In den Wechselmonaten
Erst war einer für alle da (Stoiber für das Land und die Partei), dann waren viele gegen einen (gegen Stoiber als Parteichef und Ministerpräsident), jetzt sind offenbar alle gegen alle (die Namensliste wäre lang). Schwer durchschaubar ist das Verhalten führender CSU-Mitglieder, schwer abzuschätzen das Verhalten der Parteibasis. Die versammelt sich in diesen Tagen allerorten und der Zuschauer ist gespannt.
Gesang: "Weint nicht um mich Landeskinder, ihr werdet es schwer bereuen. Es ist zu spät jetzt, spart Euch die Tränen. Ich werde weg sein, ihr kriegt den Beckstein …"
Beim traditionsreichen Politiker-Derblecken auf dem Nockerberg hatten die CSU-Größen noch Grund zum Lachen. Monate ist es her. Und Monate wird es noch dauern, bis Edmund Stoiber seinen Rücktritt wahr macht:
"Ich werde mein Amt als bayerischer Ministerpräsident zum 30. September dieses Jahres abgeben."
Den Zeitpunkt seines Abgangs hat Stoiber selbst bestimmt. Am 28. September wird er 66. Als Amtierender will er Geburtstag feiern - mit einem rauschenden Fest auf dem Parteitag in München. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Ehrengast.
Nachfolger und Partei müssen warten. So viel Dank nach 14-jähriger Amtszeit muss sein.
"Man kann doch net einen Menschen, der diesen riesigen Erfolg für die CSU und für Bayern eingefahren hat wie Edmund Stoiber, net jetzt vom Hof jagen sozusagen. Es geht nicht schnell genug - also ich kann immer nur wieder sagen: Gelassenheit, Ruhe."
Der Bundeslandwirtschaftsminister predigt Geduld. Zumal auch Horst Seehofer noch Zeit braucht, sein verkorkstes Privatleben zu ordnen. A geschlampertes Verhältnis, wie man auf gut bayerisch sagt, könnte ihm die Chancen auf den CSU-Vorsitz verhageln.
Stimmen von der CDU-Basis:
Frau: "Er muss halt seine Privatsache in Ordnung bringen, wenn er glaubwürdig bleiben will."
Mann: "Manche werden sich davon beeinflussen lassen, ich nicht. Privatleben ist jedem seine Sache."
Frau: "Mir ist die Familie wichtig und heilig. Für mich spielt Treue auch eine große Rolle. Wenn man im Privatleben so handelt, denke ich, handelt man anderweitig auch so. Und für mich ist das durchaus auch ein Entscheidungskriterium."
Seine Gegner in der CSU hüllen sich in Schweigen. Öffentlich jedenfalls. Sie wissen auch so, wie die konservative Parteibasis denkt. Wie er sich entscheiden wird? Für seine Frau und drei Kinder in Ingolstadt oder für Freundin und Kind in Berlin? Solch private Fragen muss sich Seehofer gefallen lassen. Er versichert, bis zum Parteitag Ende September werde man es wissen. Das Schwadronieren über sein Privatleben ärgert ihn:
"Denn es geht einige wenige Personen direkt etwas an. Die Bevölkerung erwartet von mir, dass man dies verantwortungsvoll aufarbeitet. Das tun wir. Und alles, was da spekuliert oder bewertet wird, weil ich zum Beispiel mit meiner Frau gemeinsam beim Agrarrat auftrete, das ist … ja so von niedrigem Niveau. Ich kann mich nicht überwinden, dazu Stellung zu nehmen, weil es einfach zu flach ist."
Der parteiinterne Wahlkampf plätschert vor sich hin. Das Fußvolk muss sich ohnehin erst an den Gedanken gewöhnen, überhaupt mal die Wahl zu haben. Die Kampfkandidatur um den Parteivorsitz ist ein Novum bei der CSU. Der Ausgang offen.
CSU-Mitglieder:
Frau: "Ich glaube, der Seehofer hat mehr Charisma als der Huber."
Mann: "Ich habe nichts gegen Seehofer, aber mir ist der Huber als Mensch lieber, der spricht die Sprache des Volkes."
Mann: "Der Horst Seehofer steht für das S in der CSU. Er ist ein ausgesprochener Sozialpolitiker, der auch die Belange der kleinen Leute immer am richtigen Nerv erwischt."
Mann: "Wir stehen alle hinter unserem Huber-Erwin. Er ist ein Macher, da braucht man ein Rückrad und das hat unser Huber Erwin."
Mann: "Keinen von beiden, da gibt es momentan keinen, der den Stoiber ersetzen kann."
