In den Bergen und auf Schlachthöfen

15.01.2013
Arnold Höllriegel alias Richard A. Bermann nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise. Er ist Ende der 1920er Jahre durch Nordamerika gereist, hat einen Tabakfarmer und Regenmacher getroffen und erzählt sehr persönlich. Er diskutiert in einem imaginären Zwiegespräch mit einem Indianer über den Verkauf Manhattans an die Weißen, verharrt aber nicht in dem, was wir heute "politisch korrekt" nennen. Sein "Amerika-Bilderbuch" ist originell, kritisch und plastisch.
Kaum mehr bekannt ist er heute: Richard A. Bermann, 1883 geboren, österreichischer Journalist und Schriftsteller, der seit 1911 seine Artikel und Bücher unter dem Namen Arnold Höllriegel heraus brachte und seinerzeit eine Institution des deutschsprachigen Feuilletons war.

Sein "Amerika-Bilderbuch" erscheint in der vorliegenden Form zum ersten Mal. Es versammelt Texte, die der Autor 1928 und 1931 auf seinen Reisen durch Nordamerika verfasst hat. Ursprünglich erschienen sie in Wiener, Prager und Berliner Zeitungen. Zu einer von Höllriegel geplanten Veröffentlichung in Buchform kam es damals jedoch nicht. Der Germanist Michael Grisko hat die Texte aus Höllriegels Nachlass nun ediert, mit einem eigenen Essay ergänzt sowie mit Fotos von Hans G. Casparius, der Höllriegel auf seiner Reise 1931 begleitete.

Auch die Fotos werden hier erstmals publiziert. Man sieht auf ihnen unter anderem den Autor bei der Schiffspassage und den Blick von Bord auf Ellis Island - klassische Motive, die Höllriegel in seinen Texten jedoch auslässt. Er beginnt direkt in Manhattan: Im 17. Stock eines Hotels sitzt er im Lehnstuhl, raucht Zigarre und unterhält sich mit einem Indianer - den er in einer Ecke des Raums imaginiert - über den Verkauf der Insel Manhattan an den weißen Mann. War es nun ein gutes oder ein schlechtes Geschäft?

Gleich der Einstieg verdeutlicht, was Höllriegel auszeichnet: der persönliche Zugang zum Thema, die Begegnung mit Menschen als Auslöser, das Erzählen lebendiger Situationen, die Zusammenführung aktueller Ereignisse mit historischem Wissen.

"Warum liegt mein roter Bruder nicht in seinem Grab, mit den Schätzen, mit denen man ihn begraben hat, die ein Teil waren des Kaufpreises von Manhattan? Ach. Die Bleichgesichter haben das Grab ja doch aufgebuddelt, beim Bau irgendeiner Subway, und die Schätze in ihr Museum gebracht; dort liegen die Axt und die Tonpfeifen, um die New York erkauft worden ist. Nicht einmal behalten durfte sie der Mohawk."

Für einen Europäer um 1930 ein eher seltener Blick auf die Verhältnisse. Doch Höllriegel verharrt nicht in einer Betrachtungsweise, die wir heute als "politisch korrekt" bezeichnen würden. Am Ende des Textes zieht er den Schluss, dass der Indianer ein gutes Geschäft gemacht habe - Holländer, Deutsche, Puritaner und polnische Juden, kurz: Amerikaner, führten sich heute selber auf wie die Indianer:

"Diese biedere Naivität, diese ungeschminkte huronische Herzlichkeit, dieses Geheul um den richtigen Marterpfahl, an dem sie im Süden die gelynchten Neger lebendig braten ... "

Höllriegel ist ein "Sammler und Ordner von Eindrücken" ( Alfred Polgar), ein wunderbarer Stilist, der den Leser genauso animiert in die Schlachthöfe von Chicago führt wie in den "Tabaktempel" Alfred Dunhills, über kalifornische Landstraßen oder zu den Regenmachern vom Grand Canyon. Sein "Amerika-Bilderbuch" ist originell, kritisch und plastisch, ein historisches Dokument, das eine Frische versprüht, die stärker anregt als viele der heutigen Reiseschilderungen.

Besprochen von Carsten Hueck

Arnold Höllriegel: "Amerika-Bilderbuch"
Herausgegeben von Michael Grisko im Auftrag des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek
Wallstein Verlag, Göttingen 2012
190 Seiten, 19,90 Euro
Mehr zum Thema