In 80 Tagen um sich selbst

29.08.2008
Beschreibungen, bei denen dem Leser das Herz aufgeht - das lbietet Helge Timmerberg in seinem Buch "In 80 Tagen um die Welt". Der Reisejournalist folgt der Route von Phileas Fogg aus Jules Vernes berühmtem Roman und beschreibt sehr subjektiv seine Erlebnisse, manchmal allerdings so subjektiv, dass es beinah nervt.
"In 80 Tagen um die Welt" ist eines der berühmtesten Bücher von Jules Verne, dessen Geburtstag sich im Februar zum 180. Mal jährte. Es beschreibt die Weltreise des Exzentrikers Phileas Fogg, der, verfolgt von einem Detektiv, welcher ihn für einen Bankräuber hält, per Schiff, im Heißluftballon, in der Eisenbahn oder auch auf dem Rücken eines Kamels und eines Elefanten den Erdball umrundet. Fogg gewinnt die Wette gegen seine Freunde aus dem Club, und er gewinnt, so heißt es bei Jules Verne, das Glück - in Gestalt einer schönen Inderin.

Helge Timmerberg hat nun ebenfalls ein Buch mit dem Titel "In 80 Tagen um die Welt" veröffentlicht. Das aber ist mitnichten eine Abenteuergeschichte wie die von Jules Verne, kein Roman wie das Vorbild, sondern eine Reportage, in der der Autor in etwa der Route von Phileas Fogg folgt.

Seine Hauptperson ist auch kein spleeniger Londoner, seine Hauptperson ist er selbst, denn Helge Timmerbergs Hauptperson ist immer Helge Timmerberg. Genau das hat ihn nämlich bekannt gemacht - und weit gebracht.

Timmerberg ist Journalist und ein bekennender Reisender. Mit 17 brach er zu Hause auf und reiste auf dem Landweg nach Indien. Reisen und Drogen brachten ihm eine Erleuchtung: Er will Journalist werden. Er macht ein Volontariat in der westfälischen Heimat und geht dann wieder auf Reisen. Dabei schreibt er große Reportagen: Für den stern, für Twen, Tempo, Merian und Geo.

Diese Reportagen waren zumeist so wie auch sein neues Buch ist: Gnadenlos subjektiv, immer in der Ich-Form, immer steht das eigene Erleben im Mittelpunkt. Reales vermischt sich mit Autobiografischen, mit eigenen Gedanken oder auch Fiktivem.

"New Journalism" oder "Gonzo-Journalism" nannte man das ab den 1970er Jahren; der Begründer des Gonzo-Journalismus' war der Amerikaner Hunter S. Thompson. Seiner Meinung nach mischte der Gonzo-Journalismus das "Talent eines wahrlich großen Journalisten, das Auge eines Künstlers und Photographen und die Eier eines Schauspielers".

Timmerberg ist in Deutschland der Großmeister dieses Gonzo-Journalismus’.

Deshalb könnte man sein Buch auch "In 80 Tagen um das eigene Ich" nennen. Er beschreibt seine Ängste bei der Abreise, seine ständige Suche nach Raucherzonen und Alkohol, wie er sich vor Kreta ins Mittelmeer übergibt, in Bangkok Crack raucht und zu Schopenhauer findet und ihm auf dem Massagetisch eine Rippe gebrochen wird. Die Welt existiert für ihn nur durch das Selbsterlebte, Selbstgesehene und in der eigenen Sichtweise.
Konsequenterweise teilt er die Welt deshalb auch nach seinen Gefühlslagen ein. Das Buch ist dreiteilig. Im ersten, Europa, verfolgen ihn die Dämonen der Reise. Timmerberg bricht auf, obwohl er eigentlich nicht will - er hat Angst und sieht sich selbst schon angekettet in einem rattenverseuchten ägyptischen Knast und in einem in den laotischen Bergen abstürzenden Bus.