Erwin Huber, der Landeswirtschaftsminister, tingelt unermüdlich über die Dörfer. Er hat der gesamten Parteibasis Gesprächsangebote gemacht. Und taucht bei jedem noch so kleinen CSU-Ortsverband auf, um für sich zu werben:
"Ich weiß um die Größe der Aufgabe. Ich glaube, dass ich die Partei in- und auswendig gut kenne als Kreisvorsitzender, als Bezirksvorsitzender, als der Generalsekretär, der noch von Franz Josef Strauß 1988 in dieses Amt berufen wurde. Wenn die Zeit nach Edmund Stoiber da ist, dann werden die Belange Bayerns mit der gleichen Kraft, mit der gleichen Hartnäckigkeit, mit der gleichen Sturheit vertreten …"
Die Mühe, Wahlkampf-Sonderschichten einzulegen, macht sich Seehofer nicht. Warum auch? Er ist, das sagen die Umfragen, in Bayern bekannt und beliebt. Und bei der Bevölkerung liege er vor Huber, ist sich der 57-Jährige sicher.
"Ja gut, ich bin jetzt über 30 Jahre in der CSU aktiv. Da muss man bei einer innerparteilichen Wahl jetzt wirklich kein Schaulaufen veranstalten. Und zum zweiten, bin ich hochzufrieden mit dem, was ich an Umfrageergebnissen habe, und mit dem, was ich vor Ort bei den Menschen erlebe. Und da bin ich sehr, sehr zufrieden, es ist besser als je zuvor."
Dass im oberbayerischen Bierzelt jeder um sein Privatleben weiß, erträgt er gelassen. Seehofer hat ein breites Kreuz. Einen Einzelgänger, einen Ichling musste er sich nennen lassen. Einer, der in der Partei keine Freunde hat, der nur an die eigene Karriere denkt. Ein Querulant sei er, unzuverlässig dazu. Einer, der sich an keine Absprachen hält. Vorwürfe reihen sich an Vorwürfe, immer wieder wird Seehofer verbal beschossen - immer unter die Gürtellinie und immer anonym. Und immer wieder muss er sich rechtfertigen gegen nicht totzukriegende Gerüchte.
"Das hat der Parteivorsitzende ja auch richtiggestellt, was da alles wochenlang lief: 'Ich hätte ihn gedrängt, wieder zu kandidieren.' bis zu der Sorte 'Ich hätte ihn erpresst, um Bundesminister zu werden.' Es wird da doch sehr viel geredet und getuschelt."
Nur Ross und Reiter nennt Seehofer nicht. Die Büchsenspanner im Hintergrund bleiben unerkannt. Das Klima in der CSU ist von Misstrauen bestimmt. Feind, Todfeind, Parteifreund – der bekannte Dreiklang erhält fast täglich neue Nahrung. Mal kursieren Gerüchte über Geheimpläne, wonach Huber, wenn er Parteichef wird, Seehofer durch Michael Glos ersetzen will, um dann selbst Bundeswirtschaftsminister zu werden. Mal werden Meldungen platziert, Seehofer soll behauptet haben, er sei der Wunschkandidat von Edmund Stoiber.
"Der Versuch, dass ich versucht habe, Stoiber für mich zu vereinnahmen, ist auch wieder einer dieser Versuche, Zweitracht zu säen. Es steht über all dem der letzten Wochen ein Begriff: Zwietracht."
Um seine rhetorische Überlegenheit wissend, nahm der Bundesminister schnell die Einladung des Bayerischen Fernsehens zu einem TV-Duell an. Huber aber sagte ab mit der Begründung, er wolle die Diskussion mit Seehofer auf dem Parteitag und nicht ein paar Tage vorher im Fernsehen führen. Zu den Vorwürfen seines Kontrahenten allerdings kein Wort.
Huber: "Mir wird immer wieder gesagt, dass man an mir schätzt die Verlässigkeit, die Beharrlichkeit, die Zuverlässigkeit, die Glaubwürdigkeit. Aber ich bemühe mich, dass Wort und Tat übereinstimmen."
Parteifreund: "Herr Minister, wir brauchen unbedingt noch ein Foto."
Huber: "Manchen wir."
Mann: "Und dann brauche ich noch eine Unterschrift."
Huber: "Manchen wir auch. Über dem Stoiber. Das ist aber Ehre. Was soll ich draufschreiben?"
Mann: "Für Horst."
Huber: "Auch Horst. Ich mag alle, die Horst heißen. Dein Erwin Huber, schreibe ich. Dein?"
Mann: "Ja, dein."
Huber: "Alles Gute."
