In der Dunkelkammer des Schreibens

Von Johannes Halder |
Mit seinem monumentalen Roman "Parallelgeschichten" ist der ungarische Schriftsteller Péter Nádas wieder ins Gespräch gekommen. Doch der Autor ist auch Fotograf. Das Kunsthaus in der schweizerischen Stadt Zug gibt Einblick in seine "Dunkelkammer des Schreibens".
Achtzehn Jahre lang hat Péter Nádas an den "Parallelgeschichten" geschrieben, seinem jüngsten Mammutwerk; sechs Jahre dauerte die Übersetzung, und mit der Lektüre ist der Leser, je nach Freizeit, wochenlang beschäftigt. Das Schreiben, scheint es, ist ein quälend langsamer Prozess. Eine Fotografie dagegen ist schnell gemacht und schnell gesehen, die Kamera erfasst ein Motiv in einem kurzen Augenblick. Ein Missverständnis, sagt Péter Nádas:

"Nein, das ist ein Aberglaube über die Fotografie. Etwas wahrzunehmen, dazu braucht man Zeit, wenn es auch so aussieht wie ein Augenblick. Dazu braucht man sehr viel Zeit, genauso viel Zeit wie beim Schreiben."

Nádas hat sich für beides Zeit gelassen. Schon als Zwölfjähriger, sagt er, habe er geschrieben. Für den Beruf des Fotografen habe er sich dann entschieden, um den Zeitungsschreibern nahe zu sein. Ein Irrtum, wie er später merkte, denn Journalismus und Erzählen sind zweierlei. Und wenn man seine frühen Fotos sieht, merkt man: Nádas fotografiert wie er schreibt: langsam, beobachtend, genau.

"Ganz früh in meiner Jugend habe ich immer so geschrieben: Im Zimmer hatte ich immer einen Spiegel, und bin aufgestanden und habe mich im Spiegel selbst beobachtet, wie ich eine Bewegung mache, wie ich etwas ausführe, und dann danach beschrieben."

Die Fotos, das sind Selbstporträts und Gesichter, Bilder von Hochzeiten, Kirmes- und Kneipenszenen, Bilder vom einfachen Leben einfacher Leute. Sein Arbeitszimmer, eine Lampe, Lichtreflexe an der Wand.

"Fotografie ist Licht. Es gibt eine Art Fotografie, die Themen für wichtiger hält als Licht. Aber ich bin es nicht."

Wir sehen viele Nahaufnahmen im subtilen Spiel von Licht und Schatten, oft dämmerig, melancholisch und immer nahe am Motiv. In den "Parallelgeschichten" schildert Nádas über 70 Seiten hinweg den vermutlich längsten Geschlechtsverkehr der Literaturgeschichte, streckenweise unerträglich detailversessen und direkt.

Als Fotograf interessiert ihn das Thema überhaupt nicht. Zu unvermittelt für das Lichtbild, findet er. Und doch weiß Nádas ganz genau, wo auch das Wort an seine Grenzen stößt.

"Der Text kann zum Beispiel nicht schwitzen. Schwitzen bleibt eine Abstraktion. Der Text kann nicht leiden. Leiden bleibt eine Abstraktion. Schmerz zum Beispiel. Mit Text gänzlich überhaupt nicht darstellbar. Mit Musik schon. Auch mit Fotografie."

Wie sich Schmerz und Leid im Lichtbild äußern, wo das Bild der Sprache überlegen ist, zeigt sich in dem Teil der Schau, die Nádas seine ungarische "Bilderschule" nennt. Da ist zum Beispiel Robert Capas ikonenhaftes Foto des sterbenden Soldaten von 1936 zu sehen, dazu Aufnahmen aus dem ersten Weltkrieg: Kriegsgefangene in Ketten, Hinrichtungen, Soldaten auf der Latrine – Bilder, die ganze Romane ersetzen. Viel Licht, viel Schatten, sozial engagiert und gefühlsbetont.

Nádas ist davon geprägt. 1993 hatte er eine Nahtoderfahrung: Herzinfarkt. Ein Jahr lang hat er danach den Wildkirschbaum vor seinem Fenster fotografiert, immer wieder, Tag für Tag. Nicht um zu zeigen, wie die Zeit vergeht, im Gegenteil:

"Während ich fotografierte, während dieses Jahres, bin ich ganz fest darauf gekommen, dass es keine Zeit gibt. Dass wir falsche Vorstellungen über Jahreszeiten und über die Zeit haben."

Wenn alles aus der Unendlichkeit kommt und in die Unendlichkeit geht, was ist dann die Zeit, fragt Nádas. Und dann packt er hier alles aus, was sein Sehen, Denken und Schreiben befruchtet: handgeschriebene und getippte Manuskripte, Schreibgeräte, Kameras, Stapel beschriebener Papiere, Bibliothekskarten; Fundstücke, die ihn inspirieren: Steine, rostige Eisenbeschläge, kuriosen Krimskrams, Archivalien, Recherchematerial, ein Kompass, Ansichtskarten, Musik, Bilder und Bücher.

Es ist sein Handwerkszeug, mit dem er Fährten legt und Spuren sichert, die sich im Labyrinth seines Werks dann oft verlieren. Auch eine Dunkelkammer hat er eingerichtet in der Schau, mit Rotlicht und Chemikalienbädern. Nachmittags oder nachts, nach dem Schreiben, zieht er sich gerne dahin zurück, in seine Parallelwelt, sein Labor. Es ist der Ort, wo Péter Nádas, wie ein Alchimist, Sprache in Bilder verwandelt und Bilder in Sprache. Und wie das geht, das zeigt uns diese Schau.


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