ausgelassen sein darf. Und das ist etwas, das wir von den Kindern auch übernehmen und lernen können, nämlich die Scheu zu verlieren. Wir haben immer ganz enge Grenzen und sagen, das tut man nicht, das dürfen wir nicht, das macht man nicht, das ist nicht erlaubt und das ist auch etwas in unserer Haltung, nämlich uns die Erlaubnis zu geben, dass wir in Ordnung sind, wie wir sind. Ob wir weinen oder schreien oder verzweifelt oder wütend sind, das gehört zu uns, das gehört zum Menschsein, das gehört auch zur Trauer."
"Die Erfahrungen, die wir mit Kindern machen, die können uns nur ermutigen, unsere Offenheit ein Stück zurückzuerobern. Wir haben eine Kollegin, sie ist Erzieherin, die ihre beiden Kinder gemeinsam verloren hat durch ein ganz schreckliches Unglück. Die Kinder sind verschüttet worden und erstickt an der Ostsee, als sie eine Höhle gebaut haben aus Sand. Das war ein so schreckliches Geschehen, dass die Mutter erlebt hat, dass niemand sich traute, sie darauf anzusprechen und die Namen der Kinder noch einmal zu sagen. Und sie ist relativ schnell wieder zur Arbeit gegangen, weil sie merkte, da ist etwas, das ihr die Kinder geben könnten, was ihre Seele trösten kann. Und sie hat so ein Amulett an einer Kette, da hat sie Fotos ihrer beiden Kinder rein getan. Und es waren die Kinder, die zu ihr auf den Schoß gekrochen kamen und sagten, zeige uns doch mal die Bilder deiner Kinder, du musst doch ganz, ganz traurig sein. Und die haben ihr ermöglicht durch die offene Anfrage, die so ohne Scheu war, über ihre Kinder zu sprechen. Ja, das war ihr ein ganz großer Trost."
Seit vielen Jahren leisten Jutta Rust-Kensa und Anja Wiese Trauerarbeit, sind jeden Tag mit tiefstem Schmerz und größtem Leid konfrontiert. Jeder, der an die Verdrängung von Tod und Sterben gewöhnt ist, wird fragen: Wie werden sie damit fertig?
"Ich hab festgestellt: Je mehr und je länger ich mich mit diesem Themenkreis auseinandersetze und in dieser Arbeit stehe, desto bewusster wird Leben. Es ist eigentlich eine ganz tiefe Auseinandersetzung mit dem Leben. Und die trauernden Menschen, denen wir hier begegnen, haben wahrscheinlich auch deshalb sehr in dieser Gesellschaft zu leiden, weil wir uns in einer Gesellschaft der Macher, des Machbaren befinden. Wir haben scheinbar auf alles eine Antwort und für diese tiefen Lebensbrüche, wenn ein geliebter Mensch stirbt, gibt es kaum Räume in der Gesellschaft."
"Ich werde ganz oft gefragt: Wie kannst du diese Arbeit machen? Das macht dich doch depressiv! Ich finde das genaue Gegenteil: Es macht mich nicht depressiv. Depressiv machen einen die Dinge, die man verdrängt, und die Gefühle, die man nicht haben darf. Ich habe mehr Spaß am Leben als ich früher hatte. Ich finde es eher ein Problem, dass Tod und Sterben so ausgeklammert sind. Ich bin auf dem Land groß geworden, und da sind wir noch überall hin gegangen und haben Abschied genommen, das war das Normale. Ich habe in Hamburg zwanzig Jahre gelebt und habe nie irgendwie mit erfahren, dass ein Mensch gestorben ist in meiner Umgebung. Das war so tabuisiert. Und ich finde, darüber zu sprechen und es miteinander auszuhalten, ist lebensbereichernd. Oft hab ich gedacht, wir müssten uns nicht 'Institut für Trauerarbeit' nennen, sondern wir könnten uns auch nennen 'Institut für Lebensschulung', weil die wesentlichsten Fragen werden in diesen Gruppen angesprochen, und jeder hat auch etwas dazu beizutragen, und ich finde das erfüllend und nicht depressiv machend."