Mit solchen Charmeoffensiven hofft der Niederbayer, dass es auch bei den gut 1000 Delegierten auf dem Parteitag mehrheitlich heißt: Daumen hoch für Huber. Bei den CSU-Anhängern liegt er vorne, sagen aktuelle Umfragen. Bei vielen gilt der 60-Jährige deshalb als Favorit. Doch Seehofer wäre nicht Seehofer, wenn er jetzt aufgeben würde. Als Bundesminister sieht er sich klar im Vorteil.
"Sie dürfen ja nicht vergessen, dass 2/3 der Dinge, die für Bayern wichtig sind, in Berlin entschieden werden. Deshalb brauchen wir eine starke Stimme in Berlin. Wir dürfen uns hier nicht auf eine Kirchturmpolitik zurückziehen, sondern müssen Bayern auch auf dem großen Welttheater sehen. Und nur wenn wir beides berücksichtigen, die Deutschlandpolitik und die bayerische Identität, haben wir Erfolg."
Dass er Huber damit den Stempel "Provinzpolitiker" aufdrückt, kam nicht gut an in München. Hinter sich weiß der Günther Beckstein, den künftigen Ministerpräsidenten. Der Franke würde zwar auch mit Seehofer, wenn er müsste, lieber aber wäre ihm Huber. Denn damals, Mitte Januar in Kreuth, hatten die beiden des Nächtens Regierungsamt und Parteivorsitz unter sich aufgeteilt, was dann dazu führte, dass Stoiber aufgab.
"Dann halte ich es für dummes Geschwätz, dass man nur von der Berliner Bühne, nicht aber von der Bühne Münchens aus deutsche Politik entscheidend mit beeinflussen kann. Das ist nicht die Frage der Bühne, wo man steht, sondern eine Frage der Qualität, wo man steht."
Mit einem Interview aber ging Seehofer zu weit. Im "Stern" wurde er mit den Sätzen zitiert "Ich bin gut informiert. Ich weiß viel. Ich habe viel Material." Offenbar, so heißt es, sollen es Briefe von Frauen sein, die von ihren CSU-Männern verlassen wurden. Es las sich, als ob er mit den Enthüllungen über das Privatleben seiner parteiinternen Kritiker droht. In der CSU-Landtagsfraktion, wo Seehofer ohnehin nur wenige Freunde hat, war die Empörung groß. Er muss das klarstellen, entrüstete sich Parteivize Barbara Stamm.
"Selbst wenn er es nur im Hintergrund oder auch nur sehr flapsig gesagt hat, angesichts dessen, wie man hier mal eine Monika Hohlmeier kritisiert hat, wäre es für mich schon wichtig, dass man hier nicht mit zweierlei Maßstäben misst. Es ist nicht entscheidend, wer sagt jetzt irgendwas, sondern entscheidend ist einfach, was in einer Partei nicht stattfinden darf."
Monika Hohlmeier, die Tochter von Franz Josef Strauß, war ins politische Abseits gestürzt, weil sie Parteifreunden mit Bespitzelungen gedroht hatte. Auf Hohlmeier-Methoden reagiert man in der CSU seitdem allergisch.
Seehofer dementierte die im "Stern" zitierten Sätze ausdrücklich nicht! Aber aus dem Zusammenhang seien sie gerissen. Und als Drohung nie gedacht gewesen. Der Minister fühlt sich missverstanden – wieder mal.
"Es ist natürlich, dass nach den ganzen Vorgängen der letzten Monate mir auch eine Menge an Informationen über alles Mögliche dieser Welt zugespielt worden sind. Aber, ich habe das immer als eigentlich widerlich eingestuft, ich habe das nie verwertet und habe es auch in der Zukunft nie vor. Obwohl pausenlos über mich Spekulationen und Bewertungen in die Welt gesetzt werden, würde ich nie das gleiche umgekehrt machen mit anonymen oder offenen Hinweisen über andere zu versuchen, Politik zu machen."
Drei Monate dauert es noch bis zum Parteitag. Man muss kein Prophet sein: der Machtkampf wird noch viele schmutzige Schlagzeilen produzieren. Die CSU ist sich ihrer Mehrheit in Bayern einfach zu sicher.
Lied: "Weint nicht um mich Landeskinder, ihr habt mich im Stich gelassen. Ich war alleine in schwerer Stunde. Ihr seid gegangen, nie heilt die Wunde …"
Edmund Stoiber kann nicht loslassen. Sein Abschied zieht sich quälend lang hin. Er tingelt nicht nur unermüdlich durchs Land, er fällt auch Entscheidungen, die weit über seine Zeit hinausreichen. Er kündigt ein Regierungsprogramm mit Titel "Kinder, Bildung, Arbeit" an und verplant bis ins Jahr 2020 einige Milliarden. Von einem leisen Servus kann nicht die Rede sein. Stoiber diktiert der Partei sein Vermächtnis und seinem Nachfolger Beckstein, wo es lang zu gehen hat.
