"In den ersten drei Nächten war bei uns absoluter Tumult"
Die Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Mona Abou-Zeid, erlebt die gegenwärtigen Unruhen in einem Vorort von Kairo. In den ersten Tagen sei "wegen der Panik" in den Geschäften Vieles ausverkauft gewesen, sagt Abou-Zeid.
Marietta Schwarz: Wir wenden uns noch einmal den Unruhen in Ägypten zu. Noch ist es offenbar ruhig auf den Straßen Kairos, doch es könnte nach dem Freitagsgebet wieder zu Ausschreitungen kommen. Schließlich läuft das Ultimatum, das die Oppositionsbewegung Präsident Mubarak gestellt hat, heute aus.
Mona Abou-Zeid ist Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, früher GTZ, jetzt GIZ. Sie lebt in einem Vorort von Kairo und bekommt wie jeder andere Ägypter derzeit die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Alltag am eigenen Leib zu spüren. Guten Morgen, Frau Abou-Zeid.
Mona Abou-Zeid: Guten Morgen.
Schwarz: Sie wohnen etwas außerhalb des Zentrums, in so einer Art Gated Community, und Sie sind wahrscheinlich froh, nicht im Auge des Taifuns derzeit zu sein. Fühlen Sie sich sicher?
Abou-Zeid: Im Moment etwas sicherer als am Anfang. Am Anfang gab es ja die freigelassenen Gefangenen und bei uns in der Nähe, ungefähr 80 Kilometer entfernt, ist ein Gefängnis und aus dem sind Gefangene entkommen. In den ersten drei Nächten war bei uns absoluter Tumult, und es wurden auch Leute festgenommen, und wir haben uns sehr unsicher gefühlt. Inzwischen ist es etwas ruhiger geworden. Inzwischen wenden sich unsere Augen vielmehr dem zu, was am Tahrir-Platz passiert, und wir machen uns Sorgen um die Zukunft Ägyptens.
Schwarz: Bevor wir auf den Tahrir-Platz zu sprechen kommen, Frau Abou-Zeid, wie sieht Ihr Alltag derzeit aus? Können Sie denn überhaupt noch vor die Tür gehen?
Abou-Zeid: Man kann vor die Tür gehen, in der Zeit, wo es keine "Köfju" – was ist "Köfju" auf Deutsch? -, wo man sich frei bewegen darf, und das ist meistens zwischen 8 Uhr und 3 Uhr oder 8 Uhr und 5 Uhr, je nachdem wie die Situation ist. Leute fahren morgens schnell einkaufen. Inzwischen gibt es wieder etwas besser Sachen zu kaufen als in der ersten Woche. Ich nehme an, wegen der Panik war vieles ausverkauft. Benzin ist schwierig zu bekommen, deswegen fährt man auch so wenig wie möglich herum. Wir bewegen uns praktisch in dem Compound, in dem Grundstück zwischen den Häusern und gehen möglichst wenig heraus. Draußen stehen Panzer. Man fühlt sich sehr gefährdet und unwohl.
Schwarz: Für die Sicherheit der Bürger in Ägypten gibt es ja inzwischen sogenannte Bürgerwehren. Davon haben wir hier einiges gehört.
Abou-Zeid: Ja.
Schwarz: Wie sind die denn entstanden? Wie haben sie sich formiert und wie wussten Sie zum Beispiel, dass Sie den Menschen, die Ihr Viertel bewachen, vertrauen können?
Abou-Zeid: Bei uns ist es ja einfach, weil wir ein Grundstück sind und es gibt Bewohner auf diesem Grundstück und die sind bekannt und denen vertraut man dann. Man muss ihnen vertrauen, weil man eben der Polizei nicht mehr vertrauen kann. Ich bin im Moment bei meinen Eltern. Das ist eigentlich nicht mein Zuhause. Mein Zuhause ist in der Stadt, aber am Freitag, dem 25., bin ich hier hergekommen, weil ich gedacht habe, dass ich hier sicherer bin. In der Stadt ist es genauso abgelaufen. Die ganzen Leute in einer Straße, die kennen sich, wenigstens die Gesichter, teilweise auch mit Namen und sind Freunde, und die Bewohner jeder Straße sichern ihre eigene Straße.
Das heißt praktisch, dass junge Leute im Alter zwischen 17 und, ich nehme an, 40, vielleicht auch bis 50 sich aufgeteilt haben, nachts die Straßen zu bewachen, also jeder 5 Stunden, und dann haben sie Knüppel oder, wer dann doch ein Gewehr hat, oder Stangen. Sie haben dann nachts die Häuser bewacht, und das geschah wirklich in allen Vierteln Ägyptens, in den armen, in den reichen, in den Gated Communities, in der Stadtmitte, überall. Und das ist das, was auch eine irre Hochstimmung dann erzeugt hat, weil die Leute gemerkt haben, wir können es, wir können uns gegenseitig schützen, wir halten zusammen und wir sind ein Ägypten, und eine irre Freiheitsstimmung ist aufgekommen.
