In der Gasse des guten Lebens
Im November 1938 flohen die jüdischen Geschwister Gretl und Käthe Gallia aus Wien vor den Nazis nach Australien. Im Gepäck: eine riesige Sammlung zeitgenössischer Kunst. Der Historiker Tim Bonyhady, Urenkel der Sammler, hat nun die Geschichte seiner Familie aufgeschrieben.
"Das ist das Haus, das mein Urgroßvater Moriz und seine Frau Hermine. Sie zogen im November oder im Dezember 1913 ein."
Tim Bonyhady im Haus seiner Familie in der Wohllebengasse Nummer vier. 75 Jahre nachdem seine Mutter Annelore gemeinsam mit ihrer Mutter Gretl Gallia Wien verlassen hatte, steht der australische Historiker in der hohen, weißen Eingangshalle. Durch die Glasfenster dringt Licht herein.
Seit zwölf Jahren ist das Haus im Besitz von Irmgard und Ulrich Ster, die es auch renovieren ließen.
1973, vor 40 Jahren, kam Anne, wie sich Annelore Gallia damals schon nannte, mir ihren Söhnen Tim und Bruce von Australien nach Österreich und besuchte zum ersten Mal nach ihrer Flucht das Haus ihrer Kindheit. Es gehörte damals einer Versicherungsfirma.
"Sie klopfte an die Tür, neben ihr mein Bruder und ich, und sie erklärte, dass sie hier geboren wurde und so weiter. Sie wurde dann herzlich empfangen."
In der Wohnung erinnert nicht mehr viel an die damalige Einrichtung. Gretl und Käthe, die Töchter von Hermine und Moriz Gallia, konnten 1938 fast alles in Schiffscontainern nach Australien transportieren lassen. Anstelle der schwarzen schlicht-eleganten Möbelstücke des Architekten Josef Hoffmann, der einer der Begründer der Wiener Werkstätte war, stehen nun helle Schreibtische und Büroschränke in den Räumen. Das Haus in der Wohllebengasse war ein Ausdruck des Reichtums und der gesellschaftlichen Position als Mäzene, die die Gallias innerhalb kurzer Zeit erreichten. Auch wenn der Name "Wohlleben" von einem ehemaligen Wiener Bürgermeister stammt, so verwendete Bonyhady "Wohllebengasse" als Titel seines Buches im wahrsten Sinn des Wortes: Seine Familie habe in der "Gasse des guten Lebens" gewohnt.
"Zum Teil passte das genau zum Leben, das meine Familie hier führte. Sie ließen ja dieses prächtige Haus erbauen mit allem Drum und Dran. Aber der Titel hat auch etwas Ironisches, weil vieles, was ihnen passiert ist, mit gutem Leben nichts zu tun hatte."
Denn nur nach wenigen Jahren – nach dem Novemberpogrom im Jahr 1938 – mussten sie das Haus verlassen und flüchten. Davor, in den prosperierenden Zeiten, gingen die Gallias so oft wie möglich in die Oper, ins Theater und ins Ballett, sie liebten Richard Wagner und fuhren nach Bayreuth um den Parsifal zu sehen. Um sich vor dem immer stärker werdenden Antisemitismus zu schützen, konvertierten sie vom Judentum zum Christentum. Bonyhady fand bei seinen Recherchen heraus, dass dieses gesellschaftliche Verhalten durchaus typisch war für jüdische Familien der oberen Klasse.
Die Gallias investierten ihr Geld, das sie mit dem Verkauf von Gaslampen verdienten, vor allem in Kunst und da in erster Linie in die neu gegründete Wiener Secession. Gustav Klimt, einer ihrer wichtigsten Vertreter, porträtierte im Auftrag der Familie 1903 Hermine Gallia in einem weißen anmutigen Kleid. Das Gemälde hing bis zu Gretls und Annelores Flucht in der Wohllebengasse. Nun ist es im Besitz der National Gallery in London. Einige weitere Bilder kaufte der Wiener Sammler Rudolf Leopold. Mit ihm machte die Familie nicht nur gute Erfahrungen, da er zu Beginn einen zu geringen Betrag für die Werke zahlen wollte.
Abgesehen von den Schwierigkeiten der Familie Gallia, angemessene Preise für ihre Kunstsammelstücke zu bekommen, beobachtet Tim Bonyhady auch die aktuellen Diskussionen um Raubkunst aus der NS-Zeit in Österreich und Deutschland.
