In den Fängen einer Sekte
Deborah Layton beschriebt in ihrem Buch „Selbstmord im Paradies“ eindrücklich die Innenansichten einer Sekte, sie schildert, wie charismatische Führer Menschen in die Abhängigkeit führen und bis zum kollektiven Selbstmord treiben. Und Layton fragt, weshalb trotz eindringlicher Warnungen Politiker und Medien dem Treiben der Sektenführer tatenlos zuschauen.
Der charismatische Führer ist perfekt getarnt: Er ist ein Prediger aus einer anerkannten christlichen Kirche. Er zitiert Martin Luther King, scharrt Schwarze um sich, baut Suppenküchen auf, begeistert mit Ideen von einer neuen Gerechtigkeit, bringt Reiche dazu, ihren Besitz für soziale Zwecke aufzugeben. Der Führer wird zum anerkannten Menschenrechtler, mit einer Aura, die Fremde sofort erobert. Er braucht nur das richtige psychologische Register zu ziehen: loben, aufwerten, einschüchtern, bedingungsloses Vertrauen zu sich aufbauen, Zwietracht unter den Anhängern säen. Hunderte liegen ihm zu Füßen, erkennen plötzlich den Sinn ihres Lebens in seiner Nachfolge, kappen – auf Anordnung – die Verbindung zum früheren Umfeld. Für Deborah Layton ist der Eintritt wie eine Wiedergeburt. Ihre Sekte heißt People's Temple. Doch der Name ist austauschbar.
Sekten funktionieren nach einem Grundmuster. Das ist nicht neu. Und doch nimmt die Zahl der Opfer nicht ab. Es ist ein Mythos zu glauben, nur die Orientierungslosen, Labilen fallen auf dubiose Menschenfänger ein. Jeder ist anfällig, wenn er Krisen durchmacht, starke Trauer erlebt, im Umbruch ist oder depressiv, sagen Sektenforscher. Geballte freundschaftliche Wärme, die einem entgegenschlägt, gerade, wenn man sich hilflos und verlassen fühlt, fasziniert und bindet. Die Meister der Täuschung wissen das auszunutzen. Auch die Oberschicht fällt bisweilen darauf herein. Deborah Layton nennt angesehene Politiker, die dem Führer des People's Temple sogar Ämter verschaffen. Sekten haben unheilige Allianzen aufgebaut. Das hat sie so mächtig gemacht. Juristisch versiert, finanziell unabhängig, politisch einflussreich, wissen sie Verlagshäuser unter Druck zu setzen, um kritische Literatur zu unterdrücken.
People's Temple hat sich bereits vor 28 Jahren selbst in einem Massenmord ausgelöscht. Das Szenario dazu hat die Autorin vor dem Vorfall mehrfach mitgeübt, im südamerikanischen Urwald von Guayana, wo die Sekte auf der Flucht vor eingebildeten Verfolgern und tatsächlichen kritischen Reportern ihre Zuflucht finden wollte. Das versprochene „Paradies“ entpuppte sich als ein Konzentrationslager. In den so genannten „Weißen Nächten“ muss die Gemeinschaft sich in Reih und Glied aufstellen und den Giftbecher trinken. Deborah Layton gesteht, dass sie sich nach den Strapazen der Arbeit im Dschungel, nach den perversesten Bestrafungen und Hetzjagden den Tod sogar wünscht. Sie überlebt. Sätze ihres leiblichen Vaters fallen ihr in den härtesten Momenten ein: Vergiss nie, eigene Fragen zu stellen und deinen Zweifeln nachzugehen. Solche Gedanken geben Kraft, stärken die eigene Urteilskraft. Die 25-Jährige beginnt nach neunjähriger Mitgliedschaft in der Sekte, sich vom Führer abzuwenden und ihre Flucht zielsicher zu planen.
Erst 20 Jahre nach der Befreiung erscheint Laytons autobiographische Reportage. Sie beschreibt plastisch, wie schnell sich die Schlinge um den Hals der Sektenanhänger zusammenzieht: Gehirnwäschen, Gruppendruck und eine totalitäre Organisation machen es nahezu unmöglich zu entkommen. Insbesondere, wenn sogar Außenstehende die Gefahr für das Leben der Opfer nicht begreifen. Laytons Bericht fragt: Warum gehen amerikanische Regierungsbeamte nicht auf die Warnungen von Aussteigern sofort ein? Warum berichten die Medien nur schleppend? Wie tief sind die Verstrickungen mit öffentlichen Funktionsträgern?