Schwarz: Frau Abou-Zeid, was ist denn nach diesen Ausschreitungen, nach den blutigen Ausschreitungen der vergangenen Tage von dieser positiven Stimmung noch übrig geblieben?
Abou-Zeid: Ziemlich wenig. Gestern und vorgestern hat alle Ägypter unheimlich deprimiert und hat auch die Aussichtslosigkeit der Situation, das Gefühl der Aussichtslosigkeit hervorgebracht. Und das allerschlimmste: Es sind jetzt verschiedene Meinungen entstanden. Es gibt jetzt die Leute, die meinen, mit Mubaraks Rede, ich glaube, am 1. Februar abends, das sei genug. Er hat gesagt, er trete zurück, er trete zurück am Ende seiner Phase, also in acht Monaten.
Schwarz: Im Herbst.
Abou-Zeid: Ja, und das hat den Leuten gereicht. Sie haben gemeint, das ist jetzt guter Wille vom Präsidenten, und er war lange bei uns, so ein väterliches Gefühl, und jetzt müsse wieder Frieden und Ruhe und Ordnung in den Straßen sein. Und eine andere Gruppe, die meint, wir können dem nicht mehr vertrauen, warum geht er nicht gleich, nein, wir müssen das jetzt durchhalten bis zum harten Ende.
Ich meine verschiedene Meinungen nicht zwischen meinen Freunden und anderen Leuten oder so. Nein, unter den Freunden. Unter den Nachbarn, unter den Freunden, überall sind verschiedene Meinungen, und es ist so heftig, dass gestern sogar ein Papier ausgeteilt wurde hier im Compound, worauf stand, wir sollen nicht darüber streiten, sondern wir sollen zusammenhalten und uns um unsere Sicherheit kümmern und nicht jetzt in einen Krieg von Meinungen verfallen.
Schwarz: Wie geht es Ihnen denn damit? Wünschen Sie sich die Normalität, wie sie vorher war, zurück?
Abou-Zeid: Ich muss sagen, ich glaube, hier müssen wir durch, auch wenn wir alle leiden müssen. Ich wünsche mir natürlich die Normalität, aber unter den jetzigen Umständen wird es keine Normalität mehr geben. Es geht nicht mehr dahin, wo es war, und jetzt muss es wirklich zum harten Ende durch, meiner Meinung nach, und das kann bedeuten, dass harte Zeiten auf Ägypten zukommen. Also ich spreche nicht von Monaten, sondern ich spreche eventuell von Jahren.
Schwarz: Mona Abou-Zeid. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute. Danke für das Gespräch.
Abou-Zeid: Vielen Dank auch.
Mona Abou-Zeid ist Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, früher GTZ, jetzt GIZ. Sie lebt in einem Vorort von Kairo und bekommt wie jeder andere Ägypter derzeit die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Alltag am eigenen Leib zu spüren. Guten Morgen, Frau Abou-Zeid.
Mona Abou-Zeid: Guten Morgen.
Schwarz: Sie wohnen etwas außerhalb des Zentrums, in so einer Art Gated Community, und Sie sind wahrscheinlich froh, nicht im Auge des Taifuns derzeit zu sein. Fühlen Sie sich sicher?
Abou-Zeid: Im Moment etwas sicherer als am Anfang. Am Anfang gab es ja die freigelassenen Gefangenen und bei uns in der Nähe, ungefähr 80 Kilometer entfernt, ist ein Gefängnis und aus dem sind Gefangene entkommen. In den ersten drei Nächten war bei uns absoluter Tumult, und es wurden auch Leute festgenommen, und wir haben uns sehr unsicher gefühlt. Inzwischen ist es etwas ruhiger geworden. Inzwischen wenden sich unsere Augen vielmehr dem zu, was am Tahrir-Platz passiert, und wir machen uns Sorgen um die Zukunft Ägyptens.
Schwarz: Bevor wir auf den Tahrir-Platz zu sprechen kommen, Frau Abou-Zeid, wie sieht Ihr Alltag derzeit aus? Können Sie denn überhaupt noch vor die Tür gehen?
Abou-Zeid: Man kann vor die Tür gehen, in der Zeit, wo es keine "Köfju" – was ist "Köfju" auf Deutsch? -, wo man sich frei bewegen darf, und das ist meistens zwischen 8 Uhr und 3 Uhr oder 8 Uhr und 5 Uhr, je nachdem wie die Situation ist. Leute fahren morgens schnell einkaufen. Inzwischen gibt es wieder etwas besser Sachen zu kaufen als in der ersten Woche. Ich nehme an, wegen der Panik war vieles ausverkauft. Benzin ist schwierig zu bekommen, deswegen fährt man auch so wenig wie möglich herum. Wir bewegen uns praktisch in dem Compound, in dem Grundstück zwischen den Häusern und gehen möglichst wenig heraus. Draußen stehen Panzer. Man fühlt sich sehr gefährdet und unwohl.