"Diese Prozesse sind unvermeidlich chaotisch. Man kann nicht erwarten, dass alle Forderungen auf einmal kommen und dann für immer gelöst werden. Das entspricht nicht der Natur dieser Dinge."
Tim Bonyhady im Haus seiner Familie in der Wohllebengasse Nummer vier. 75 Jahre nachdem seine Mutter Annelore gemeinsam mit ihrer Mutter Gretl Gallia Wien verlassen hatte, steht der australische Historiker in der hohen, weißen Eingangshalle. Durch die Glasfenster dringt Licht herein.
Seit zwölf Jahren ist das Haus im Besitz von Irmgard und Ulrich Ster, die es auch renovieren ließen.
1973, vor 40 Jahren, kam Anne, wie sich Annelore Gallia damals schon nannte, mir ihren Söhnen Tim und Bruce von Australien nach Österreich und besuchte zum ersten Mal nach ihrer Flucht das Haus ihrer Kindheit. Es gehörte damals einer Versicherungsfirma.
"Sie klopfte an die Tür, neben ihr mein Bruder und ich, und sie erklärte, dass sie hier geboren wurde und so weiter. Sie wurde dann herzlich empfangen."
In der Wohnung erinnert nicht mehr viel an die damalige Einrichtung. Gretl und Käthe, die Töchter von Hermine und Moriz Gallia, konnten 1938 fast alles in Schiffscontainern nach Australien transportieren lassen. Anstelle der schwarzen schlicht-eleganten Möbelstücke des Architekten Josef Hoffmann, der einer der Begründer der Wiener Werkstätte war, stehen nun helle Schreibtische und Büroschränke in den Räumen. Das Haus in der Wohllebengasse war ein Ausdruck des Reichtums und der gesellschaftlichen Position als Mäzene, die die Gallias innerhalb kurzer Zeit erreichten. Auch wenn der Name "Wohlleben" von einem ehemaligen Wiener Bürgermeister stammt, so verwendete Bonyhady "Wohllebengasse" als Titel seines Buches im wahrsten Sinn des Wortes: Seine Familie habe in der "Gasse des guten Lebens" gewohnt.
"Zum Teil passte das genau zum Leben, das meine Familie hier führte. Sie ließen ja dieses prächtige Haus erbauen mit allem Drum und Dran. Aber der Titel hat auch etwas Ironisches, weil vieles, was ihnen passiert ist, mit gutem Leben nichts zu tun hatte."
Denn nur nach wenigen Jahren – nach dem Novemberpogrom im Jahr 1938 – mussten sie das Haus verlassen und flüchten. Davor, in den prosperierenden Zeiten, gingen die Gallias so oft wie möglich in die Oper, ins Theater und ins Ballett, sie liebten Richard Wagner und fuhren nach Bayreuth um den Parsifal zu sehen. Um sich vor dem immer stärker werdenden Antisemitismus zu schützen, konvertierten sie vom Judentum zum Christentum. Bonyhady fand bei seinen Recherchen heraus, dass dieses gesellschaftliche Verhalten durchaus typisch war für jüdische Familien der oberen Klasse.
Die Gallias investierten ihr Geld, das sie mit dem Verkauf von Gaslampen verdienten, vor allem in Kunst und da in erster Linie in die neu gegründete Wiener Secession. Gustav Klimt, einer ihrer wichtigsten Vertreter, porträtierte im Auftrag der Familie 1903 Hermine Gallia in einem weißen anmutigen Kleid. Das Gemälde hing bis zu Gretls und Annelores Flucht in der Wohllebengasse. Nun ist es im Besitz der National Gallery in London. Einige weitere Bilder kaufte der Wiener Sammler Rudolf Leopold. Mit ihm machte die Familie nicht nur gute Erfahrungen, da er zu Beginn einen zu geringen Betrag für die Werke zahlen wollte.
Abgesehen von den Schwierigkeiten der Familie Gallia, angemessene Preise für ihre Kunstsammelstücke zu bekommen, beobachtet Tim Bonyhady auch die aktuellen Diskussionen um Raubkunst aus der NS-Zeit in Österreich und Deutschland.
"Diese Prozesse sind unvermeidlich chaotisch. Man kann nicht erwarten, dass alle Forderungen auf einmal kommen und dann für immer gelöst werden. Das entspricht nicht der Natur dieser Dinge."
Tim Bonyhady: Wohllebengasse. Die Geschichte meiner Wiener Familie
Carl Hanser Verlag, München 2013
448 Seiten, 24,90 Euro
Carl Hanser Verlag, München 2013
448 Seiten, 24,90 Euro