"Also mein Mann ist nach zweijähriger Krankheit - er hatte Krebs - gestorben. Man sitzt da mit seinen Gefühlen, kann die nicht mehr abgeben und, ja, es ist einfach unerträglich manchmal."
Verlust gehört zu den existenziellen Erfahrungen im Leben. Wenn ein nahestehender Menschen plötzlich fort ist, im schlimmsten Fall durch den Tod aus dem Leben gerissen - dem eigenen und dem des Zurückbleibenden - dann ist das ein Totalverlust, der sich auf allen Ebenen ausdrückt. Die Leidtragenden, wie diese beiden Witwen, haben keinen Halt mehr, nicht in sich selbst und auch nicht in der Außenwelt.
"Wenn man darüber sprechen will, dann wird abgeblockt oder es wird gesagt, du könntest ja das oder dies oder jenes tun, such dir eine Aufgabe. Dann hat man mir auch empfohlen, ich könnte mir ja einen Hund anschaffen."
"Je länger die Zeit vergangen war, umso mehr hieß es dann auch: Du bist noch jung, du lernst bestimmt noch mal wieder was kennen und das sind Sachen, die wollte ich eigentlich nicht hören. Ich wollte mit der Trauer fertig werden und nicht irgendwie einen neuen Partner suchen. Es gab Sachen wie: Du musst die neue Freunde suchen, dein ganzes Leben musst du neu gestalten - das war mir klar, vom ersten Tag des Todes an. Aber ich wollte es nicht hören, und ich wollte meinen Rhythmus alleine finden, wie das Leben weitergeht."
"Ich komme mir vor wie ein halber Mensch. Also, mein halbes Leben ist weg und jetzt muss ich mit diesem Rest ja irgendwo sehen, wie ich damit klarkomme, wie ich das wieder irgendwo zusammenfügen kann."
Mit dem geliebten Menschen verliert man auch ein Stück seiner selbst. Gleichzeitig schafft der Tod Distanz - zur Außenwelt, zu den anderen, auch zu den Freunden.
"Ich denke, dass kann auch ein Freundeskreis nicht immer leisten, weil diese tiefe Erfahrung des Todes, des Endes eines Lebens, das haben die nicht vorher gemacht. Ich habe selber nie so tiefe Emotionen und Gefühle empfunden, wie in diesen zwei Jahren Krankheit und dem Tod danach und in der Trauer. Und deswegen habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, wo ich hingehen kann und all diese Dinge so ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob ich meinen nächsten Angehörigen oder Freunden wehtue, aussprechen kann, und das habe ich halt dann gefunden in dieser Initiative für Trauerarbeit."
Das Hamburger Institut für Trauerarbeit entstand 1997 unter dem Dach der Evangelischen Akademie Nordelbien. Dort hatte sich seit den achtziger Jahren die Trauerarbeit zunächst mit trauernden Eltern entwickelt. Den Verein "Verwaiste Eltern" gibt es heute bundesweit in dreihundert Einzelinitiativen. Das Institut für Trauerarbeit begleitet als gemeinnütziger Verein ganz verschiedene Gruppen: trauernde Geschwister, Frauen und Männer nach Partnerverlust, Kinder und Erwachsene nach dem Tod der Eltern.
"Das Entscheidende für uns ist, dass wir keine Vorgaben machen und nicht sagen, so und so muss Trauer sein, sondern dass wir Hilfestellungen geben, den eigenen Weg zu finden."
Jutta Rust-Kensa, Erste Vorsitzende des Vereins.
