In der Berliner Medienmühle
Und keiner hat es geahnt. Mag Gerhard Schröders großer Überraschungscoup auch sein unwiderruflich letzter vor der Abwahl gewesen sein - so richtig gezeigt hat er es damit aber noch einmal der von ihm vermutlich zutiefst verachteten und doch so sehr gebrauchten Medienmeute.
NRW-Wahlsonntag, gerade mal ein paar Minuten nach der allerersten Hochrechnung: Franz Müntefering kündigt, auch im Namen des Kanzlers, vorgezogene Bundestagswahlen an. Verblüffte Gesichter nicht nur beim politischen Gegner und den ahnungslosen eigenen Koalitionsfreunden, die jetzt vor laufenden Live-Kameras um Fassung ringen müssen. Total überwältigt sind auch die Vertreter der kommentierenden Kaste, die Spezialisten und Superschlaumeier des TV- und Printjournalismus - von den Super-Superschlaumeiern, den so genannten Parteienforschern mal ganz abgesehen, die in keiner Wahlsendung fehlen dürfen, weil irgendjemand dem unwissenden Otto Normalzuschauer ja die Zusammenhänge kompetent und letztgültig erklären muss.
Doch spätestens seit der Schröder-Münteferingschen spektakulären Überrumpelungsaktion stellt sich die Frage: Was wissen eigentlich die Allwissenden in den groß ausgestatteten Korrespondentenbüros wirklich, deren Spürhunde den Politikern tagein- tagaus auf der Fährte sind und in den Machtzentralen vermeintlich jeden Floh husten hören? Nicht, dass Schröder & Co. ihre Geheimaktion diesmal wirklich eisern geheim halten konnten, ist dabei das wirklich Bemerkenswerte, sondern dass keiner der hochsensiblen Top-Analysten diese Variante, Schröders Flucht nach vorne in die Neuwahlen, auch nur im Entferntesten in Erwägung gezogen hatte. Der Sprecher schließt sich dabei, damit es nicht wie plumpe Überhebung gilt, übrigens ausdrücklich mit ein.
Noch vor zwei Tagen wäre jede Erwägung, es könnte zu der nun real gewordenen Variante kommen, von den Kennern sogar mit Hohn und Spott zurückgewiesen worden. Die Prognose, nach einem Wahldebakel von Rot-Grün in Düsseldorf könnte es zu Neuwahlen kommen, galt bestenfalls als alberne Spinnerei des angeblich nicht ernstzunehmenden FDP-Leichtmatrosen Guido Westerwelle. Treulich verließ man sich auf die vor der Wahl stoisch wiederholte Behauptung des Kanzlers und seiner Sprecher, es käme im Fall einer Niederlage keine dramatischen Reaktionen von Seiten der Bundesregierung in Frage.
Kaum aber hatte die Kommentatorenschar ein paar Stunden Zeit gehabt, sich an die neue Realität zu gewöhnen, schon fand sie jede Menge fachmännische Argumente dafür, dass Schröders Vorstoß die einzig logische und einzig denkbare Möglichkeit für ihn gewesen sei. Frei nach dem Motto Hegels: "Das Wirkliche ist das Vernünftige". Für den allgegenwärtigen Parteienforscher Jürgen Falter ist des Kanzlers Verzweiflungstat nun plötzlich ein "genialer Schachzug."
Den Vogel aber schoss, wie so oft, die "taz" ab. Ob aus Versehen oder aus ironisch-aufklärerischem Hintersinn: Das Blatt ließ in seiner Internetausgabe am Montag einen offenbar vorab für den Fall einer rot-grünen Niederlage verfassten Leitartikel neben dem dann tatsächlich im Blatt erschienen stehen. In Kommentar Nr.1 wischt die Autorin den Gedanken an ein schnelles Ende des Status Quo in Berlin lässig vom Tisch und hält die mögliche Wirkung der NRW-Wahl generell für überschätzt: "Seit langem wird fast jede Landtagswahl zur Schicksalsfrage für den Bund hochgejazzt", heißt es da. "Das ist meist eine populistische oder feuilletonistische Albernheit. Mag der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle noch so oft Neuwahlen fordern: Auf parlamentarischem Wege werden Regierungen von den eigenen Leuten gestürzt, nicht von der Opposition und auch nicht von den Wählern eines Bundeslandes."
In Kommentar 2, verfasst nach der Bekanntgabe des Neuwahlplans, hat sich dieselbe Leitartiklerin schon mit dessen Rationalität angefreundet: "Dabei sind Neuwahlen", sagt sie nun, "aus Sicht der rot-grünen Koalition eigentlich keine schlechte Idee. Oder zumindest ist der Plan, nüchtern betrachtet, immer noch die beste von mehreren schlechten Alternativen."