"Testament? Wir haben ja keine Thronfolge. Wir haben auch keinen Politikwechsel, sondern wir haben einen Personenwechsel, aber kein Politikwechsel. Und dass jetzt die Prioritäten gemeinsam festgelegt werden, ist auch kein Testament."
Und doch lässt sich Stoiber immer wieder in Szene setzen. Bundesweit erschienen Fotos einer Asienreise mit klaren Botschaften: Stoiber auf einem indischen Elefanten - strotzt nur so vor Energie. Stoiber neben einem Tiger – bleibt angriffslustig. Zuhause in Bayern machte sich Nervosität breit. Redet ihm sein Umfeld den Rücktritt vom Rücktritt ein?, fragte man sich besorgt. An der Spitze der Landtagsfraktion beobachtet man seit Jahren argwöhnisch, welch großen Einfluss seine Berater auf ihn haben. Wenn sich seine potenziellen Nachfolger öffentlich zerfleischen, sei es für die CSU allemal besser, der Alte bleibt. Solche Gerüchte kursierten in München. Die Quelle: die Staatskanzlei.
CSU-Mitglied: "Es wäre meines Erachtens Dummheit vom Stoiber. Er kann nicht offiziell erklären Rücktritt und dann machen wir Putsch, das glaube ich nicht. Er wird es halten, ich habe ihn nie anders kennengelernt, als dass Stoiber sein Wort auch gehalten hat. Das würde, glaube ich, die Partei vor so eine Zerreißprobe stellen, die sie nicht aushalten würde. Deswegen kann ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen."
Und doch, das Gerücht vom Rücktritt vom Rücktritt zeigte Wirkung. Die Landtagsfraktion möchte noch vor der Sommerpause Fakten schaffen. Sicher ist sicher. Und Beckstein mit offiziellem Votum als Nachfolger nominieren. Parteivize Barbara Stamm ist dafür, obwohl Stoiber dagegen ist:
"Ich will darüber keinen Krach und keinen Ärger. Entweder es ist einvernehmlich möglich, dann sollen wir es machen. Und wenn es einvernehmlich nicht möglich ist, dann lassen wir es halt. Weil darüber jetzt neue interne Diskussionen entfachen zu lassen, das will bestimmt auch Günther Beckstein nicht, dann lassen wir es eben."
Beckstein ist ein gebranntes Kind. Schon mal, Ende 2005, sah er sich auf dem MP-Posten sitzen. Dann aber wollte Stoiber doch nicht als Bundesminister in eine Merkel-Regierung gehen. Der 63-Jährige muss sogar froh sein, dass Stoiber den Posten ein Jahr vor den Landtagswahlen im Herbst 2008 räumt. Dass er ihm generös Zeit gewährt, sich als dann nächster Spitzenkandidat einen Amtsbonus zu erarbeiten, schmiert Stoiber seinem Nachfolger ständig aufs Brot. Der Franke muss sich gedulden. Und er muss schweigen.
"Wenn ich die Fähigkeit nicht hätte, auch aus Klugheit jetzt Geduld zu haben, wäre ich völlig ungeeignet für dieses Amt. Und drum ist es im Moment so, dass ich mir manchmal auch auf die Zunge beiße. Natürlich ist eine Übergangszeit über so eine lange Zeit eine Herausforderung, aber ich vermeide, dass in der Öffentlichkeit da auch nur kleine Unterschiede erkennbar werden, denn das würde sofort zu Auseinandersetzungen und Schwierigkeiten führen. Drum nur Ruhe. Wenn es nicht zu mehr Pannen kommt als in den letzten Wochen, liegen wir gut im Kurs."
Muss Beckstein die nervöse Fraktion beruhigen. Und Stoiber? Der sieht es und genießt. Warum er seinem Nachfolger immer wieder gegen das Schienbein tritt?, fragt man sich. Ist es die Rache für den Sturz von Kreuth? Ist es der Versuch, es Beckstein und Huber möglichst schwer zu machen, um selber umso glänzender dazustehen? Stoiber wird von Tag zu Tag unberechenbarer, je näher sein Abschied rückt.
"Wenn dieses Vermächtnis verändert wird, bekommt es jeder mit mir zu tun. Die Art und Weise lasse ich hier mal offen. Das sage ich ganz deutlich für die Zukunft."