"Da kann ich als Beispiel bringen, dass eine Mutter im Seminar war, die sehr unglücklich war - der Anlass war, dass ihre Tochter im Kindergarten bei einem Brand ums Leben gekommen war, und sie war das einzige Kind. Und die Mutter war sehr gequält dadurch, weil sie sich vorstellte, wie das ist, zu verbrennen, und sie dachte, dieser Schmerz muss unendlich sein. Und ihr tat das Kind so leid und sie wurde damit nicht fertig. Und dann habe ich sie aufgefordert, einen Dialog mit ihrer Tochter zu schreiben. Und dieser Dialog sieht so aus, dass sie mit der rechten Hand alles geschrieben hat, was sie ihre Tochter fragen will, und quasi die Tochter hat antworten lassen, und das hat sie mit der linken Hand geschrieben. Und sie hat diesen Dialog geschrieben und hat sehr viel dabei geweint und hat aber hinterher gesagt, das war sehr gut. Meine Tochter hat mir gesagt, dass es schrecklich war, und es war genauso schrecklich, wie ich es mir immer vorgestellt habe, aber jetzt geht es meiner Tochter gut. Und das hat die Mutter sehr erleichtert und viele Blockaden weggenommen. Und das ist so ein Beispiel, wie wir arbeiten: Dass wir nicht sagen, Sie müssen das machen, sondern wie man Zugang kriegt zu den eigenen inneren Bildern und Vorstellungen."
Für diese Vorgehensweise machen die Mitarbeiter des Instituts eine zweijährige Ausbildung, die ständig weiterentwickelt wird. Die elf Einheiten der Ausbildung werden von unterschiedlichen Referenten aus dem In- und Ausland vermittelt, die sich in der Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod und Trauer besonders qualifiziert haben. Weil das Institut regelmäßig an den internationalen Fachkongressen in London und Ontario in Kanada teilnimmt, fließen auch die Ergebnisse der internationalen Trauerforschung in die Ausbildung mit ein.
Auch Anja Wiese vom Verein "Verwaiste Eltern" und Jutta Rust-Kensa sind ausgebildete Trauerbegleiterinnen.
"Einmal finde ich wichtig, dass nicht wir die Experten sind, sondern wir erleben die trauernden Menschen als Experten, und dass wir sozusagen das nur 'rahmen' und dem Raum geben - das hat aber damit zu tun, dass wir lange, lange in der Trauerbegleitungs-Ausbildung an dieser Haltung dazu arbeiten: ganz offen zu sein, keine festen Wege und Bilder in uns zu haben, die wir dann projizieren auf Trauernde."
"In unserer Ausbildung versuchen wir, viele Fachleute zusammenzuholen, die Ideen einbringen, die anregend sind, die unterschiedliche Ausbildungen auch haben, ob es Theologen sind oder Schreibwerkstätten, die aber immer eins gemeinsam haben: da anzusetzen, wo ein Mensch ist und quasi der eigenen Seele Raum zu geben."
Die Schulung, die Ausbildung beinhaltet wirklich eine ganz tiefe Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, mit eigenen Verlustgeschichten, und ist eine persönlichkeitsbildende Ausbildung, so würde ich das mal nennen, damit man sich wirklich so in einen offenen und weiten Raum stellen kann, um die Trauernden zu begleiten.
Einen guten Umgang mit Trauer und Trauernden kann man auch von Kindern lernen, wie die beiden Frauen immer wieder beobachten.
"Kinder haben eine große Spontaneität und weniger Scheu. Scheu ist eigentlich erst da, wenn sie erwachsener werden oder merken, meine Umgebung erwartet von mir, dass ich mich zurücknehme. Kinder trauern, Kindern sind sehr bewegt, helfen sich gegenseitig, weinen, trösten sich. Aber Kinder sind auch gleichzeitig, danach, ganz spontan und fröhlich und spielen Fußball; oder die Jugendlichen brauchen eine Disco. Viele Eltern denken dann: Mein Kind trauert nicht. Aber das brauchen die einfach zur Spannungsabfuhr.