Nicht aus Häme über die Kollegin habe ich dies zitiert. Vielmehr gibt ihr Malheur Einblick in die strukturellen Zwänge, denen alle Journalisten in der Berliner Medienmühle unterliegen. Redaktionsschlüsse dräuen, und schnell muss eine möglichst dezidiert und informiert klingende Meinung her. Da hält man sich im Zweifelsfalle an das, was alle anderen vermeintlichen Fachleute auch so meinen. Und deren Überzeugung nährt sich im Zweifelsfall aus dem Stoff, mit dem sie von den Mächtigsten gefüttert wird. Schon gar, wenn im Zentrum der Macht ein so einschüchterndes Alpha-Tier wie Gerhard Schröder sitzt, der die Kniffe kennt, wie man die angeblich so gnadenlos durchblickenden Medien in die Irre führt.
Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche". Zuvor hatte Herzinger als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "DIE ZEIT" gearbeitet. Seine letzten Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
Doch spätestens seit der Schröder-Münteferingschen spektakulären Überrumpelungsaktion stellt sich die Frage: Was wissen eigentlich die Allwissenden in den groß ausgestatteten Korrespondentenbüros wirklich, deren Spürhunde den Politikern tagein- tagaus auf der Fährte sind und in den Machtzentralen vermeintlich jeden Floh husten hören? Nicht, dass Schröder & Co. ihre Geheimaktion diesmal wirklich eisern geheim halten konnten, ist dabei das wirklich Bemerkenswerte, sondern dass keiner der hochsensiblen Top-Analysten diese Variante, Schröders Flucht nach vorne in die Neuwahlen, auch nur im Entferntesten in Erwägung gezogen hatte. Der Sprecher schließt sich dabei, damit es nicht wie plumpe Überhebung gilt, übrigens ausdrücklich mit ein.
Noch vor zwei Tagen wäre jede Erwägung, es könnte zu der nun real gewordenen Variante kommen, von den Kennern sogar mit Hohn und Spott zurückgewiesen worden. Die Prognose, nach einem Wahldebakel von Rot-Grün in Düsseldorf könnte es zu Neuwahlen kommen, galt bestenfalls als alberne Spinnerei des angeblich nicht ernstzunehmenden FDP-Leichtmatrosen Guido Westerwelle. Treulich verließ man sich auf die vor der Wahl stoisch wiederholte Behauptung des Kanzlers und seiner Sprecher, es käme im Fall einer Niederlage keine dramatischen Reaktionen von Seiten der Bundesregierung in Frage.
Kaum aber hatte die Kommentatorenschar ein paar Stunden Zeit gehabt, sich an die neue Realität zu gewöhnen, schon fand sie jede Menge fachmännische Argumente dafür, dass Schröders Vorstoß die einzig logische und einzig denkbare Möglichkeit für ihn gewesen sei. Frei nach dem Motto Hegels: "Das Wirkliche ist das Vernünftige". Für den allgegenwärtigen Parteienforscher Jürgen Falter ist des Kanzlers Verzweiflungstat nun plötzlich ein "genialer Schachzug."
Den Vogel aber schoss, wie so oft, die "taz" ab. Ob aus Versehen oder aus ironisch-aufklärerischem Hintersinn: Das Blatt ließ in seiner Internetausgabe am Montag einen offenbar vorab für den Fall einer rot-grünen Niederlage verfassten Leitartikel neben dem dann tatsächlich im Blatt erschienen stehen. In Kommentar Nr.1 wischt die Autorin den Gedanken an ein schnelles Ende des Status Quo in Berlin lässig vom Tisch und hält die mögliche Wirkung der NRW-Wahl generell für überschätzt: "Seit langem wird fast jede Landtagswahl zur Schicksalsfrage für den Bund hochgejazzt", heißt es da. "Das ist meist eine populistische oder feuilletonistische Albernheit. Mag der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle noch so oft Neuwahlen fordern: Auf parlamentarischem Wege werden Regierungen von den eigenen Leuten gestürzt, nicht von der Opposition und auch nicht von den Wählern eines Bundeslandes."
In Kommentar 2, verfasst nach der Bekanntgabe des Neuwahlplans, hat sich dieselbe Leitartiklerin schon mit dessen Rationalität angefreundet: "Dabei sind Neuwahlen", sagt sie nun, "aus Sicht der rot-grünen Koalition eigentlich keine schlechte Idee. Oder zumindest ist der Plan, nüchtern betrachtet, immer noch die beste von mehreren schlechten Alternativen."
Nicht aus Häme über die Kollegin habe ich dies zitiert. Vielmehr gibt ihr Malheur Einblick in die strukturellen Zwänge, denen alle Journalisten in der Berliner Medienmühle unterliegen. Redaktionsschlüsse dräuen, und schnell muss eine möglichst dezidiert und informiert klingende Meinung her. Da hält man sich im Zweifelsfalle an das, was alle anderen vermeintlichen Fachleute auch so meinen. Und deren Überzeugung nährt sich im Zweifelsfall aus dem Stoff, mit dem sie von den Mächtigsten gefüttert wird. Schon gar, wenn im Zentrum der Macht ein so einschüchterndes Alpha-Tier wie Gerhard Schröder sitzt, der die Kniffe kennt, wie man die angeblich so gnadenlos durchblickenden Medien in die Irre führt.
Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche". Zuvor hatte Herzinger als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "DIE ZEIT" gearbeitet. Seine letzten Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".