Noch lässt man ihn gewähren. Denn keiner weiß, wie die, und dieser Ausdruck fällt wörtlich, "Hardcore-Stoiberianer" reagieren, sollte Stoiber auch nur die leiseste Andeutung machen, er fühle sich auf übelste Art und Weise weg gemoppt. Weil die Nachfolger im Wartestand nicht wissen, wie viele dieser treuen Anhänger er in der CSU tatsächlich noch hat, können sie ihn weder bloß noch kalt stellen. Sie können es noch nicht!
Beim traditionsreichen Politiker-Derblecken auf dem Nockerberg hatten die CSU-Größen noch Grund zum Lachen. Monate ist es her. Und Monate wird es noch dauern, bis Edmund Stoiber seinen Rücktritt wahr macht:
"Ich werde mein Amt als bayerischer Ministerpräsident zum 30. September dieses Jahres abgeben."
Den Zeitpunkt seines Abgangs hat Stoiber selbst bestimmt. Am 28. September wird er 66. Als Amtierender will er Geburtstag feiern - mit einem rauschenden Fest auf dem Parteitag in München. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Ehrengast.
Nachfolger und Partei müssen warten. So viel Dank nach 14-jähriger Amtszeit muss sein.
"Man kann doch net einen Menschen, der diesen riesigen Erfolg für die CSU und für Bayern eingefahren hat wie Edmund Stoiber, net jetzt vom Hof jagen sozusagen. Es geht nicht schnell genug - also ich kann immer nur wieder sagen: Gelassenheit, Ruhe."
Der Bundeslandwirtschaftsminister predigt Geduld. Zumal auch Horst Seehofer noch Zeit braucht, sein verkorkstes Privatleben zu ordnen. A geschlampertes Verhältnis, wie man auf gut bayerisch sagt, könnte ihm die Chancen auf den CSU-Vorsitz verhageln.
Stimmen von der CDU-Basis:
Frau: "Er muss halt seine Privatsache in Ordnung bringen, wenn er glaubwürdig bleiben will."
Mann: "Manche werden sich davon beeinflussen lassen, ich nicht. Privatleben ist jedem seine Sache."
Frau: "Mir ist die Familie wichtig und heilig. Für mich spielt Treue auch eine große Rolle. Wenn man im Privatleben so handelt, denke ich, handelt man anderweitig auch so. Und für mich ist das durchaus auch ein Entscheidungskriterium."
Seine Gegner in der CSU hüllen sich in Schweigen. Öffentlich jedenfalls. Sie wissen auch so, wie die konservative Parteibasis denkt. Wie er sich entscheiden wird? Für seine Frau und drei Kinder in Ingolstadt oder für Freundin und Kind in Berlin? Solch private Fragen muss sich Seehofer gefallen lassen. Er versichert, bis zum Parteitag Ende September werde man es wissen. Das Schwadronieren über sein Privatleben ärgert ihn:
"Denn es geht einige wenige Personen direkt etwas an. Die Bevölkerung erwartet von mir, dass man dies verantwortungsvoll aufarbeitet. Das tun wir. Und alles, was da spekuliert oder bewertet wird, weil ich zum Beispiel mit meiner Frau gemeinsam beim Agrarrat auftrete, das ist … ja so von niedrigem Niveau. Ich kann mich nicht überwinden, dazu Stellung zu nehmen, weil es einfach zu flach ist."
Der parteiinterne Wahlkampf plätschert vor sich hin. Das Fußvolk muss sich ohnehin erst an den Gedanken gewöhnen, überhaupt mal die Wahl zu haben. Die Kampfkandidatur um den Parteivorsitz ist ein Novum bei der CSU. Der Ausgang offen.
CSU-Mitglieder:
Frau: "Ich glaube, der Seehofer hat mehr Charisma als der Huber."
Mann: "Ich habe nichts gegen Seehofer, aber mir ist der Huber als Mensch lieber, der spricht die Sprache des Volkes."
Mann: "Der Horst Seehofer steht für das S in der CSU. Er ist ein ausgesprochener Sozialpolitiker, der auch die Belange der kleinen Leute immer am richtigen Nerv erwischt."
Mann: "Wir stehen alle hinter unserem Huber-Erwin. Er ist ein Macher, da braucht man ein Rückrad und das hat unser Huber Erwin."
Mann: "Keinen von beiden, da gibt es momentan keinen, der den Stoiber ersetzen kann."
