In Bewegung setzen mit Roboterskelett

Von Gerrit Stratmann · 30.10.2012
Am Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum kommt seit Kurzem High-Tech aus Japan zum Einsatz. Im September wurde dort das "Zentrum für neurorobotales Bewegungstraining" eröffnet. Mit Hilfe von neuartigen Roboterskeletten sollen Menschen mit Gehbehinderung mobilisiert werden.
Im Klinikum Bochum werden diese Exoskelette das erste Mal außerhalb von Japan eingesetzt. Die von der japanischen Firma Cyberdyne entwickelten Roboterbeine nehmen dem Patienten das Gehen nicht einfach ab, sondern messen die verbliebene Muskelaktivität in den Beinen und unterstützen das Gehen nur soweit es nötig ist.

"Ich hab zuhause einen Rollator, da kann ich ein paar Schritte mit machen, und eine Vierpunktstütze für draußen. Wenn ich mir meinen Rollstuhl in den Kofferraum reintue, damit ich nach vorne zum Fahrersitz laufen kann, dann mach ich eben ein paar Schritte."

Ein paar Schritte, das ist alles, was Dietmar Maring seit seinem Motorradunfall vor 16 Jahren noch mit Stützen schafft. Ansonsten ist der 41-jährige auf seinen Rollstuhl angewiesen. Querschnittslähmung, lautete die niederschmetternde Diagnose. Nur ein paar Muskeln im Oberschenkel kann er noch kontrollieren. Zu wenig zum Laufen, aber genug, um mit dem neuen Roboterskelett am Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum seine Beweglichkeit wieder zu steigern. Thomas Schildhauer, Ärztlicher Direktor der Chirurgie am Bergmannsheil, hat dort das "Zentrum für neurorobotales Bewegungstraining" eröffnet.
"Dadurch, dass die Patienten jetzt mit so einem Roboter trainieren, trainieren wir zum einen die Muskeln wieder auf, die einfach nur nicht genügend Impulse bekommen, aber vom Prinzip her ja funktionsfähig sind. Dadurch werden die Patienten wieder in ihrem Gesamt-Trainingsniveau deutlich besser und können auch wieder Funktionen durchführen und Bewegungsmuster durchführen, die sie vorher schon lange nicht mehr machen konnten."

Roboterstützen, die beim Aufstehen oder Treppen steigen die Beine unterstützen, werden mittlerweile von verschiedenen Herstellern weltweit angeboten. Das Besondere an HAL, dem Exoskelett der japanischen Firma Cyberdyne, ist, dass HAL nicht von außen über einen Joystick, durch Gesten oder durch Bewegungen des Oberkörpers gesteuert wird. HAL wird über Sensoren quasi direkt an das Nervensystem der Patienten angeschlossen.
"Das sind Elektroden, die man auf die Haut aufsetzt, und die nehmen durch die Haut die Impulse, die Nervenimpulse letztendlich, die in der Muskulatur enden, wahr, und lösen dann die Bewegung des Roboters aus. Das kann man ja im Prinzip an jedem Muskel ansetzen, und wenn dieser Muskel aktiviert wird, dann bewegt er damit die Maschine."

Der Vorteil dieser Methode: Die Steuerung der Maschine muss nicht erlernt werden. Die Muskelsignale werden von einem Computer interpretiert und durch Motoren in ein natürliches Gangbild umgesetzt. Bevor Dietmar Maring sich mit den Roboter-Beinstützen auf das Laufband stellen kann, muss er jedoch zuerst in einen Haltegurt schlüpfen.
"Dieser Gurt dient zur Absicherung, dass einfach eine gewisse Sturzprophylaxe gegeben ist, das heißt, dass jeder Proband soweit gesichert ist, falls er ins Stolpern gerät, und Schlimmes vermieden wird."

Physiotherapeutin Irene Lange betreut die bislang fünf gehbehinderten Patienten, die in Bochum mit den Roboterbeinen trainiert werden. Zehn Minuten dauert es etwa, bis sie und Dietmar Maring das rund 15 kg schwere Exoskelett sicher an seine Beine und um seine Hüfte geschnallt haben. Dann kann er die ersten Schritte auf dem Laufband machen.
Das wöchentliche Training zeigt schon nach kurzer Zeit spürbare Erfolge.
"Im Laufe der Wochen, also von Anfang bis zum Ende der drei Monate, die wir die Patienten hier betreuen, hat man schon deutliche Unterschiede in der Gehstrecke gesehen, das heißt, dass die anfangs 150, 200 Meter gelaufen sind und hinterher bis zu 1000, 1200 Meter schon schaffen in einer relativ überschaubaren Zeit. Die Gehgeschwindigkeit hat sich verändert und, ja, die allgemeine Belastbarkeit. Und das ist schon toll zu sehen."

Nach zehn Minuten werden Puls und Blutdruck kontrolliert. Dann geht es in die zweite Runde. Erschöpft ist Dietmar Maring noch lange nicht.
"Dadurch, dass der Roboter das Meiste macht, ist es relativ gut. Also ich kann auch kleine Schritte machen, oder ich kann auch große Schritte machen, also ich muss das Gerät schon selber steuern."

Irene Lange:

"Wenn er stoppen würde, würde das Gerät anhalten. Es ist abhängig von seiner Bewegung. Er wird nicht gegangen, sondern er geht. Und das ist schon der große Unterschied zu anderen Exoskeletten, die im Moment auf dem Markt sind. Ich hab auch mal in dem Gerät gestanden und ich muss sagen, es fühlt sich ein bisschen an wie elektrisches Fahrradfahren. Es ist ein erleichtertes Gehen im Prinzip, und ich kann mir vorstellen, dass jemand, der maximal 5 Minuten am Stück gehen kann, jetzt auf einmal auch 30 Minuten schafft, dass es eine positive Erfahrung ist."

Für Zuhause oder als Gehhilfe auf der Straße sind die Roboterbeine allerdings noch nicht geeignet, ebenso wenig wie für Patienten ohne Muskelaktivität in den Beinen. Es ist, betont Professor Schildhauer, vor allem ein Trainingsgerät.
"Wenn so etwas ins Gespräch kommt, weckt das natürlich sehr viele Hoffnungen. Und hier muss man aufpassen. Wir wissen ja im Moment noch gar nicht, welche Möglichkeiten wirklich drinstecken, welcher Trainingsaufwand wirklich notwendig ist über welchen Zeitraum und welche Intensität. Und das sind die ersten Fragen, die wir überhaupt in den ersten Patientengruppen und Studien untersuchen."

Dietmar Maring ist froh, unter den ersten Probanden zu sein, die das Gerät aus Japan testen können. Für ihn hat es sich jetzt schon gelohnt.
"Ich fühl' die Füße jetzt nicht so richtig. Also ich muss immer schon zuschauen, was meine Füße machen, aber es ist ungefähr so wie früher, denke ich mal."


Mehr Informationen zu Exoskeletten auf dradio.de:

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