Das ist gerade in der Trauer sehr wichtig, dass man sich bewegen und ausgelassen sein darf. Und das ist etwas, das wir von den Kindern auch übernehmen und lernen können, nämlich die Scheu zu verlieren. Wir haben immer ganz enge Grenzen und sagen, das tut man nicht, das dürfen wir nicht, das macht man nicht, das ist nicht erlaubt und das ist auch etwas in unserer Haltung, nämlich uns die Erlaubnis zu geben, dass wir in Ordnung sind, wie wir sind. Ob wir weinen oder schreien oder verzweifelt oder wütend sind, das gehört zu uns, das gehört zum Menschsein, das gehört auch zur Trauer."
"Die Erfahrungen, die wir mit Kindern machen, die können uns nur ermutigen, unsere Offenheit ein Stück zurückzuerobern. Wir haben eine Kollegin, sie ist Erzieherin, die ihre beiden Kinder gemeinsam verloren hat durch ein ganz schreckliches Unglück. Die Kinder sind verschüttet worden und erstickt an der Ostsee, als sie eine Höhle gebaut haben aus Sand. Das war ein so schreckliches Geschehen, dass die Mutter erlebt hat, dass niemand sich traute, sie darauf anzusprechen und die Namen der Kinder noch einmal zu sagen. Und sie ist relativ schnell wieder zur Arbeit gegangen, weil sie merkte, da ist etwas, das ihr die Kinder geben könnten, was ihre Seele trösten kann. Und sie hat so ein Amulett an einer Kette, da hat sie Fotos ihrer beiden Kinder rein getan. Und es waren die Kinder, die zu ihr auf den Schoß gekrochen kamen und sagten, zeige uns doch mal die Bilder deiner Kinder, du musst doch ganz, ganz traurig sein. Und die haben ihr ermöglicht durch die offene Anfrage, die so ohne Scheu war, über ihre Kinder zu sprechen. Ja, das war ihr ein ganz großer Trost."
Seit vielen Jahren leisten Jutta Rust-Kensa und Anja Wiese Trauerarbeit, sind jeden Tag mit tiefstem Schmerz und größtem Leid konfrontiert. Jeder, der an die Verdrängung von Tod und Sterben gewöhnt ist, wird fragen: Wie werden sie damit fertig?
"Ich hab festgestellt: Je mehr und je länger ich mich mit diesem Themenkreis auseinandersetze und in dieser Arbeit stehe, desto bewusster wird Leben. Es ist eigentlich eine ganz tiefe Auseinandersetzung mit dem Leben. Und die trauernden Menschen, denen wir hier begegnen, haben wahrscheinlich auch deshalb sehr in dieser Gesellschaft zu leiden, weil wir uns in einer Gesellschaft der Macher, des Machbaren befinden. Wir haben scheinbar auf alles eine Antwort und für diese tiefen Lebensbrüche, wenn ein geliebter Mensch stirbt, gibt es kaum Räume in der Gesellschaft."
"Ich werde ganz oft gefragt: Wie kannst du diese Arbeit machen? Das macht dich doch depressiv! Ich finde das genaue Gegenteil: Es macht mich nicht depressiv. Depressiv machen einen die Dinge, die man verdrängt, und die Gefühle, die man nicht haben darf. Ich habe mehr Spaß am Leben als ich früher hatte. Ich finde es eher ein Problem, dass Tod und Sterben so ausgeklammert sind. Ich bin auf dem Land groß geworden, und da sind wir noch überall hin gegangen und haben Abschied genommen, das war das Normale. Ich habe in Hamburg zwanzig Jahre gelebt und habe nie irgendwie mit erfahren, dass ein Mensch gestorben ist in meiner Umgebung. Das war so tabuisiert. Und ich finde, darüber zu sprechen und es miteinander auszuhalten, ist lebensbereichernd. Oft hab ich gedacht, wir müssten uns nicht 'Institut für Trauerarbeit' nennen, sondern wir könnten uns auch nennen 'Institut für Lebensschulung', weil die wesentlichsten Fragen werden in diesen Gruppen angesprochen, und jeder hat auch etwas dazu beizutragen, und ich finde das erfüllend und nicht depressiv machend."