Erwin Huber, der Landeswirtschaftsminister, tingelt unermüdlich über die Dörfer. Er hat der gesamten Parteibasis Gesprächsangebote gemacht. Und taucht bei jedem noch so kleinen CSU-Ortsverband auf, um für sich zu werben:
"Ich weiß um die Größe der Aufgabe. Ich glaube, dass ich die Partei in- und auswendig gut kenne als Kreisvorsitzender, als Bezirksvorsitzender, als der Generalsekretär, der noch von Franz Josef Strauß 1988 in dieses Amt berufen wurde. Wenn die Zeit nach Edmund Stoiber da ist, dann werden die Belange Bayerns mit der gleichen Kraft, mit der gleichen Hartnäckigkeit, mit der gleichen Sturheit vertreten …"
Die Mühe, Wahlkampf-Sonderschichten einzulegen, macht sich Seehofer nicht. Warum auch? Er ist, das sagen die Umfragen, in Bayern bekannt und beliebt. Und bei der Bevölkerung liege er vor Huber, ist sich der 57-Jährige sicher.
"Ja gut, ich bin jetzt über 30 Jahre in der CSU aktiv. Da muss man bei einer innerparteilichen Wahl jetzt wirklich kein Schaulaufen veranstalten. Und zum zweiten, bin ich hochzufrieden mit dem, was ich an Umfrageergebnissen habe, und mit dem, was ich vor Ort bei den Menschen erlebe. Und da bin ich sehr, sehr zufrieden, es ist besser als je zuvor."
Dass im oberbayerischen Bierzelt jeder um sein Privatleben weiß, erträgt er gelassen. Seehofer hat ein breites Kreuz. Einen Einzelgänger, einen Ichling musste er sich nennen lassen. Einer, der in der Partei keine Freunde hat, der nur an die eigene Karriere denkt. Ein Querulant sei er, unzuverlässig dazu. Einer, der sich an keine Absprachen hält. Vorwürfe reihen sich an Vorwürfe, immer wieder wird Seehofer verbal beschossen - immer unter die Gürtellinie und immer anonym. Und immer wieder muss er sich rechtfertigen gegen nicht totzukriegende Gerüchte.
"Das hat der Parteivorsitzende ja auch richtiggestellt, was da alles wochenlang lief: 'Ich hätte ihn gedrängt, wieder zu kandidieren.' bis zu der Sorte 'Ich hätte ihn erpresst, um Bundesminister zu werden.' Es wird da doch sehr viel geredet und getuschelt."
Nur Ross und Reiter nennt Seehofer nicht. Die Büchsenspanner im Hintergrund bleiben unerkannt. Das Klima in der CSU ist von Misstrauen bestimmt. Feind, Todfeind, Parteifreund – der bekannte Dreiklang erhält fast täglich neue Nahrung. Mal kursieren Gerüchte über Geheimpläne, wonach Huber, wenn er Parteichef wird, Seehofer durch Michael Glos ersetzen will, um dann selbst Bundeswirtschaftsminister zu werden. Mal werden Meldungen platziert, Seehofer soll behauptet haben, er sei der Wunschkandidat von Edmund Stoiber.
"Der Versuch, dass ich versucht habe, Stoiber für mich zu vereinnahmen, ist auch wieder einer dieser Versuche, Zweitracht zu säen. Es steht über all dem der letzten Wochen ein Begriff: Zwietracht."
Um seine rhetorische Überlegenheit wissend, nahm der Bundesminister schnell die Einladung des Bayerischen Fernsehens zu einem TV-Duell an. Huber aber sagte ab mit der Begründung, er wolle die Diskussion mit Seehofer auf dem Parteitag und nicht ein paar Tage vorher im Fernsehen führen. Zu den Vorwürfen seines Kontrahenten allerdings kein Wort.
Huber: "Mir wird immer wieder gesagt, dass man an mir schätzt die Verlässigkeit, die Beharrlichkeit, die Zuverlässigkeit, die Glaubwürdigkeit. Aber ich bemühe mich, dass Wort und Tat übereinstimmen."
Parteifreund: "Herr Minister, wir brauchen unbedingt noch ein Foto."
Huber: "Manchen wir."
Mann: "Und dann brauche ich noch eine Unterschrift."
Huber: "Manchen wir auch. Über dem Stoiber. Das ist aber Ehre. Was soll ich draufschreiben?"
Mann: "Für Horst."
Huber: "Auch Horst. Ich mag alle, die Horst heißen. Dein Erwin Huber, schreibe ich. Dein?"
Mann: "Ja, dein."
Huber: "Alles Gute."
Mit solchen Charmeoffensiven hofft der Niederbayer, dass es auch bei den gut 1000 Delegierten auf dem Parteitag mehrheitlich heißt: Daumen hoch für Huber. Bei den CSU-Anhängern liegt er vorne, sagen aktuelle Umfragen. Bei vielen gilt der 60-Jährige deshalb als Favorit. Doch Seehofer wäre nicht Seehofer, wenn er jetzt aufgeben würde. Als Bundesminister sieht er sich klar im Vorteil.