In Asien, dem zweiten Teil, trifft er die Lehrer, die ihm beibringen, seinen Gefühlen zu folgen und Gelassenheit zu entwickeln, wo er sie braucht. Der dritte Teil heißt "die Piraten" und hier ist er wieder in seinem Element: Reiselustig und angstfrei genießt er die Fremde. In Mexiko-Stadt fühlt er sich "wie neugeboren in einem schönen und wilden Leben, in einem schönen und wilden Land".

Auch an allen anderen Orten schreibt auf, wie er sich fühlt - mitunter ist diese dauernde Innenansicht erstaunlich komisch, mitunter aber nervt sie. Zu oft ist es derselbe Dreiklang: rauchen, trinken, reisen. Griechenland und Mexiko sind toll, weil dort alle rauchen, Kalifornien wird wegen der dortigen Rauchverbote aus der Reiseroute gestrichen, Irland ist deswegen furchtbar. Manchmal möchte man Timmerberg zurufen: Nun nimm Dich und Deine Nikotinsucht mal nicht so wichtig.

Dann aber versöhnt einen der Autor wieder mit wundervollen Beobachtungen und Beschreibungen - Beschreibungen, bei denen dem Leser das Herz aufgeht. Sensibel, wortgewaltig, gefühlvoll, aber nie kitschig, an den richtige Stellen romantisch und an den richtigen zynisch. Stark sind vor allem die Textpassagen, in denen er nicht nur über sich selbst, sondern auch über die Orte schreibt:

"Über die Gassen von Venedig, wie sie wirken und dass die Stadt nur als Paar erlebt werden kann."

"Über einen Sonnenaufgang über der Ägäis."

"Über die Transithalle im Kairoer Flughafen."


Weitere Beispiele finden sich zuhauf, denn eines kann Timmerberg wirklich: Schreiben. Timmerbergs Sprache hat Tempo. Das verführt zum schnellen Lesen, es saugt den Leser an, man liest und liest - und überliest auch viel. Um das zu vermeiden und auch, weil sonst die Ich-Perspektive doch zu sehr nervt, sollte man die Lektüre vielleicht auf ein Kapitel pro Tag beschränken und sich Zeit für das Buch nehmen.

Wie Jules Vernes Held Phileas Fogg findet auch Timmerberg am Ende der 80 Tage das Glück. Das Glück heißt bei ihm: Nicht-mehr-Reisen-zu-müssen. Reisen zu können, ja, ohne Angst vor Dämonen, aber nicht mehr zu müssen. Seit 30 Jahren unterwegs, erkennt er: Sein Traum ist verloren, der Traum, "dass Reisen die Hintertür des Schicksals ist. Und eigentlich die Lösung für jedes Problem". Dass er weggehen könnte, immer, und alles wäre gut. Oder wie er lapidar schreibt.

"Was hat Reisen mit dem Lösen von Problemen zu tun? Sagen wir mal, mir fielen die Haare aus, würden sie durch eine Reise wieder wachsen?"

Und so kehrt er gut gelaunt nach Berlin zurück, findet dort alles super - jedenfalls so ziemlich:

"Vor knapp 40 Jahren flüchtete ich aus einem Deutschland, das nicht zu ertragen war. Wer auf Hippies rumhackt, weiß nicht, wie es her in den sechziger Jahren ausgesehen hat. Auf den Straßen, in den Köpfen, in den Tassen. Schon ein Capuccino galt als Gift für die deutsche Lebensart. Damals war Deutschland das langweiligste und intoleranteste Land überhaupt, heute ist es das glatte Gegenteil."

Und als könne er nicht glauben, was er geschrieben hat, fügt er hinzu:

"Selbstverständlich wird sich die Euphorie in den nächsten Tagen ein bisschen legen."

Rezensiert von Günther Wessel

Helge Timmerberg: In 80 Tagen um die Welt
Rowohlt, Berlin2008
288 Seiten, 19,90 Euro