Schwarz: Für die Sicherheit der Bürger in Ägypten gibt es ja inzwischen sogenannte Bürgerwehren. Davon haben wir hier einiges gehört.
Abou-Zeid: Ja.
Schwarz: Wie sind die denn entstanden? Wie haben sie sich formiert und wie wussten Sie zum Beispiel, dass Sie den Menschen, die Ihr Viertel bewachen, vertrauen können?
Abou-Zeid: Bei uns ist es ja einfach, weil wir ein Grundstück sind und es gibt Bewohner auf diesem Grundstück und die sind bekannt und denen vertraut man dann. Man muss ihnen vertrauen, weil man eben der Polizei nicht mehr vertrauen kann. Ich bin im Moment bei meinen Eltern. Das ist eigentlich nicht mein Zuhause. Mein Zuhause ist in der Stadt, aber am Freitag, dem 25., bin ich hier hergekommen, weil ich gedacht habe, dass ich hier sicherer bin. In der Stadt ist es genauso abgelaufen. Die ganzen Leute in einer Straße, die kennen sich, wenigstens die Gesichter, teilweise auch mit Namen und sind Freunde, und die Bewohner jeder Straße sichern ihre eigene Straße.
Das heißt praktisch, dass junge Leute im Alter zwischen 17 und, ich nehme an, 40, vielleicht auch bis 50 sich aufgeteilt haben, nachts die Straßen zu bewachen, also jeder 5 Stunden, und dann haben sie Knüppel oder, wer dann doch ein Gewehr hat, oder Stangen. Sie haben dann nachts die Häuser bewacht, und das geschah wirklich in allen Vierteln Ägyptens, in den armen, in den reichen, in den Gated Communities, in der Stadtmitte, überall. Und das ist das, was auch eine irre Hochstimmung dann erzeugt hat, weil die Leute gemerkt haben, wir können es, wir können uns gegenseitig schützen, wir halten zusammen und wir sind ein Ägypten, und eine irre Freiheitsstimmung ist aufgekommen.
Schwarz: Frau Abou-Zeid, was ist denn nach diesen Ausschreitungen, nach den blutigen Ausschreitungen der vergangenen Tage von dieser positiven Stimmung noch übrig geblieben?
Abou-Zeid: Ziemlich wenig. Gestern und vorgestern hat alle Ägypter unheimlich deprimiert und hat auch die Aussichtslosigkeit der Situation, das Gefühl der Aussichtslosigkeit hervorgebracht. Und das allerschlimmste: Es sind jetzt verschiedene Meinungen entstanden. Es gibt jetzt die Leute, die meinen, mit Mubaraks Rede, ich glaube, am 1. Februar abends, das sei genug. Er hat gesagt, er trete zurück, er trete zurück am Ende seiner Phase, also in acht Monaten.
Schwarz: Im Herbst.
Abou-Zeid: Ja, und das hat den Leuten gereicht. Sie haben gemeint, das ist jetzt guter Wille vom Präsidenten, und er war lange bei uns, so ein väterliches Gefühl, und jetzt müsse wieder Frieden und Ruhe und Ordnung in den Straßen sein. Und eine andere Gruppe, die meint, wir können dem nicht mehr vertrauen, warum geht er nicht gleich, nein, wir müssen das jetzt durchhalten bis zum harten Ende.
Ich meine verschiedene Meinungen nicht zwischen meinen Freunden und anderen Leuten oder so. Nein, unter den Freunden. Unter den Nachbarn, unter den Freunden, überall sind verschiedene Meinungen, und es ist so heftig, dass gestern sogar ein Papier ausgeteilt wurde hier im Compound, worauf stand, wir sollen nicht darüber streiten, sondern wir sollen zusammenhalten und uns um unsere Sicherheit kümmern und nicht jetzt in einen Krieg von Meinungen verfallen.
Schwarz: Wie geht es Ihnen denn damit? Wünschen Sie sich die Normalität, wie sie vorher war, zurück?
Abou-Zeid: Ich muss sagen, ich glaube, hier müssen wir durch, auch wenn wir alle leiden müssen. Ich wünsche mir natürlich die Normalität, aber unter den jetzigen Umständen wird es keine Normalität mehr geben. Es geht nicht mehr dahin, wo es war, und jetzt muss es wirklich zum harten Ende durch, meiner Meinung nach, und das kann bedeuten, dass harte Zeiten auf Ägypten zukommen. Also ich spreche nicht von Monaten, sondern ich spreche eventuell von Jahren.
Schwarz: Mona Abou-Zeid. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute. Danke für das Gespräch.
Abou-Zeid: Vielen Dank auch.