"Sie dürfen ja nicht vergessen, dass 2/3 der Dinge, die für Bayern wichtig sind, in Berlin entschieden werden. Deshalb brauchen wir eine starke Stimme in Berlin. Wir dürfen uns hier nicht auf eine Kirchturmpolitik zurückziehen, sondern müssen Bayern auch auf dem großen Welttheater sehen. Und nur wenn wir beides berücksichtigen, die Deutschlandpolitik und die bayerische Identität, haben wir Erfolg."
Dass er Huber damit den Stempel "Provinzpolitiker" aufdrückt, kam nicht gut an in München. Hinter sich weiß der Günther Beckstein, den künftigen Ministerpräsidenten. Der Franke würde zwar auch mit Seehofer, wenn er müsste, lieber aber wäre ihm Huber. Denn damals, Mitte Januar in Kreuth, hatten die beiden des Nächtens Regierungsamt und Parteivorsitz unter sich aufgeteilt, was dann dazu führte, dass Stoiber aufgab.
"Dann halte ich es für dummes Geschwätz, dass man nur von der Berliner Bühne, nicht aber von der Bühne Münchens aus deutsche Politik entscheidend mit beeinflussen kann. Das ist nicht die Frage der Bühne, wo man steht, sondern eine Frage der Qualität, wo man steht."
Mit einem Interview aber ging Seehofer zu weit. Im "Stern" wurde er mit den Sätzen zitiert "Ich bin gut informiert. Ich weiß viel. Ich habe viel Material." Offenbar, so heißt es, sollen es Briefe von Frauen sein, die von ihren CSU-Männern verlassen wurden. Es las sich, als ob er mit den Enthüllungen über das Privatleben seiner parteiinternen Kritiker droht. In der CSU-Landtagsfraktion, wo Seehofer ohnehin nur wenige Freunde hat, war die Empörung groß. Er muss das klarstellen, entrüstete sich Parteivize Barbara Stamm.
"Selbst wenn er es nur im Hintergrund oder auch nur sehr flapsig gesagt hat, angesichts dessen, wie man hier mal eine Monika Hohlmeier kritisiert hat, wäre es für mich schon wichtig, dass man hier nicht mit zweierlei Maßstäben misst. Es ist nicht entscheidend, wer sagt jetzt irgendwas, sondern entscheidend ist einfach, was in einer Partei nicht stattfinden darf."
Monika Hohlmeier, die Tochter von Franz Josef Strauß, war ins politische Abseits gestürzt, weil sie Parteifreunden mit Bespitzelungen gedroht hatte. Auf Hohlmeier-Methoden reagiert man in der CSU seitdem allergisch.
Seehofer dementierte die im "Stern" zitierten Sätze ausdrücklich nicht! Aber aus dem Zusammenhang seien sie gerissen. Und als Drohung nie gedacht gewesen. Der Minister fühlt sich missverstanden – wieder mal.
"Es ist natürlich, dass nach den ganzen Vorgängen der letzten Monate mir auch eine Menge an Informationen über alles Mögliche dieser Welt zugespielt worden sind. Aber, ich habe das immer als eigentlich widerlich eingestuft, ich habe das nie verwertet und habe es auch in der Zukunft nie vor. Obwohl pausenlos über mich Spekulationen und Bewertungen in die Welt gesetzt werden, würde ich nie das gleiche umgekehrt machen mit anonymen oder offenen Hinweisen über andere zu versuchen, Politik zu machen."
Drei Monate dauert es noch bis zum Parteitag. Man muss kein Prophet sein: der Machtkampf wird noch viele schmutzige Schlagzeilen produzieren. Die CSU ist sich ihrer Mehrheit in Bayern einfach zu sicher.
Lied: "Weint nicht um mich Landeskinder, ihr habt mich im Stich gelassen. Ich war alleine in schwerer Stunde. Ihr seid gegangen, nie heilt die Wunde …"
Edmund Stoiber kann nicht loslassen. Sein Abschied zieht sich quälend lang hin. Er tingelt nicht nur unermüdlich durchs Land, er fällt auch Entscheidungen, die weit über seine Zeit hinausreichen. Er kündigt ein Regierungsprogramm mit Titel "Kinder, Bildung, Arbeit" an und verplant bis ins Jahr 2020 einige Milliarden. Von einem leisen Servus kann nicht die Rede sein. Stoiber diktiert der Partei sein Vermächtnis und seinem Nachfolger Beckstein, wo es lang zu gehen hat.
"Testament? Wir haben ja keine Thronfolge. Wir haben auch keinen Politikwechsel, sondern wir haben einen Personenwechsel, aber kein Politikwechsel. Und dass jetzt die Prioritäten gemeinsam festgelegt werden, ist auch kein Testament."