Erstaunlicherweise richtet sich die Wut der Außenstehenden meist auf die getäuschten Sektenmitglieder, die Opfer also. Die meisten Aussteiger tauchen unter – aus Angst vor Verfolgung und auch aus Scham. Deborah Layton verdient Achtung dafür, dass sie ihre Geschichte so schonungslos aufgearbeitet hat. Ein Buch, das auf fesselnde Weise aufklärt. Empfehlenswert für alle, die Gefahren durch Sekten herunterspielen. Der Massenmord des People's Temple ist kein Fall, der verjährt, sondern eine Mahnung, Gruppen, Kirchengemeinschaften, Organisationen und Vereine mit Absolutheitsanspruch kritischer zu behandeln.
Deborah Layton: Selbstmord im Paradies – Innenansichten einer Sekte
Übersetzt von Sibylle Mall
Parthas Verlag 2005
333 Seiten, 38.00 Euro
Sekten funktionieren nach einem Grundmuster. Das ist nicht neu. Und doch nimmt die Zahl der Opfer nicht ab. Es ist ein Mythos zu glauben, nur die Orientierungslosen, Labilen fallen auf dubiose Menschenfänger ein. Jeder ist anfällig, wenn er Krisen durchmacht, starke Trauer erlebt, im Umbruch ist oder depressiv, sagen Sektenforscher. Geballte freundschaftliche Wärme, die einem entgegenschlägt, gerade, wenn man sich hilflos und verlassen fühlt, fasziniert und bindet. Die Meister der Täuschung wissen das auszunutzen. Auch die Oberschicht fällt bisweilen darauf herein. Deborah Layton nennt angesehene Politiker, die dem Führer des People's Temple sogar Ämter verschaffen. Sekten haben unheilige Allianzen aufgebaut. Das hat sie so mächtig gemacht. Juristisch versiert, finanziell unabhängig, politisch einflussreich, wissen sie Verlagshäuser unter Druck zu setzen, um kritische Literatur zu unterdrücken.
People's Temple hat sich bereits vor 28 Jahren selbst in einem Massenmord ausgelöscht. Das Szenario dazu hat die Autorin vor dem Vorfall mehrfach mitgeübt, im südamerikanischen Urwald von Guayana, wo die Sekte auf der Flucht vor eingebildeten Verfolgern und tatsächlichen kritischen Reportern ihre Zuflucht finden wollte. Das versprochene „Paradies“ entpuppte sich als ein Konzentrationslager. In den so genannten „Weißen Nächten“ muss die Gemeinschaft sich in Reih und Glied aufstellen und den Giftbecher trinken. Deborah Layton gesteht, dass sie sich nach den Strapazen der Arbeit im Dschungel, nach den perversesten Bestrafungen und Hetzjagden den Tod sogar wünscht. Sie überlebt. Sätze ihres leiblichen Vaters fallen ihr in den härtesten Momenten ein: Vergiss nie, eigene Fragen zu stellen und deinen Zweifeln nachzugehen. Solche Gedanken geben Kraft, stärken die eigene Urteilskraft. Die 25-Jährige beginnt nach neunjähriger Mitgliedschaft in der Sekte, sich vom Führer abzuwenden und ihre Flucht zielsicher zu planen.
Erst 20 Jahre nach der Befreiung erscheint Laytons autobiographische Reportage. Sie beschreibt plastisch, wie schnell sich die Schlinge um den Hals der Sektenanhänger zusammenzieht: Gehirnwäschen, Gruppendruck und eine totalitäre Organisation machen es nahezu unmöglich zu entkommen. Insbesondere, wenn sogar Außenstehende die Gefahr für das Leben der Opfer nicht begreifen. Laytons Bericht fragt: Warum gehen amerikanische Regierungsbeamte nicht auf die Warnungen von Aussteigern sofort ein? Warum berichten die Medien nur schleppend? Wie tief sind die Verstrickungen mit öffentlichen Funktionsträgern?
Erstaunlicherweise richtet sich die Wut der Außenstehenden meist auf die getäuschten Sektenmitglieder, die Opfer also. Die meisten Aussteiger tauchen unter – aus Angst vor Verfolgung und auch aus Scham. Deborah Layton verdient Achtung dafür, dass sie ihre Geschichte so schonungslos aufgearbeitet hat. Ein Buch, das auf fesselnde Weise aufklärt. Empfehlenswert für alle, die Gefahren durch Sekten herunterspielen. Der Massenmord des People's Temple ist kein Fall, der verjährt, sondern eine Mahnung, Gruppen, Kirchengemeinschaften, Organisationen und Vereine mit Absolutheitsanspruch kritischer zu behandeln.
Deborah Layton: Selbstmord im Paradies – Innenansichten einer Sekte
Übersetzt von Sibylle Mall
Parthas Verlag 2005
333 Seiten, 38.00 Euro