Und doch lässt sich Stoiber immer wieder in Szene setzen. Bundesweit erschienen Fotos einer Asienreise mit klaren Botschaften: Stoiber auf einem indischen Elefanten - strotzt nur so vor Energie. Stoiber neben einem Tiger – bleibt angriffslustig. Zuhause in Bayern machte sich Nervosität breit. Redet ihm sein Umfeld den Rücktritt vom Rücktritt ein?, fragte man sich besorgt. An der Spitze der Landtagsfraktion beobachtet man seit Jahren argwöhnisch, welch großen Einfluss seine Berater auf ihn haben. Wenn sich seine potenziellen Nachfolger öffentlich zerfleischen, sei es für die CSU allemal besser, der Alte bleibt. Solche Gerüchte kursierten in München. Die Quelle: die Staatskanzlei.
CSU-Mitglied: "Es wäre meines Erachtens Dummheit vom Stoiber. Er kann nicht offiziell erklären Rücktritt und dann machen wir Putsch, das glaube ich nicht. Er wird es halten, ich habe ihn nie anders kennengelernt, als dass Stoiber sein Wort auch gehalten hat. Das würde, glaube ich, die Partei vor so eine Zerreißprobe stellen, die sie nicht aushalten würde. Deswegen kann ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen."
Und doch, das Gerücht vom Rücktritt vom Rücktritt zeigte Wirkung. Die Landtagsfraktion möchte noch vor der Sommerpause Fakten schaffen. Sicher ist sicher. Und Beckstein mit offiziellem Votum als Nachfolger nominieren. Parteivize Barbara Stamm ist dafür, obwohl Stoiber dagegen ist:
"Ich will darüber keinen Krach und keinen Ärger. Entweder es ist einvernehmlich möglich, dann sollen wir es machen. Und wenn es einvernehmlich nicht möglich ist, dann lassen wir es halt. Weil darüber jetzt neue interne Diskussionen entfachen zu lassen, das will bestimmt auch Günther Beckstein nicht, dann lassen wir es eben."
Beckstein ist ein gebranntes Kind. Schon mal, Ende 2005, sah er sich auf dem MP-Posten sitzen. Dann aber wollte Stoiber doch nicht als Bundesminister in eine Merkel-Regierung gehen. Der 63-Jährige muss sogar froh sein, dass Stoiber den Posten ein Jahr vor den Landtagswahlen im Herbst 2008 räumt. Dass er ihm generös Zeit gewährt, sich als dann nächster Spitzenkandidat einen Amtsbonus zu erarbeiten, schmiert Stoiber seinem Nachfolger ständig aufs Brot. Der Franke muss sich gedulden. Und er muss schweigen.
"Wenn ich die Fähigkeit nicht hätte, auch aus Klugheit jetzt Geduld zu haben, wäre ich völlig ungeeignet für dieses Amt. Und drum ist es im Moment so, dass ich mir manchmal auch auf die Zunge beiße. Natürlich ist eine Übergangszeit über so eine lange Zeit eine Herausforderung, aber ich vermeide, dass in der Öffentlichkeit da auch nur kleine Unterschiede erkennbar werden, denn das würde sofort zu Auseinandersetzungen und Schwierigkeiten führen. Drum nur Ruhe. Wenn es nicht zu mehr Pannen kommt als in den letzten Wochen, liegen wir gut im Kurs."
Muss Beckstein die nervöse Fraktion beruhigen. Und Stoiber? Der sieht es und genießt. Warum er seinem Nachfolger immer wieder gegen das Schienbein tritt?, fragt man sich. Ist es die Rache für den Sturz von Kreuth? Ist es der Versuch, es Beckstein und Huber möglichst schwer zu machen, um selber umso glänzender dazustehen? Stoiber wird von Tag zu Tag unberechenbarer, je näher sein Abschied rückt.
"Wenn dieses Vermächtnis verändert wird, bekommt es jeder mit mir zu tun. Die Art und Weise lasse ich hier mal offen. Das sage ich ganz deutlich für die Zukunft."
Noch lässt man ihn gewähren. Denn keiner weiß, wie die, und dieser Ausdruck fällt wörtlich, "Hardcore-Stoiberianer" reagieren, sollte Stoiber auch nur die leiseste Andeutung machen, er fühle sich auf übelste Art und Weise weg gemoppt. Weil die Nachfolger im Wartestand nicht wissen, wie viele dieser treuen Anhänger er in der CSU tatsächlich noch hat, können sie ihn weder bloß noch kalt stellen. Sie können es noch nicht!

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